Knapp 200 Menschen kamen in das Evakuierungszentrum in der Gesamtschule Scharnhorst. © Oliver Schaper
Bombenentschärfung
So war die Stimmung im Evakuierungszentrum in Scharnhorst
Leckeres Essen, ein Fußballquiz und Spiele: In Scharnhorst wurde während der Bombenentschärfung viel geboten. Auch der Oberbürgermeister war mit dabei.
In der Aula ist bis auf ein leises Murmeln im Hintergrund alles ruhig. Eine Frau mit einer pinken Daunenjacke zieht ihre Füße Schritt für Schritt über den Linoleum-Boden, ihren Oberkörper über den Rollator gebeugt.
Aus den Lautsprecherboxen vorne an der Bühne schallt leise spanische Musik; die Fernsehsendung „Wunderschön“ läuft daneben auf einer großen Leinwand. An einem Tisch sitzen ein paar Menschen und spielen „Mensch ärgere dich nicht“.
Während es in der Gesamtschule Scharnhorst eher ruhig vor sich geht, ist mehr als zehn Kilometer entfernt an den Städtischen Kliniken genau in diesem Augenblick der erste von zwei Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft worden, eine britische 250-Kilogramm-Bombe.
In der Scharnhorster Schule lenkten sich die Evakuierten ab und spielten beispielsweise „Mensch ärgere dich nicht“. © Oliver Schaper
Es handelt sich um eine der größten Evakuierungen der Nachkriegsgeschichte: Am Sonntagmorgen (12. Januar) müssen mehr als 13.000 Dortmunder ihre Wohnungen verlassen, weil zwei Blindgänger im Klinikviertel gefunden wurden.
Besonders spannend: Die Patienten von drei großen Krankenhäusern müssen ebenfalls evakuiert werden. Damit das alles reibungslos verläuft, wurde die Aktion bereits monatelang im Voraus geplant.
„Schule besonders komfortabel“
Dazu gehört auch, wohin die Anwohner gebracht werden. Die Antwort darauf löste Aufregung aus: In die Gesamtschule Scharnhorst, quasi am anderen Ende der Stadt.
Die Schule sei ausgewählt worden, weil man die Menschen dort besonders komfortabel unterbringen könne. „Deutlich über Turnhallen-Niveau“, meinte Oliver Nestler von der Dortmunder Feuerwehr vorab gegenüber unserer Redaktion.
Und mit Bus und Bahn könne man die Schule gut erreichen. Ganz so positiv gestaltet sich die Situation nicht für jeden. Aber noch mal ganz auf Anfang.
Sonntagmorgens um 7.30 Uhr ist es stockduster, selbst der Vollmond steht noch am Himmel. Vereinzelt sind Menschen auf den Straßen unterwegs, manche sogar mit einem Koffer im Schlepptau.
Die Haltestelle „Städtische Kliniken“ ist nicht wirklich voll. Es sind fast mehr Bahn-Mitarbeiter hier als Fahrgäste. Und das, obwohl dieser Bereich in wenigen Minuten bereits evakuiert wird. Als die Bahn Richtung Hombruch hält, steigen die meisten Menschen ein.
Überraschend leer ist es in der Bahn gewesen
In die Gegenrichtung bleibt es dagegen überraschend leer. Keine Menschentrauben, keine Lautsprecherdurchsagen, keine Schilder. Nichts.
An der Haltestelle „Reinoldikirche“ ist ebenfalls wenig los – für Menschen, die nicht regelmäßig mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, möglicherweise ein Problem. Denn nirgendwo sind Schilder zu sehen, die darauf hinweisen, wie man nach Scharnhorst umsteigen müsste.
Am Bahngleis steigt eine ältere Dame mit einer weißen Daunenjacke in die U42 nach Grevel ein und setzt sich auf einen der rot-schwarz-karierten Samtsitze. Ansonsten ist nur noch ein weiterer Mann im Wagen.
Ob sie auf dem Weg zur Gesamtschule Scharnhorst sei? Sie nickt. „Hier ist keiner da, den man fragen könnte, man fühlt sich echt allein gelassen.“
Sie habe es sich in der Bahn voller vorgestellt. Erika Meincke ist ihr Name. „Tja, die meisten werden wohl weggefahren sein“, sagt die 71-Jährige. Mehr als 20 Minuten geht es vorbei an Feldern nach Scharnhorst.
Der Autor Ben Redelings (r.) moderierte das Fußballquiz während der Evakuierung. Hier im Gespräch mit Oberbürgermeister Ullrich Sierau. © Oliver Schaper
Die letzte Strecke geht weiter mit dem Bus. Nach ein paar Minuten hält er vor einem großen, grauen Gebäude. Die Fahrgäste sind unruhig, eine Frau ruft nach vorne zum Busfahrer: „Sind wir da? Ist das die Gesamtschule?“ Der Busfahrer bejaht von vorne und zeigt auf den großen, grauen Klotz.
Auch Oberbürgermeister Ullrich Sierau war in Scharnhorst
Ein paar Stunden später, nach einem Nudel-Buffet und einem Fußballquiz, das von Autor Ben Redelings moderiert wurde und bei dem sich sogar Oberbürgermeister Ulrich Sierau beteiligte, passiert nur noch wenig in der Gesamtschule Scharnhorst. Es freunden sich wildfremde Menschen an, Kinder laufen herum und die Erwachsenen unterhalten sich oder lesen.
Es sind ungefähr 150 Menschen hier, ingesamt passen in die Räumlichkeiten mehr als 1000 Menschen. Im Vorhinein hatten die Experten mit 500 bis 700 Menschen gerechnet – also mit weitaus mehr, als bis jetzt kamen.
Mögliche Gründe? „Gerade weil dieser Einsatz sehr weit im Voraus geplant war, werden sich die Leute andere Orte gesucht haben, wo sie unterkommen“, so Martin Vollmer, der Pressesprecher der Johanniter-Unfall-Hilfe.
Martin Vollmer, Sprecher der Johanniter Dortmund, freut sich, dass alles glimpflich abgelaufen ist und zeigt sich zufrieden. © Oliver Schaper
Dafür ist hier genug Platz für alle. „Zu sagen, dass ich mich hier in der Gesamtschule wohlfühle, wäre übertrieben. Aber man bekommt was zu trinken und was zu essen, das ist schon gut so“, sagt Erika Meincke. Auch ihre Bekannte Annelie Römer meint, dass die Organisation im Großen und Ganzen gut gewesen sei – bis auf die Hinfahrt.
Erika Meincke (71) findet, dass die Hinfahrt nach Scharnhorst nicht zu 100 Prozent glatt gelaufen ist. © Paulina Würminghausen
„Hoffen wir, dass das nicht auch auf der Rückfahrt ein Problem wird“, fügt Erika Meincke hinzu. Denn mittlerweile ist auch die zweite Bombe erfolgreich entschärft worden und alle dürfen das Evakuierungszentrum verlassen.
Auch Erika Meincke und ihre Freundinnen machen sich auf dem Weg nach Hause. Es ist 17.15 Uhr, draußen ist es schon wieder dunkel.
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