Ende August 2023 hatte sie die Nase voll. Monatelang hatte die Dortmunderin Karin F., die namentlich nicht genannt werden möchte, auf die längst fällige Schlussrechnung ihres Energielieferanten stadtenergie gewartet. Der Einjahres-Vertrag über die Lieferung von Biogas war zuvor im April 2023 ausgelaufen. Was fehlte, war die Endabrechnung. Karin F. und ihr Ehemann erwarteten in Dortmund eine Rückzahlung - wie etliche weitere Kunden von stadtenergie auch.
„Wir hatten bei Vertragsabschluss eine Festpreisgarantie vereinbart“, sagt die Ex-Kundin. Dennoch seien die Abschläge zwischenzeitlich immer weiter erhöht worden. Vereinbart worden seien 12,28 Cent pro Kilowattstunde. „Am Ende waren wir bei 23,92 Cent“, sagt die Frau. Teilweise sei sogar die zeitweilig diskutierte „Gasumlage“ mitberechnet und abgebucht worden, die der Staat am Ende dann doch nicht eingeführt hatte.
Beschwerden bei stadtenergie seien wie bei etlichen anderen Kunden verpufft: „Meine E-Mails sind, wenn überhaupt, erst nach langem Warten beantwortet worden“, erinnert sich Karin F. „Meist waren es Standardantworten, die teils an der Sache vorbeigingen.“ Als sie Monate nach Auslaufen des Vertrages statt der selbst errechneten Erstattung im Gegenteil eine weitere Forderung von 432,33 Euro bekam, lief das Fass endgültig über.
Abschläge immer weiter erhöht
„Ich bin um neun Uhr morgens ins Servicecenter zu DEW21 marschiert, massiv geworden und habe den Geschäftsführer von stadtenergie verlangt“, berichtet die Dortmunderin. Das war Ende August. Sie habe Glück gehabt – der Gefragte sei zufällig im Servicecenter anwesend gewesen. „Ich habe mich ziemlich aufgeregt, ihn zur Rede gestellt und ihn wissen lassen, dass ich nicht eher weggehe, bevor die Sache geklärt ist“, schildert die Frau ihren resoluten Auftritt.
Andernfalls, so habe sie ihn wissen lassen, werde sie die Verbraucherberatung und die Schlichtungsstelle Energie einschalten. Zu dem Zeitpunkt habe sie bereits gewusst, dass auch etliche andere Kunden massive Probleme mit dem Versorger hätten. „Ich hatte ja die ganzen Rezensionen im Internet gesehen.“
Um Aufsehen zu vermeiden, so die Vermutung von Karin F., habe der Geschäftsführer sie zunächst in ein Büro gebeten, um wenig später mit ihr in die Geschäftsräume von stadtenergie an der Kleppingstraße zu wechseln. „Das Ganze schien ihm sehr unangenehm gewesen zu sein“, berichtet die Frau. „Trotzdem hatte ich den Eindruck, dass er nicht sonderlich überrascht war.“ In den Räumen von stadtenergie, die vor Kurzem auf Betreiben der Muttergesellschaft DEW geschlossen worden sind, habe er die Angelegenheit einem Sachbearbeiter übergeben.
Plötzlich gab's Geld zurück
„Auch der schien nicht besonders überrascht“, gibt die Kundin ihren Eindruck wieder. Er habe sich der Sache angenommen. Und, siehe da: Noch am Abend des selben Tages, um 18.24 Uhr, habe sie Post von stadtenergie bekommen. Aus der ursprünglichen Zahlungsforderung von 432,33 Euro sei plötzlich eine Erstattung in Höhe von 731,26 Euro geworden, sagt Karin F. Sie wundere sich noch heute: „Wie können solche Fehler passieren?“
Das fragen sich auch DEW-Mitarbeiter und Wirtschaftsprüfer, die aktuell damit befasst sind, die Vorgänge, die aus 2022 und 2023 datieren, aufzuklären und den Gesamtschaden für DEW21 zu ermitteln. Sind Kunden von stadtenergie tatsächlich in großem Ausmaß betrogen worden? Hätte der zuständige Geschäftsführer angesichts der vernichtenden Bewertungen auf Internetportalen nicht stutzig werden müssen – mindestens aber nach dem energischen Auftritt der erzürnten Kundin aus Dortmund?
Auf Anfrage bleibt DEW21 dazu vage. „Aktuell können wir noch keine Aussage treffen, wie solche Abweichungen zustande kommen konnten“, sagt eine Sprecherin. Es habe im Zuge der Energiekrise eine Vielzahl an Veränderungen und regulatorischen Vorgaben gegeben.
„Gravierendes Serviceproblem"
Diese Faktoren hätten auch bei stadtenergie zu „einer deutlichen Überlastung der Abrechnungssysteme und Servicekapazitäten“ geführt. „Es gab ein gravierendes Serviceproblem“, sagt die Sprecherin. Man habe daraufhin erste Maßnahmen ergriffen, den Servicebereich personell verstärkt und Schulungen der Mitarbeiter intensiviert.
Tatsächlich war es ein zusätzlicher, bei stadtenergie erst im Herbst 2023 neu eingestellter Geschäftsführer, der im Frühjahr 2024 beim Erstellen des Jahresabschlusses „erste Unregelmäßigkeiten“ bei „einzelnen Abrechnungen“ entdeckte – und Alarm schlug.
Seitdem gehen die Wirtschaftsprüfer bei DEW ein und aus. DEW hat das Neukundengeschäft seiner Tochter inzwischen gestoppt und die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Eine „Führungskraft“ von stadtenergie ist freigestellt worden. Der damals zuständige Geschäftsführer verließ seinen Posten ebenfalls, wie am Mittwochabend zu erfahren war. Laut Informationen dieser Redaktion zog er sich „in gegenseitigem Einvernehmen“ zum 31. Mai 2024 von stadtenergie zurück. Auf Nachfrage bestätigt DEW21 den Vorgang. Begründung: Aufgrund der Einstellung der Neukundenakquisition bestehe kein Bedarf mehr für einen Vertriebsgeschäftsführer. Der bisherige Geschäftsführer werde sich weiter im Bereich Privatkundenvertrieb bei DEW21 seinen Aufgaben widmen.
Betrugs-Skandal um Öko-Anbieter „stadtenergie“: DEW21 und Geschäftsführer ziehen Konsequenzen