
© Foto: Sarah Rauch/Grafik: Leonie Sauerland
Debatte um die Mohren-Apotheke: Niemand muss ein Rassist sein
Kolumne Klare Kante
Sollte man den Namen der „Mohren-Apotheke“ ändern, weil er die Gefühle von Menschen verletzt? Auf jeden Fall, findet unser Autor. Auch wenn der Weg dorthin mühselig sein kann.
Die Mohren-Apotheke im Dortmunder Stadtteil Körne ist in die Diskussion geraten. Menschen aus der afrikanischen Gemeinschaft in Dortmund fordern, den Namen und vor allem das Logo zu ändern, weil sie beides als verletzend und diskriminierend empfinden. Dortmund hat die Diskussion in diesen Tagen nicht exklusiv. In Wien, Frankfurt und Kassel sind Apotheken mit demselben, weit verbreiteten Namen (oder Namensteil) in den Fokus geraten.
In ersten Reaktionen auf die Forderungen in Dortmund sprechen einige Menschen der schwarzen Minderheit das Recht dazu ab, ihr Gefühl zu äußern. Einige wollen erst gar nicht über den Namen diskutieren, weil „es ja andere Probleme gibt“ und „das doch schon immer so war“.
Wir haben ein viel größeres Rassismus-Problem, als wir uns eingestehen möchten
Das zeigt, dass wir als Gesellschaft ein viel größeres Problem mit Rassismus haben, als wir es uns vielleicht eingestehen wollen. Es zeigt das meiner Meinung nach immer noch zu geringe Bewusstsein dafür, was Worte, Bilder und Handlungen bei Menschen auslösen können, denen aufgrund äußerer Merkmale abgesprochen wird, ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft zu sein.
Solche Gedanken zu äußern, fällt Menschen aus der „Mehrheitsgesellschaft“ offensichtlich leicht, weil man als hellhäutige Person selten in die Situation kommt, solche Gefühle zu erleben.
Wie schmerzhaft fühlt sich Ausgrenzung an?
Allerdings: Ausgrenzung erlebt vermutlich jeder Mensch im Laufe seines Lebens. Jeder sollte im eigenen Erinnerungsspeicher kramen und sich selbst fragen, wie schmerzhaft er das empfindet, bevor er urteilt, was andere fühlen und äußern sollten. Das kann niemand beurteilen.
Alltagsrassismus hat viele Erscheinungsbilder. Der missfallende Blick auf das Kopftuch in der Bahn. Die Krankenschwester, die lauter spricht, weil sie glaubt, die Patientin verstehe dann besser Deutsch. Die Frage: „Und woher kommst du eigentlich?“
Der tägliche Blick auf ein Firmenschild kann sich schlecht anfühlen
Alltagsrassismus kann auch ein Firmenschild sein mit einem veralteten Begriff und einer Darstellung eines Menschen mit dunkler Hautfarbe als exotischem Wesen mit übergroßen Lippen und tumbem Blick.
Für ein Kind, das in Dortmund-Körne geboren und aufgewachsen ist, das sich kleidet, verhält und spricht wie alle anderen in seinem Umfeld, aber eben zufällig eine andere Hautfarbe hat, kann es ein Identitätsschock sein, auf so ein Bild zu blicken, weil es das Selbstbild stört.
Die Inhaberin der Apotheke ist sich des Problems bewusst und will Gespräche über eine Umbenennung führen. Das ist richtig und gut. Wichtig wird sein, dass sie nicht allein gelassen wird mit der Organisation - und auch mit möglichen Kosten.
Widerspruch ist das, was die Initiatoren des Protests ausdrücklich wollen
Widerspruch gegen die Forderung nach einer Umbenennung ist auch wichtig. Er ist das, was sich die Initiatoren des Protests nach eigenen Worten sogar ausdrücklich wünschen.
Wiliam Dountio aus der Silent-Protest-Bewegung und dem Informationskreis Eine Welt sagt: „Wenn ich solche Themen mit jemandem diskutiere, erwarte ich nicht, dass er mit mir übereinstimmt. Aber ich erwarte, dass er sich für einen Moment auf den Platz eines anderen setzt und seine Sicht wahrnimmt.“
Empathie ist nicht zu viel verlangt
Ich finde: Das ist nicht zu viel verlangt. Auf der persönlichen Ebene finde ich es eigentlich sogar ziemlich einfach: Versuche jeden Tag, kein Rassist zu sein, egal wie du aussiehst. Bewerte die Menschen nach ihren Handlungen, nicht nach dem, was sie nach außen darstellen.
Das ist manchmal mühsam. Man kann scheitern, wenn man sich selbst ertappt, wie man doch wieder in Stereotypen denkt und Pauschales äußert. Vielleicht ist eine diskriminierungsfreie Gesellschaft eine Illusion. Aber ich möchte in einer Stadt leben, die es zumindest versucht. Niemand muss ein Rassist sein.
Denn Rassismus tötet: in Halle, in Hanau, in Dortmund, an so vielen anderen Orten. Dagegen anzuarbeiten, ist deshalb kein Zeitvertreib von gelangweilten Studenten. Sondern eine Aufgabe für alle, die in dieser Stadt zusammenleben.
Wollen wir wirklich über Rassismus diskutieren - oder den What-Aboutisten das Feld überlassen?
Was das alles noch mit einer Apotheke in einem Dortmunder Vorort zu tun hat? Auch an ihrem Beispiel werden wir sehen können, ob wir nach der allgemeinen öffentlichen Erschütterung über die Vorgänge in den USA wirklich bereit sind, die Diskussion über Rassismus bei uns im Kleinen zu führen und Gewohnheiten, Worte, Strukturen zu überdenken.
Oder ob wir lieber denjenigen das Feld überlassen wollen, die jede Veränderung mit dem Hinweis auf Z-Schnitzel und den N-Kuss wegreden wollen. Den so genannten „What-Aboutisten“ dieser Welt - jenen Menschen, die jedes Problem damit negieren, dass es irgendwo anders noch ein viel größeres gibt. Für die jeder Impuls, alte Denkmuster zu verändern, einem diktatorischen Eingriff in die Freiheit des Einzelnen gleichkommt.
Ich glaube daran, dass grundsätzlich genügend Dortmunder verstehen, worum es geht. Die bereit sind, Dinge mit Rücksicht auf alle Menschen auszudiskutieren, die hier leben. Auch, wenn das (etwas) anstregender ist, als einfach gar nichts zu tun.
Seit 2010 Redakteur in Dortmund, davor im Sport- und Nachrichtengeschäft im gesamten Ruhrgebiet aktiv, Studienabschluss an der Ruhr-Universität Bochum. Ohne Ressortgrenzen immer auf der Suche nach den großen und kleinen Dingen, die Dortmund zu der Stadt machen, die sie ist.
