74 Millionen Schaden durch DEW-Skandaltochter stadtenergie Muss DSW21-Chefin Heim gehen?

DEW-Skandaltochter stadtenergie verursacht Schaden von 74 Mio. Euro
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Den 18 Mitgliedern des Aufsichtsrates von Dortmunder Energie und Wasserversorgung (DEW21) dürfte der Mund offenstehen, wenn sie am Montag, 1.7., hinter verschlossen Türen zur Sondersitzung zusammenkommen. Dann wird ihnen die vorläufige Schadensbilanz präsentiert, mit der die DEW21-Skandaltochter stadtenergie bundesweit für Aufsehen gesorgt hat.

Muss Heike Heim, seit Juli Vorstandsvorsitzende bei DSW21 nach einem Jahr gehen? Die Vorkommnisse unter ihrer Zeit als DEW-Chefin holen sie aktuell ein.
Muss Heike Heim, seit Juli Vorstandsvorsitzende bei DSW21 nach einem Jahr gehen? Die Vorkommnisse unter ihrer Zeit als DEW-Chefin holen sie aktuell ein. © Schumann

Dabei stellen die Zahlen sogar das Worst-Case-Szenario von bis zu „60 Mio. Euro“ in den Schatten, von denen bereits vor Wochen die Rede war: Nach den aktuellen Berechnungen beläuft sich der Schaden durch stadtenergie auf sage und schreibe 74 Mio. Euro, für die DEW21 nun in gleicher Höhe Rückstellungen bilden muss.

Den Löwenanteil bilden mit 36 Mio. Euro teils viel zu hohe Abschlagszahlungen sowie manipulierte Endabrechnungen, mit denen bis zu 30.000 Kunden bundesweit geprellt worden sein sollen. Hinzu kommen „Luftbuchungen“ in Höhe von 12 Mio. Euro: Dabei geht es um Umsätze, die Anfang 2023 unzulässigerweise doppelt gebucht wurden, um die Bilanz von stadtenergie aufzuhübschen.

Keine Abbuchungen im Juli

Weiterer Schaden von rund 8 Mio. Euro ist DEW durch eine Art „Inhouse-Geschäft“ entstanden, bei dem stadtenergie von der „Mutter“ DEW teuer beschafftes Gas zu deutlich billigeren Preisen besorgt hat. Und weil stadtenergie noch Kundenverträge hat, die bis 2025 laufen und erfüllt werden müssen, drohen weitere Folgeverluste in Höhe von 14 Mio. Euro. All das fällt DEW21 nun auf die Füße.

Das Neukundengeschäft ist inzwischen gestoppt. Ein führender Mitarbeiter wurde freigestellt, ein Geschäftsführer hat seinen Posten „im gegenseitigen Einvernehmen“ aufgegeben. Und die Kunden?

Ihnen soll zumindest kein bleibender Schaden entstehen: DEW hat angekündigt, für Ausgleich zu sorgen. Die Abschlagszahlungen von stadtenergie-Kunden für Juni wurden ausgesetzt; gleiches gilt nun auch für Juli.

So hatte sich das die damalige DEW21-Chefin Heike Heim sicher nicht vorgestellt, als sie die „Billigtochter“ 2020 entgegen vieler Warnungen im Hause DEW21 als „Start up“ vom Stapel ließ. Noch kurz vor ihrem Wechsel als Vorstandschefin von DSW21 im Juli 2023 schwärmte Heike Heim in einem Interview vom „digitalen Schnellboot“, das Reaktionen „auf Marktentwicklungen mit hoher Flexibilität und kurzer Umsetzungsdauder ermöglicht.“

Kurz und gut: Das „Schnellboot stadtenergie“ sollte einfach und schnell für Kunden sorgen. Insidern zufolge befand sich das Boot aber schon damals im Tauchgang. Zumal Heike Heim vor ihrer Zeit bei DEW ein ähnliches Experiment mit einer „Billig-Tochter“ beim Offenbacher Versorger EVO gewagt hatte – das aber zwei Jahre nach ihrem Wechsel zu DEW wieder beendet wurde.

Das "Schnellboot" ist versenkt

Den damaligen Chef der Offenbacher „Billigtochter“, Dominik Gertenbach, brachte sie nach Dortmund mit – und installierte ihn als Geschäftsführer von stadtenergie. 2023 sprang er vom „digitalen Schnellboot“ ab und wechselte nach Oldenburg.

Stadtenergie war das „Kind der Chefin“. Deshalb, sagen Insider, „musste es unter allen Umständen funktionieren.“ Waren die Erwartungshaltung und der Druck, ausgehend von der DEW-Führungsetage so hoch, dass sogar Betrug und Bilanzverschiebungen zu Lasten von DEW hingenommen wurden? Insider verweisen darauf, das viele der Mitarbeiter, die Bedenken geäußert und gewarnt hatten, DEW verlassen hätten – bzw. gehen mussten.

Unter dem Strich heißt es nun, stadtenergie sei „schlicht ein Millionengrab, das nur Verluste produziert hat.“ Die Zahlen belegen das: Laut Businessplan hätte stadtenergie 2023 noch rund vier Mio. Euro Miese machen sollen, bevor der Versorger 2024 erstmals in den schwarzen Bereich driftet. Und jetzt? Sind aus dem geplanten Verlust von rund vier Mio. Euro satte 74 Mio. Euro Miese geworden – das Schnellboot ist versenkt. Wohlgemerkt: Darin sind die diversen Anlaufverluste in Höhe von rund 22 Mio, die stadtenergie in den Anfangsjahren von 2020 bis 2022 produziert hat, noch gar nicht mitgerechnet.

Den Schaden trägt nicht allein DEW. Sondern auch die Mutter DSW21, mit 60,1 Prozent Mehrheitgesellschafterin. Deren Vorstandsvorsitzende Heike Heim wird nun von den Vorgängen unter ihrer Ägide bei DEW eingeholt: DSW21, auf den jährlichen Geldsegen seiner Energie-Töchter dringend angewiesen, wird diesmal leer ausgehen. Dabei hatte DSW bereits 30 Millionen Euro DEW-Erlöse einkalkuliert – die fallen komplett weg. Woher sollte das Geld auch kommen?

Ärger mit Westenergie

Eigentlich müsste DEW zum ersten Mal in seiner Unternehmensgeschichte ein Geschäftsjahr mit roten Zahlen beenden. Es wäre auf ein Minus von rund zehn Mio. Euro hinausgelaufen. Stattdessen gibt es vonseiten DSW21 den Wunsch, DEW möge „stille Reserven“ aktivieren und das Ergebnis zumindest auf „Null“ stellen. Schon das war eine Gratwanderung. Als dann die Forderung kam, DEW möge trotz des Schadens zumindest Geld an den zweiten Gesellschafter Westenergie ausschütten, soll es es gerappelt haben.

Hintergrund: Westenergie ist mit 39,9 Prozent als Minderheitsgesellschafter an DEW beteiligt, dem Unternehmen steht eine Garantiedividende von 10 Mio. Euro zu. Nach diversen Gesprächen unter Beteiligung von Westenergie wurde schließlich eine Einigung erzielt. Sie sieht im Kern so aus: DEW hebt stille Reserven (etwa aus Beteiligungen aus Windparks) und stellt sein Jahresergebnis 2023 auf Null. Die Garantiedividende an Westenergie aber fließt aus der Kasse von DSW21.

Als wäre das nicht schon genug Stoff für die Aufsichtsratsgremien beider Unternehmen (sowohl bei DEW als auch DSW21), könnte nun weiteres Unheil für DSW21-Chefin Heike Heim heraufziehen: Im Auftrage des DEW-Aufsichtsrates hat die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC (PricewaterhouseCoopers) die Beschaffungsstrategie von DEW auf dem Höhepunkt der Energiekrise 2022 genauer betrachtet..

Jetzt ist guter Rat teuer: Wird Thomas Westphal, OB und Aufsichtsratschef von DSW21 und DEW, an Heike Heim trotz der Vorkommnisse festhalten - und am Ende selber selber in die Schusslinie geraten?
Jezt ist guter Rat teuer: Wird Thomas Westphal, OB und Aufsichtsratschef von DSW21 und DEW an Heike Heim trotz der Vorkommnisse festhalten - und am Ende selber in die Schusslinie geraten? © Stephan Schuetze

Damals machte das Wort von der „Energiemangellage“ die Runde; auch Westphal mahnte, es könne alles noch schlimmer kommen. Nun aber hat sich herausgestellt, dass sich DEW damals offenbar zu exorbitant hohen Preisen mit Energie eingedeckt hatte. Und das nicht etwa in Tranchen von vielleicht einem halben Jahr, um bei sinkenden Preisen schnell reagieren zu können. Im Gegenteil: DEW soll sich für gleich für drei Jahre zu hohen Tarifen eingedeckt haben. Das werde DEW nun bis 2025 auf die Füße fallen, heißt es. Das PwC-Gutachten ist Freitag (21.6.) einem kleinen Kreis vorgestellt worden, an dem auch OB Westphal teilnahm, in Personalunion Aufsichtsratvorsitzender bei DEW und DSW21.

Wie reagiert OB Westphal?

Wie zu erfahren war, soll DEW durch diese Art der Energiebeschaffung ein weiterer Schaden entstanden sein. Dabei ist von gut 100 Mio. Euro die Rede. Zudem hat PwC im Gutachten geprüft, ob der Energieeinkauf damals durch einen Beschluss der Gesellschafter DSW21 und Westenergie gedeckt war oder möglicherweise ein Verstoß gegen den Gesellschaftsvertrag vorliegt.

Dabei soll auch die Rolle des damaligen Leiters des Bereichs „Handel“ bei DEW, Markus H., untersucht worden sein: Er war freiberuflich als Berater tätig und war von Heike Heim interimsweise bei DEW eingesetzt. Dabei soll er seine Homebase in Dubai gehabt und auch teilweise auch von dort operiert haben. Sein Honorar beziffern Insider auf rund „eine Million Euro“, eine Bestätigung gibt es aber bislang nicht. Er hat DEW 2023 verlassen.

Während die DEW-Aufsichtsräte am 1.7. zunächst die Schadensbilanz hören, könnte es in der folgenden Aufsichtsratssitzung bei DSW21 tags drauf (Dienstag, 2.7.) richtig zur Sache gehen – und die Personalfrage um Heike Heim gestellt werden. Wie OB und Aufsichtsratsvorsitzender Westphal reagieren wird, ist aktuell völlig offen.