Kippt Sexsteuer? „Solche Moralvorstellungen können nicht Grundlage einer Steuer sein“

Bordelle und Prostituierte werden voraussichtlich finanziell entlastet
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Gesellschaftspolitisch umstritten ist die Sexsteuer in Dortmund schon lange. Eingeführt wurde sie im Dezember 2010, nachdem die damals besonders klamme Stadt festgestellt hatte, dass Sexbetriebe so gut wie keine Steuern gezahlt haben, die Stadt aber gleichzeitig rund 600.000 Euro an Ausgaben für Gesundheits- und Sozialberatung pro Jahr hatte.

Außerdem flankierte die neue Steuer, die offiziell „Vergnügungssteuer auf sexuelle Dienstleistungen“ heißt, marktregulierend das damals verhängte Verbot der Straßenprostitution.

Bars und Clubs, in denen „sexuelle Vergnügungen“ angeboten wurden, mussten seitdem 4 Euro pro 10 Quadratmeter Veranstaltungsfläche und -tag zahlen und Prostituierte 6 Euro pro „Veranstaltungstag“. Insgesamt 750.000 Euro sollten so jährlich in den städtischen Haushalt fließen.

Mit Corona kam der Einbruch

Es wurden dann anfangs jährlich zwischen 516.000 und 582.000 Euro pro Jahr. 2019 kassierte die Stadt bei voller Öffnung der Betriebe nur noch 450.000 Euro abzüglich 28.500 Euro Verwaltungsaufwand, und dann kam Corona. Die Sexsteuer-Einnahmen brachen ein, 2020 auf netto 93.500 Euro.

Einmal mehr ein Grund für die Ratsfraktion FDP/Bürgerliste, die seit Jahren auf die Abschaffung der Sexsteuer drängt, ihren Antrag einmal mehr zu stellen. Dieses Mal wird ihr wohl mehr Erfolg beschieden sein; denn sowohl im Finanz- als auch im Sozial- und im Bürgerdienste-Ausschuss ist die Mehrheit geneigt, dem zuzustimmen.

Wegen des Verbots der Straßenprostitution nahezu im gesamten Stadtgebiet habe die Sexsteuer heute keine Lenkungswirkung mehr und gefährde stattdessen die Existenz vor allem von Swingerclubs und ähnlichen Einrichtungen, deren Betrieb höchstens individuellen Moralvorstellungen entgegenstünden, erklärte Michael Kauch, Fraktionschef von FDP/Bürgerliste: „Solche Moralvorstellungen können aber nicht Grundlage einer städtischen Steuer sein.“

„Ein Stück Diversität gekillt“

Zustimmung signalisierten SPD, Grüne und Die Linke+. Auch die Fraktion der Satirepartei Die Partei sprach sich für die Abschaffung der Steuer aus. Fraktionschef Olaf Schlösser wies darauf hin, dass die Schließung von Kneipen, Bars und Clubs der schwulen Szene mit der finanziellen Belastung durch die „Sexsteuer“ zusammenhänge. Damit habe man „ein Stück Diversität gekillt“.

Mitternachtsmission und die Aidshilfe halten die Steuer auch gesundheitspolitisch für kontraproduktiv. Aus Sicht der beiden Verbände können Prostituierte diese „hohe finanzielle Belastung“ nicht von ihren Kunden einfordern. Während Corona seien sie zudem in die Illegalität abgewandert und meist dort geblieben, verbunden mit dem höheren Risiko, Opfer von Gewalt und Ausbeutung zu werden.

Die CDU-Fraktion lehnt die Abschaffung der Sexsteuer ab. Andreas Brunner erläuterte, das habe angesichts einer nicht unerheblichen Geldeinnahme „handfeste finanzpolitische Gründe“.

Rechtsdezernent Norbert Dahmen erklärte im Bürgerdienste-Ausschuss, die Sexsteuer erfülle auch einen ordnungspolitischen Zweck, „um zu wissen, wer in der Stadt ist.“ Alle umliegenden Städte kassierten diese Steuer, die vor allem gewerblicher Art sei. Von den aktuell 114 Sex-Betrieben gäben 105 eine monatliche Steuererklärung ab. Bei den Prostituierten sind es nur acht oder neun.

In den Haushaltsberatungen

Laut Verwaltung gibt es seit Einführung der Sexsteuer keine nennenswerten Änderungen am Gesamtbestand von Bordellen und Wohnungsprostitution. Er sei seit Jahren nahezu gleich, eine Bestandsgefährdung durch eine erdrosselnde Wirkung der Steuer nicht festzustellen. Nach Betriebsaufgaben hätten sich regelmäßig neue Betriebe angesiedelt.

Eine formelle Entscheidung über die Zukunft der Sexsteuer steht aber weiter aus. Das Thema wurde in die Haushaltsberatungen für das Jahr 2023 geschoben.

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