Dr. Stefan Mühlhofer, Leiter des Stadtarchivs, gibt Einblick in Akten der kolonialen Vergangenheit Dortmunds.

© Nicola Schubert

Wo in Dortmund noch Spuren des Kolonialismus zu finden sind

rnDebatte um „Mohren-Apotheke“

Debatten über Rassismus finden nicht nur in den USA, sondern auch in Dortmund statt. Aktuell geht es etwa um die „Mohren-Apotheke.“ Doch die ist nur ein Beispiel für Spuren des Kolonialismus.

von Nicola Schubert

Dortmund

, 16.08.2020, 11:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Nach den aktuellen Demonstrationen der Black-Lives-Matter-Bewegung in den USA ist es auch in Dortmund zur Diskussion geworden, welche kolonialen Spuren der öffentliche Raum trägt.

Die Debatte um die Umbenennung der „Mohren-Apotheke“ in Körne ist aktuell das prominenteste Beispiel.

Wie sieht es sonst in Dortmund aus? Und was steht in der Stadtchronik über diese Zeit, die bis heute nachwirkt?

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Vergleichbar mit ehemals kolonialen Metropolen wie Hamburg ist die Ruhrgebiets-Stadt nicht. Doch auch Dortmunder Akteure haben, ähnlich wie in Hamburg, auf die Politik einzuwirken versucht, um den Kolonialismus voranzutreiben.

Und auch hier finden sich dessen Spuren auf Straßenschildern, vor allem aber im Stadtarchiv.

Walderseestraße hat kolonialen Bezug

Straßenumbenennungen gab und gibt es immer wieder mal in Dortmund. Doch es gibt noch einige Straßen mit kolonial-imperialistischen Anmutungen.

Zum Beispiel die Nettelbeckstraße, benannt nach dem Steuermann eines Sklavenschiffes Joachim Nettelbeck.

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Oder die Walderseestraße in der Nähe des Ostfriedhofs. Alfred von Waldersee war preußischer Generalfeldmarschall. Nach dem sogenannten Boxeraufstand in China unternahm er blutige Strafexpeditionen.

Wer darüber hinaus versucht, die koloniale Vergangenheit von Dortmund nachzuvollziehen, stellt fest, dass es zahlreiche Aspekte gibt.

Kolonialismus hat überall eine Bandbreite von Auswirkungen erzeugt: Handelsbeziehungen und Warenflüsse, immer noch andauernde politische Folgen in ehemaligen Kolonien und rassistische Menschenbilder sind bis heute davon geprägt, um nur einige Beispiele zu nennen.

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Auch in Dortmund sind die Verflechtungen in die „koloniale Sache“ vielfältig, reichen von Politik, Wirtschaft und Kirche bis in die Veranstaltungsszene und natürlich in die Köpfe der Menschen. Ein Blick in die Akten des Stadtarchivs zeigt das.

Auf der Suche nach dem Zeitgeist

„Man muss das Ganze natürlich auch immer historisch einordnen. Vor 100 Jahren gab es genauso andere gesellschaftliche Werte als heute wie in der Antike“, sagt Dr. Stefan Mühlhofer, Leiter der Kulturbetriebe und des Stadtarchivs.

Doch Werte wirken lange nach. Aufarbeitung ist angesagt. Das meint auch Mühlhofer: „Man muss sich die eigene Geschichte schon anschauen.“

Wie bekommt man ein Gefühl für den Zeitgeist, der um die vorletzte Jahrhundertwende Dortmund bestimmte? Wie nähert man sich der Atmosphäre? Ein wirklich ganzheitliches Bild zu erhalten wird kaum möglich sein. Einzelne Spuren zu verfolgen dagegen schon.

Charles Burkett's N****-Truppe, abfotografiert aus Akten des Stadtarchivs.

Charles Burkett's N****-Truppe, abfotografiert aus Akten des Stadtarchivs. © Nicola Schubert

Auf dem Schreibtisch von Stefan Mühlhofer liegt ein Stapel Akten. Darin sind unter anderem Postkarten, eine Satzung vom Afrika-Verein deutscher Katholiken, eine Einladungen zum Lichtbildvortrag über deutsche Kolonien des damaligen Hafendirektors (1906).

Koloniale Bestrebungen

Wie aus Handelskammerberichten hervorgeht, war bereits vor der Kongo-Konferenz ab 1884 die Dortmunder Handelskammer eifrige Befürworterin von kolonialen Bestrebungen.

Dies war auch im Interesse der Stahlerzeuger: auf den Import von Eisenerzen angewiesen war die Gier nach Rohstoffen groß. Auch das Interesse an Kolonialwaren war riesig.

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Globalisierung gab es auch damals schon. Sogar nach Honduras führte die koloniale Begeisterung. „Neu-Dortmund“ war der Name einer Kolonie in Zentralamerika.

Dortmunder hatten sich in den 1890er-Jahren aufgemacht, Bananen anzubauen und kamen mit der Vorstellung, als weiße Deutsche nicht arbeiten zu müssen und trotzdem reich zu werden.

Das Projekt scheiterte krachend und zog Spott auf sich. Es hatten sich vor allem Arbeiter, Bergleute und Bürogehilfen ansiedeln wollen, die von Landwirtschaft nichts verstanden. Das sind nur zwei Dortmunder Beispiele für koloniale Bestrebungen.

„Völkerschauen“ aus „Neugier“

Neben konkreten wirtschaftlichen und ausbeuterischen Vorhaben lohnt es sich, einen Blick auf die koloniale „Kultur“ vor Ort zu werfen. In den Akten des Stadtarchivs gibt es eine Postkarte. Sie zeigt Charles Burkett‘s N****-Truppe. Mit Säbeln und Baströcken posieren darauf Schwarze Menschen.

Im Fredenbaumpark trat die Schausteller-Gruppe im sogenannten N****-Dorf auf, einem hinter einem Zaun befindlichen Gelände. Die Dortmunder kamen in den 1910er Jahren in Scharen, um etliche solcher Gruppen zu sehen, beschreibt Mühlhofer. „Völkerschauen“ gab es seit der frühen Neuzeit in Europa.

Diese Werbung für eine Wander-Kolonialausstellung der Nazis stammt von 1933. In Dortmund fand sie nach einem längeren Briefwechsel darüber dann doch nicht statt.

Diese Werbung für eine Wander-Kolonialausstellung der Nazis stammt von 1933. In Dortmund fand sie nach einem längeren Briefwechsel darüber dann doch nicht statt. © Nicola Schubert

„Die Leute waren damals von Neugier getrieben“, sagt der Leiter der Kulturbetriebe. „Die Schausteller wurden exotisiert. Statt in den Urlaub zu fahren, dachte man, die Welt über solche Schauen kennenzulernen.“

Dabei griffen die Schausteller-Gruppen Klischees auf, von denen sie wussten, dass die Leute sie sehen wollten. Die Nachfrage nach der Bestätigung der eigenen Vorurteile und Bilder war groß und ein regelrechter Markt.

Darüber, wie die Schaustellergruppen sich selbst sahen, was sie dabei empfanden, hinter einem Zaun Schauen aufzuführen, ist wenig bekannt. „Die Literaturlage ist da sehr dünn“, sagt Stefan Mühlhofer. Er vermutet, dass das Geschäft das Überleben sichern sollte. Denn viele berufliche Tätigkeiten durften Schwarze Menschen gar nicht ausüben.

Postkolonialismus kurz erklärt

Bodi Wang promoviert am Institut für Philosophie und Politikwissenschaft der TU Dortmund. Sie forscht zum Beispiel im Bereich Xenologie, Fremdheitsforschung. Auch die Theorie des Postkolonialismus gehört zu ihren Forschungsinteressen.

Postkolonialistische Kritik geht davon aus, dass mit formalen Unabhängigkeitserklärungen kolonisierter Länder der Kolonialismus nicht vorbei ist, sondern nachwirkt. Denn Kolonialismus ist auch eine Haltung. Und Haltungen verschwinden nicht einfach.

Kolonialismus drückt eine Herrschaftsbeziehung aus, die von der Überzeugung der kulturellen Überlegenheit der Kolonisierenden geprägt ist. Die zugehörige Methode heißt Rassismus. Weiter dachten dieses Prinzip später die Nationalsozialisten.

Das Fremde und das Eigene

Was hat das mit „Völkerschauen“ und der „Neugier“ der Dortmunder zu tun? „Menschen sind neugierig, ja. Die Frage ist, welches Interesse dahinter steckt“, sagt Bodi Wang.

Wang interessiert sich für Denkmuster, die so etwas wie „Völkerschauen“ zugrunde liegen. Was zum Beispiel ist der Zweck von Stereotypen und dem Bedürfnis, diese bestätigt zu sehen? Was brachte und bringt die Unterscheidung zwischen dem Fremden und dem Eigenen?

Nationale Identitäten hinterfragen

Ein solcher Zweck ist Wang zufolge, ein Konzept nationaler Identität zu haben, um sich zuordnen zu können. Verkürzt gesagt: Der Mensch will wissen, wo er dazu gehört und wo – vermeintlich – nicht.

Zur Vorstellung einer deutschen Identität gehörte zum Beispiel lange das Weißsein. Solche Konzepte können sich über hunderte von Jahren halten. Selbst, wenn sie gesellschaftlich offiziell kein Konsens mehr sind.

Wer durch die Stadt läuft und Angst vor einer angeblichen „Überfremdung“ hat, denkt wahrscheinlich auch, alle Menschen of colour, die ihm dort begegnen, seien nicht deutsch. Alltagsrassimus in Reinform.

„Völkerschauen“ sind vielleicht kein Ursprung von Rassismus gewesen, stärkten diesen aber. Auch in Dortmund. Wo es eine besondere Aufgabe ist, sich gegen Rassismus zu stellen.

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