Rassismus sei in Dortmund allgegenwärtig. Dagegen gingen am Samstag mehr als 500 Menschen auf die Straße. Schon als Kinder machten Menschen mit dunkler Hautfarbe rassistische Erfahrungen, so die Teilnehmer.

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Anti-Rassismus-Demo: „Wir sind weder Hunde noch Kuscheltiere!“

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George Floyd starb in Amerika, doch Alltagsrassismus sei auch in Dortmund ein gefährliches Problem. Die Demo gegen Rassismus auf dem Hansaplatz zeigte, was weiße Menschen häufig falsch machen.

Dortmund

, 04.07.2020, 20:45 Uhr / Lesedauer: 3 min

Es ist ein fliegender Wechsel, der hier vonstatten geht. Eben war hier auf dem Hansaplatz noch Markt. Nun versammeln sich hier erste Teilnehmer einer Großdemonstration gegen Rassismus, die zweite dieser Art nach dem Tod George Floyds, dessen brutales Sterben weltweit eine Welle des Protests ausgelöst hat.

Die Kehrfahrzeuge der EDG fahren ihr eigentümliches Ballett, kehren Kohlblätter und zerbrochene Eier zusammen, während die ersten Teilnehmer etwas zaghaft zum Hansaplatz kommen. Man erkennt sie an den Schildern und daran, dass sie gewissenhaft Masken im Gesicht tragen. Nicht noch einmal wollen sie sich vorwerfen lassen, durch ihr Engagement das Corona-Risiko gesteigert zu haben.

Die Teilnehmer der Demonstration auf dem Hansaplatz knieten nieder, um auf die Diskriminierung Schwarzer Menschen und anderer durch Rassismus Betroffener hinzuweisen.

Die Teilnehmer der Demonstration auf dem Hansaplatz knieten nieder, um auf die Diskriminierung Schwarzer und anderer durch Rassismus Betroffener hinzuweisen. © Dennis Werner

Anfang Juni waren es 5000 Menschen - Corona hin oder her - die zusammengekommen waren. Damals gab es starke Bedenken wegen des Abstandes, der bei der Masse Menschen schlichtweg nicht einzuhalten war. Dieses Mal soll Abstand kein Problem sein, denn selbst als alle der etwas mehr als 400 Teilnehmer zusammenkommen, hat jeder noch mehr als die benötigte doppelte Armlänge Platz. Abstandhalten war zwischen den Shoppern nur wenige Meter weiter auf dem Westenhellweg deutlich schwieriger - und anders als auf der Einkaufsstraße, trugen die Leute hier auf dem Hansaplatz Masken.

Kampf gegen Rassismus nur ein Hype?

Erwartet worden waren Anfang Juni 2000 Teilnehmer, davon kann einen Monat später nicht die Rede sein. Der Kampf gegen Rassismus also nur ein Hype? Ein empörtes Aufbäumen angesichts dessen, was dem Schwarzen George Floyd widerfahren war? War es einfach nur schick, gegen Rassismus zu sein, und nun hat sich die Welt weitergedreht?

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Vanessa A.* lässt genau diese Annahme nicht zu. Sie steht auf der Bühne auf der Freitreppe. Und zum Glück misst sich die Qualität einer Demonstration nicht unbedingt immer an der Menge ihrer Teilnehmer: „Das ist kein Hype, kein temporäres Problem!“ Es spiele keine Rolle, ob man männlich oder weiblich sei, in Deutschland geboren wurde oder nicht - letztlich würde sie ob ihrer Hautfarbe und der Haarstruktur als anders wahrgenommen. Und das beginne im Alltag: der „hautfarbene“ Stift im Kindergarten sei sicher nicht braun, und auch Komplimente führten häufig zu Rassismus. Vanessa nennt Sätze wie „Du bist doch gut in Basketball!“ oder „Für eine schwarze Frau bist du schön!“

Empfehlung gegen positiven Rassismus

Vanessa hat einen Begriff dafür: positiven Rassismus - und sie hat eine Empfehlung für alle Nicht-Schwarzen: „Knüpft eure Komplimente an unser Können nicht an unsere Herkunft.“ Und noch eine alltägliche Geste entlarvt sie als Rassismus: „Greift uns nicht einfach in die Haare währenddessen ihr fragt, ,darf ich mal anfassen?‘! Wir sind weder Hunde noch Kuscheltiere!“

Alltagsrassismus sei in Dortmund allgegenwärtig: junge Männer würden am Club abgewiesen, die alte Dame in der Bahn greife ihre Handtasche etwas fester, wenn ein junger Schwarzer sich neben sie setze und ständig werde man gefragt, wo man herkomme: „Deutschland oder Dortmund ist den Leuten nie genug!“

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Große Anti-Rassismus-Demo in Dortmund: "Rassismus ist wie ein Virus"

Das Publikum hört Vanessa gebannt zu. Es spielt auch bei Vanessas Spiel mit. Alle müssen niederknien und sie stellt Fragen. Es stehe die auf, die die Fragen mit Ja beantworten. Es sind Fragen nach rassistischen Erfahrungen. Am Ende stehen viele Schwarz und nur wenige Weiße, diese knien immer noch. Weiße Menschen könnten sich jeden Tag aufs Neue aussuchen, ob sie sich mit dem Thema Rassismus beschäftigen - für Schwarze gelte das nicht.

Der älteste Teilnehmer ist 88 Jahre alt

Es sind verschiedene Gruppen zusammengekommen, um sich mit dem einladenden Bündnis „Silent Protest“ solidarisch zu zeigen. Bei solchen Gelegenheiten häufig dabei ist auch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Deren Fahne trägt Günther Bennhardt. Mit 88 Jahren ist er wohl der älteste aller Teilnehmer an diesem Samstag. Wenn es gegen Rassismus geht, muss er dabei sein, wie er sagt. „Ich habe das an mir. Mein Vater war im Zuchthaus wegen der Nazis.“ Er sagt Natzis, mit kurzem A und als wäre in der Mitte des Worts ein hartes Tz. Es klingt, als spucke er das Wort einfach aus. Mit Verachtung fügt er hinzu: „Ich möchte, dass die keine Chance mehr haben. So lange ich lebe, werde ich was gegen Nazis tun.“

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Anti-Rassismus-Demo auf dem Hansaplatz

Zu einer Demonstration gegen Rassismus kamen am Samstag etwas weniger als 500 Teilnehmer zusammen. Sie wiesen auf den Alltagsrassismus in Dortmund hin und hatten wichtige Botschaften auch für vermeintliche Nicht-Rassisten.
04.07.2020

William Dountio vom afrikanischen Bündnis, das zu Silent Protest und damit zu den Einladenden gehört, zieht eine Analogie zur allgegenwärtigen Corona-Bedrohung. „Rassismus ist wie ein Virus“, sagt er. Man sehe es nicht, man spüre es nur, wenn man betroffen sei. Aber: Wenn es nur einen Menschen gebe, der Rassismus erlebe, seien alle Menschen in Gefahr.

„Wir glauben an das Gute“

Auch wenn die Demonstration nicht mehr die große Masse an Menschen bewegt hat, so waren es nicht wenige, die sich an diesem Samstag solidarisch mit den Menschen zeigten, die jeden Tag Rassimus erleben. Und alle haben wichtige Botschaften mitgenommen, die sie vielleicht weitertragen. Abdel Lamar schöpft daraus Hoffnung: „Wir glauben an das Gute. Dafür soll man immer aufstehen. Jeder soll mit dem Gefühl für Brüderlichkeit im Herzen nach Hause gehen.“

*Aus Angst vor weiteren rassistischen Anfeindungen will Vanessa A. nicht, dass ihr Name ausgeschrieben wird.