Differenzierte Argumente ziehen auf Plattformen gegenüber einfach nur lauten Argumenten oft nicht.

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„Mohren-Apotheke“: Was die Online-Debatte mit rund 400 Beiträgen offenbart

rnAnalyse

Auf unseren Artikel zu einer Forderung der afrikanischen Community in Dortmund, die „Mohren-Apotheke“ umzubenennen, gab es viele Reaktionen. Sie zeigen, wie wir online über Rassismus reden.

Dortmund

, 23.07.2020, 11:45 Uhr / Lesedauer: 4 min

Es waren Mitglieder der afrikanischen Community in Dortmund, die sich mit einer Bitte an die „Mohren-Apotheke“ in Körne gewandt haben: den Namen des Traditionsbetriebes zu ändern. „Wir wollen nichts erzwingen“, betonte einer von ihnen noch. Vermutlich wusste er, dass er später unter Rechtfertigungsdruck geraten würde. Dafür, sich von der stereotypen Darstellung eines schwarzen Mannes und dem Schriftzug auf dem Schild der Apotheke verletzt zu fühlen und das zur Diskussion zu stellen.

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Wir haben den Artikel zu diesem Vorstoß, in dem selbstverständlich auch die Apothekerin zu Wort kommt, auf Facebook geteilt. Knapp 400 mal ist er in gut 24 Stunden kommentiert worden. Die meisten Kommentare folgen bestimmten Mustern, die bei Online-Debatten zu ähnlichen Themen immer wieder zu beobachten sind.

Stimmen der Vernunft

Dass die Meinungen zum Anliegen der afrikanischen Community auseinander gehen, ist klar. Auf beiden Seiten finden sich Menschen, die sachliche Argumente vorbringen.

So betont zum Beispiel eine Nutzerin, dass der Name zusammen mit der Abbildung „für Machtverhältnisse steht“ zwischen Weißen und Schwarzen Menschen. Eine andere schreibt „Dieses Bild repräsentiert den Kolonialismus und den damit verbundenen Rassismus.“

Name und Logo der „Mohren-Apotheke“ sorgen für Diskussionen. In Berlin erreichten Aktivisten unlängst die Umbenennung der ÖPNV-Haltestelle „Mohrenstraße“.

Name und Logo der „Mohren-Apotheke“ sorgen für Diskussionen. In Berlin erreichten Aktivisten unlängst die Umbenennung der ÖPNV-Haltestelle „Mohrenstraße“. © Sarah Rauch

Eine andere Nutzerin betonen, dass der Begriff „Mohren“ auf die Stammesgruppe der Mauren verweise. Menschen aus dem Orient seien früher „als sehr fachkundig im Bereich der Heilkunde angesehen“ worden. Ein Argument, das auch Apotheken selbst zur Rechtfertigung des - nebenbei bemerkt weit verbreiteten - Namens „Mohren-Apotheke“ genutzt haben.

Eine Nutzerin schreibt: „Wann wird eigentlich verstanden, dass das Streichen von Worten das Problem nicht bekämpft?“ Eine andere entgegnet: „Sprache bildet Werte ab, und insofern ist es ein Teil der Lösung, diskriminierende Begriffe nicht mehr zu verwenden.“

So kann man über Rassismus reden. Doch differenzierte Kommentare sind an vielen Stellen im sozialen Internet in der Minderheit.

Die Debatte von Anfang an zu diskreditieren

Viele der Kommentare sprechen der Debatte an sich ihre Berechtigung ab. Ein Nutzer erhält fast 40 „Gefällt mir“-Bewertungen für den Kommentar „Vor ein paar Jahren oder sogar Monaten hat es auch keinen gejuckt wie die Apotheke heißt.“ Auch für den minimalaufwändigen Kommentar „So was von lächerlich“ gibt es positive Rückmeldungen.

Schaut man nur auf die Anzahl der Kommentare, überwiegen die der Gegner des Vorschlags der afrikanischen Community auch wegen dieser kurzen ablehnenden Meinungen bei weitem die der Befürworter.

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Einige Kommentare greifen die Aktivisten, von denen der Vorschlag ausging, auch direkt an. Demnach seien sie je nach Kommentar zu jung, zu weltfremd oder schlicht zu dumm, um ernst genommen zu werden. So schreibt ein Nutzer „Ihr Pifkes seid einfach nur bekloppt!!!“ ein anderer „Sollen arbeiten gehen und sich um ihre eigenen Sachen kümmern“. Auch von „linken Spinnern“ ist die Rede, von „in die Fresse“ hauen.

Einige der Äußerungen, die wir hier anonymisiert nennen, haben wir auf Facebook im Einklang mit unseren Community-Regeln verborgen, weil sie den Geboten von Sitte und Anstand widersprechen. Dennoch finden wir es wichtig, sie an dieser Stelle nicht unerwähnt zu lassen.

Ablenkungsmanöver

Andere Kommentaren drücken Ablehnung gegenüber der Namensänderung aus, indem sie auf andere vermeintlich rassistische Begriffe verweisen. So schreibt ein Nutzer „Jetzt mal ernsthaft wird demnächst Hamburger, Wiener Würstchen, Berliner usw. umbenannt wegen Diskriminierung“ ein anderer schreibt „Wird der Führerschein auch umgestellt????“ Auch Verweise auf „Zigeunerschnitzel“, „Mohrenköpfe“, „Schwarzarbeit“ und „Weißer Riese“ finden sich in mehreren Kommentaren.

Ein Nutzer mit dem Nachnamen Mohr (zumindest laut seinem Facebook-Profil) schreibt: „Dann muss ich auch bald meinen Nachnamen ändern sonst bin ich ein Rassist.“ Den Verweis auf verschiedene Varianten des Nachnamens „Mohr“ machen auch viele andere Nutzer.

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Ob bewusst oder unbewusst: Kommentare wie diese sind dazu geeignet, die Debatte vom eigentlichen Thema weg zu führen. Diese Diskussionsform ist online so verbreitet, dass sie einen Namen hat: „Derailment“, zu deutsch etwa „Entgleisung“.

Unter den Kommentaren finden sich auch einige, die Querverweise zu einem Thema machen, bei dem die Online-Debatte von ähnlichen Strukturen geprägt ist: der Coronavirus-Pandemie. So schreibt ein Nutzer zum Beispiel: „Also Corona scheint den Leuten wirklich aufs Hirn zu schlagen!“

Am rechten Rand

In einer Debatte über Rassismus finden sich selbstverständlich auch einige Menschen, deren Meinung erkennbar rechts der politischen Mitte angesiedelt ist. So schreibt eine Nutzerin zum Beispiel: „Wir sollen vor langer Zeit eingeführte Begriffe abändern, müssen auf Armeslänge Abstand gehen, weil einige unserer Gäste unsere Sitten und Gepflogenheiten nicht verstehen wollen“.

Ein anderer Nutzer schreibt „Ich kann nicht nach Afrika ziehen und da alles umkrempeln. Finde es auch frech, solche Forderungen zu stellen“ - und spricht damit der afrikanischen Community in Dortmund das Recht ab, hier eine gesellschaftliche Debatte anzustoßen. Ein anderer Nutzer will „Berufsaktivisten in Zwangsarbeit stecken“. Politische Aktivisten in Arbeitslagern: Das gab es auch unter dem NS-Regime in Deutschland und in der Sowjetunion unter Stalin.

Menschen, die sich gegen Rassismus aussprechen, als undeutsch darzustellen, ist eine wiederkehrende Diskussionsstrategie von Menschen am rechten Rand. Zur vorgeschlagenen Namensänderung schreibt zum Beispiel ein Nutzer: „Wen der Name stört, kann gerne unser Land verlassen!!“

Was denken Betroffene?

Die meisten der Nutzer und Nutzerinnen, die sich auf Facebook zu dem Thema äußern, sind zumindest ihren Profilbildern nach Weiß. Das sagt selbstverständlich auch etwas darüber aus, wer unserer Facebook-Seite folgt und damit unsere Inhalte angezeigt bekommt. Ebenso wie auch alle anderen hier genannten Merkmale der Debatte etwas über unsere Community, die Nutzerschaft von Facebook und die Algorithmen, die das soziale Internet steuern, aussagen.

Die Perspektive derer, die sich vom Schild der Apotheke diskriminiert fühlen, kommt in der Online-Debatte kaum vor. Ein Nutzer fragt „Als Mensch mit heller Hautfarbe fallen mir sicher Sachen oftmals gar nicht auf. Was sagen denn Menschen mit dunkler Haut dazu?“ Eine Antwort aus erster Hand bekommt er nicht.

Einer der Nutzerinnen und Nutzer, die versuchen, die Perspektive Schwarzer Menschen einzunehmen, schreibt: „Wenn es Betroffene von Rassismus gibt, die Begriffe als diskriminierend einordnen, ist es nach meiner Auffassung einer inklusiven Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit, diese Begriffe nicht mehr zu verwenden. Es erschließt sich mir nicht, warum Menschen darauf bestehen wollen, andere mutwillig zu verletzen.“

Nicht jeder teilt diese Auffassung oder kann beziehungsweise will sich in Schwarze Menschen hineinversetzen. Nicht jeder erkennt Symbole, die aus der Kolonialzeit stammen, als solche und versteht das darin enthaltene Machtgefälle. Für manche Menschen ist es schwierig, Begriffe, mit denen sie aufgewachsen sind, die sie als Teil ihrer Kultur empfinden, nun als diskriminierend anzusehen. Das alles soll und darf nicht zum Vorwurf werden. Aber deshalb ist es umso wichtiger, dass alle Mitglieder unserer Gesellschaft offen, respektvoll und konstruktiv über strukturellen Rassismus reden. Online-Debatten wie die unter unserem Facebook-Post werden diesem Anspruch oft nicht gerecht.

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