Die dubiosen Geschäftspraktiken des Strom- und Gasversorgers „stadtenergie“ haben bundesweit Wellen geschlagen. Im Frühjahr 2024 war aufgeflogen, dass die bundesweit tätige „Billig-Tochter“ von DEW21 ihre Kunden wohl massenweise mit manipulierten und zu hohen Rechnungen über den Tisch gezogen hat. Bis zu 30.000 Kunden könnten davon betroffen sein, hieß es.
Nicht nur das: Offenbar um die eigene Bilanz zu pushen und das Geschäftsergebnis zu beschönigen, sollen zudem Erträge in großem Stil mehrfach verbucht worden sein. Ersten Annahmen zufolge könnte ein Schaden in Höhe eines zweistelligen Millionenbetrages „im unteren bis mittleren Bereich“ entstanden sein. Im Aufsichtsrat war bereits von einem „Worst-Case-Szenario“ von bis zu 60 Mio. Euro die Rede – während zuletzt eine Summe von „rund 40 Mio. Euro“ im Raum stand.
Erschrocken über die Geschäftspraktiken der eigenen Tochter, hatte DEW21 das Neukundengeschäft von „stadtenergie“ gestoppt und den Kunden zugesichert, den Schaden beheben zu wollen. Sofort wurden mehrere Wirtschaftsprüfer und Datenanalytiker beauftragt, alle Vorgänge und Rechnungen minutiös zu prüfen, um die Geschehnisse umfassend aufzuklären. Mit anderen Worten: Sie müssen sich durch Zehntausende von Rechnungen wühlen. Da die Prüfer noch immer nicht am Ende angekommen sind, fallen die beiden für Samstag, 22. Juni, terminierten Sonder-Aufsichtsratssitzungen bei DEW21 und der Mutter DSW21 aus und werden verschoben.
Sondersitzungen am 1. Juli
Die Kontrollgremien sollen nun am Montag, 1. Juli, zu ihren Sondersitzungen zusammenkommen. Das gilt sowohl für DSW21 als auch für DEW21. Dann sollen den Aufsichtsräten erstmals Zahlen vorliegen, wie hoch der Schaden tatsächlich ausfällt und wie viel Kunden geprellt worden sind. Gut möglich, dass die Kontrolleure dann erstmals einen Einblick bekommen, wie die Geschäftspraktiken inszeniert worden sind, ohne aufzufallen. Dabei geht es um die Jahre 2022 und 2023.
Die Aufsichtsräte von DSW21 und DEW21 dürften eine Menge Fragen haben. Auch die nach den Verantwortlichkeiten. Der ehemalige Prokurist von „stadtenergie“ ist inzwischen freigestellt. Der Geschäftsführer, gleichzeitig Vertriebsleiter Privatkundengeschäft bei DEW21, hat seine Tätigkeit bei "stadtenergie" im gegenseitigen Einvernehmen vor Kurzem beendet. Und der vorherige Geschäftsführer von „stadtenergie“, Dominik Gertenbach, ist 2023 ausgestiegen und zu einem Energieunternehmen nach Oldenburg abgewandert.
Wer trägt die Verantwortung?
Bereits zu diesem Zeitpunkt soll es mehre führende Mitarbeiter von DEW21 gegeben haben, die das Geschäftsmodell „stadtenergie“ äußerst kritisch bewerteten, eindringlich warnten – und DEW21 anschließend verlassen mussten, wie Insider wissen wollen. Fordern die Aufsichtsräte nun weitere, personelle Konsequenzen? Waren die handelnden Akteure die allein Verantwortlichen?
Sie fürchten, der Schaden fällt nicht nur DEW21 auf die Füße, sondern auch der Mutter DSW21. Sie hatte sich von ihrer Tochter aus dem Geschäftsjahr 2023 einen Zufluss von rund 30 Mio. Euro versprochen. Wie viel Geld und ob DEW21 überhaupt noch abführen kann, ist aktuell offen: Im vorläufigen Jahresergebnis hatte DEW21 zwar satte 52 Mio. Euro ausgewiesen. Von denen dürfte, wenn überhaupt, nur noch ein Restbetrag bleiben. Kommt hinzu: Auch Westenergie, Minderheitsgesellschafter bei DEW21, bekommt vom Energieversorger Geld – Westenergie hat Anspruch auf eine Mindestrendite von zehn Mio. Euro.
Die Aufsichtsräte von DSW21 und DEW21 werden sich schütteln müssen. Noch im Juli soll es bei bei beiden Unternehmen eine weitere Aufsichtsratssitzung geben. In der sollen die Kontrolleure die dann korrigierten Geschäftsergebnisse beider Kommunal-Unternehmen abnicken und den Vorständen und Geschäftsführungen „Entlastung“ erteilen. Ob es so kommt, ist fraglich.