- Bis zu 30.000 Kunden der DEW21-Tochter „stadtenergie“ könnten wegen mutmaßlich betrügerischen Verhaltens zu hohe Abschläge gezahlt haben, DEW21 setzt daher die Abschlagszahlungen im Juni aus.
- Der verursachte Schaden könnte sich auf bis zu 40 Millionen Euro belaufen; DEW21 hat Wirtschaftsprüfer eingesetzt, um den genauen Betrag festzustellen.
- Neben den zu hohen Abschlägen wurden weitere Unregelmäßigkeiten aufgedeckt, wie doppelte Buchungen von Umsatzerlösen, um das Unternehmen besser darzustellen.
- Im Höhepunkt der Energiekrise hat stadtenergie Gas unter Marktpreis von der Muttergesellschaft DEW21 bezogen.
- Die Aufsichtsräte von DEW21 stehen vor umfangreichen Untersuchungen, die auch Haftungsfragen aufwerfen könnten, während DEW21 mit internen und externen Experten an der Aufklärung des Sachverhalts arbeitet.
Bis „zu 30.000 Kunden bundesweit“, so heißt es, könnten vom vermutlich betrügerischen Vorgehen der DEW21-Tochter betroffen sein und zu hohe Abschläge für ihren Strom- und Gasbezug gezahlt haben. Für sie gibt es nun einen ersten Lichtblick: Im laufenden Monat Juni fallen die Abschlagszahlungen für alle Kunden von stadtenergie weg. Sämtliche Abbuchungen im Juni werden ausgesetzt, wie eine Sprecherin von DEW21 auf Anfrage bestätigt.

Dabei handele es sich um einen ersten Schritt. Sobald das Desaster bei stadtenergie aufgearbeitet ist, will DEW21 die Kunden seiner „Billig-Tochter“ von selbst anschreiben. Kein Kunde solle auf dem Schaden sitzen bleiben, hat DEW21 mehrfach betont.
Der Schaden soll sich auf eine „zweistellige Millionensumme“ belaufen. Nach anonymen Hinweisen unserer Redaktion könnte er „rund 40 Millionen Euro“ betragen. Die endgültige Höhe soll spätestens Ende Juni feststehen – bis dahin wollen sich die von DEW21 eingeschalteten Wirtschaftsprüfer einen Überblick verschafft haben.
Klar ist: Was die Tochter stadtenergie angerichtet hat, fällt der Mutter DEW21 auf die Füße. Sie muss dafür geradestehen – und aktuell wohl mitansehen, wie sich ihr bereits errechnetes vorläufiges Jahresergebnis 2023 in Höhe von rund 52 Millionen Euro Plus pulverisiert.
Gas-Geschäft zu Lasten von DEW
Neben manipulierten Kunden-Abrechnungen kommen inzwischen weitere Ungereimtheiten bei stadtenergie ans Tageslicht: Wie anonyme Hinweise nahelegen, hat stadtenergie „Luftbuchungen“ vorgenommen. Dabei sollen Umsatzerlöse teilweise „doppelt verbucht“ worden sein, um die eigene Bilanz aufzupolieren und der Führungsetage deutlich zu machen: ‚Ja, unser Start-Up-Unternehmen stadtenergie ist auf einem guten Weg.‘ Dass es sich dabei um reine Fantasieumsätze handelte, ist offenbar auch in der damaligen Chefetage von DEW21 niemandem aufgefallen. Auch dabei soll es um mehrere Millionen Euro gehen, wie anonym berichtet wird.
Fragen stellen dürften sich die DEW21-Aufsichtsräte auch bei einem weiteren Vorgang: Im Höhepunkt der Energiekrise im Winter 2022, als die Preise durch die Decke schossen, hat sich stadtenergie sein Gas teilweise eben nicht auf dem Markt besorgt – sondern bei der Mutter DEW21. Die musste sich damals selber zu exorbitanten Preisen mit Gas vom Energiemarkt eindecken. Dennoch soll DEW21 das gewünschte Kontingent, vereinfacht ausgedrückt, unter dem Marktpreis an die Tochter durchgereicht haben.
Unter dem Strich soll bei dem Deal, der noch weitaus komplexer ist, ein Minus in Höhe von sieben bis acht Millionen Euro entstanden sein. Diese Zahlen hätten sich eigentlich in der Bilanz von stadtenergie niederschlagen müssen – tatsächlich sollen sie aber zulasten der Bilanz von DEW21 zugeordnet worden sein.
Deal fällt DEW auf die Füße
Das Geschäft sei durchaus „regelkonform und nicht rechtswidrig“, heißt es in anonymen Schreiben. Es verdeutliche aber, wie groß der Druck gewesen sei, das „Start-Up“ stadtenergie im Hause DEW21 möglichst gut aussehen zu lassen. „Es gab erhebliche interne Verbindungen…, die DEW21 belastet und stadtenergie entlastet haben“, heißt es in Schreiben, die der Redaktion vorliegen.
Ein anonymer Einsender nennt sogar Namen: Verantwortlich gewesen sein soll unter anderem der damalige Geschäftsführer von stadtenergie, Dominik Gertenbach, der in Personalunion auch Vertriebsleiter bei DEW21 war. Ex-DEW21-Chefin Heike Heim, habe sich „direkt durch Herrn Gertenbach immer wieder berichten“ lassen, heißt es.
Beide kannten sich bereits aus ihren gemeinsamen Zeiten beim Energieversorger EVO aus Offenbach: Unter Führung von Heike Heim hatte die EVO 2017 ebenfalls eine „Billig-Tochter“ namens evon auf den Markt gebracht – und die Marke nach dem Wechsel von Heike Heim zu DEW21 wieder eingestampft. Damaliger Geschäftsführer von evon: Dominik Gertenbach. Er hat inzwischen auch stadtenergie und DEW21 in Richtung Oldenburg verlassen.
Sondersitzung für Aufsichtsrat
Für die Aufsichtsräte von DEW21 gibt es viel aufzuarbeiten. Könnten sich für die Kontrolleure am Ende möglicherweise sogar Haftungsfragen stellen? Das Paket ist so dick, dass es neben der aktuell geplanten Aufsichtsratssitzung am 1. Juli noch eine vorherige Sondersitzung geben soll. Am 2. Juli ist dann der Aufsichtsrat von DSW21 an der Reihe, dem Hauptgesellschafter von DEW21.
Der wiederum hatte bereits einen Ertrag von rund 30 Millionen Euro aus der Geschäftstätigkeit seiner Tochter DEW21 in sein vorläufiges Jahresergebnis eingespeist. Was DSW21 nach dem Debakel nun noch erwarten kann, ist völlig offen. Besagte 30 Millionen Euro dürften es jedenfalls nicht sein.
Auf Anfrage wollte DEW21 zu den Vorwürfen zurzeit keine Stellung nehmen. „Wir arbeiten mit internen und externen Experten an der Aufklärung des Sachverhalts. Daher bitten wir um Verständnis, dass wir uns aktuell nicht weiter dazu äußern können", so eine Sprecherin. „Unser Ziel ist es, den Sachverhalt vorbehaltlos aufzuklären. Sobald wir nähere Erkenntnisse haben, werden wir darüber informieren. "