Auch in Dortmund hat es eine große Demonstration gegeben, nachdem der US-Amerikaner George Floyd von einem Polizisten getötet wurde. Viele Dortmunder haben dabei ihre Erfahrungen mit institutionellem Rassismus geäußert.

Auch in Dortmund hat es eine große Demonstration gegeben, nachdem der US-Amerikaner George Floyd von einem Polizisten getötet wurde. Viele Dortmunder haben dabei ihre Erfahrungen mit institutionellem Rassismus geäußert. © Kevin Kindel

Rassismus bei der Polizei? – „Wir sind mit einer Fehlerquote unterwegs“

rnNach Kritik an Einsatz

Dortmunder Polizisten sollen bei einem Einsatz rassistische Beleidigungen geäußert haben. Jetzt spricht der Polizeipräsident über den „Wertekompass“ seiner Beamten und Präventionsmaßnahmen.

Dortmund

, 25.05.2022, 07:30 Uhr / Lesedauer: 4 min

„Ich hatte mal eine Freundin, die war total schockiert, weil sie ihr ganzes Leben lang nie mit der Polizei zu tun hatte - bis sie mich kennengelernt hat.“ Das sagt der Dortmunder Soziologe Aladin El-Mafaalani. „Dann hat sie auf einmal gesehen, wie oft man kontrolliert wurde.“

Sein Name deutet darauf hin, dass die Familie des Mannes mit dem dichten schwarzen Bart nicht seit vielen Generationen in Deutschland lebt. Aber mit Sicherheit sagen kann man das natürlich nicht, ohne mit ihm gesprochen zu haben. Am Montag (23.5.) gehörte Aladin El-Mafaalani zu den externen Dozenten, die von der Polizei Dortmund zur Rassismus-Sensibilisierung eingeladen worden waren.

„Es hat einen Nerv getroffen“

Die Gesprächsrunde mit knapp 100 Polizeikräften aus allen Direktionen hätte doppelt so groß werden können, wenn genug Platz da gewesen wäre. „Ich hab den Reaktionen hier entnommen, dass es einen Nerv getroffen hat, dieses Thema anzusprechen“, sagt Behördenleiter Gregor Lange.

Der Termin war schon lange geplant. Nach dem Auftakt im vergangenen Jahr soll nun regelmäßig der „Tag der Werteorientierung“ bei der Polizei Dortmund mit solchen Aktionen stattfinden. Und zufällig hat es an diesem Wochenende ein ganz aktuelles Fallbeispiel zum Thema gegeben, das Lange selbst anspricht.

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Drei Mädchen zwischen 14 und 17 Jahren sollen am Freitag (20.5.) zusammen auf einem E-Scooter gefahren sein. Sie seien vor Polizisten weggelaufen, bis sie gestellt wurden.

In einem Video sind Schreie zu hören und der Austausch: „Warum sind Sie so gewalttätig?“ - „Weil wir die Polizei sind, verdammt noch mal.“ Außerdem sollen rassistische Beleidigungen gefallen sein, zum Beispiel wird den Polizisten der Satz „Wir sind hier nicht in Kurdistan“ vorgeworfen.

„Müssen mit dem richtigen Maß reagieren“

„Ich glaube, alle Beteiligten sind sich im Klaren darüber, dass wir da unglücklich agiert haben als Polizei“, sagt Gregor Lange. Mit Provokationen der Beschuldigten sei es „nach allem Anschein im Moment“ eine herausfordernde Situation gewesen, aber: „Wir müssen mit dem richtigen Maß darauf reagieren.“

Polizeipräsident Gregor Lange (v.l.), Zeynep Kartal, David Czudnochowski, Aladin El-Mafaalani und Kenan Küçük haben mit knapp 100 Polizeikräften über Rassismus gesprochen.

Polizeipräsident Gregor Lange (v.l.), Zeynep Kartal, David Czudnochowski, Aladin El-Mafaalani und Kenan Küçük haben mit knapp 100 Polizeikräften über Rassismus gesprochen. © Kevin Kindel

„Natürlich wissen wir, dass der Anspruch und die Lebenswirklichkeit nicht immer in allen Punkten deckungsgleich sind“, sagt der Polizeipräsident. Ihm sei bewusst, dass sich die Polizei „Risiken im Berufsalltag ausgesetzt sieht, wo sich auch rassistische Gedankenlosigkeiten oder Verhalten zeigen können“. Er betont aber: Polizeibeamte müssen immer ihrer Verantwortung gerecht werden und in Sekundenbruchteilen möglichst emotionslos korrekt reagieren.

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Ein zentrales Thema bei der Präventionsveranstaltung war die Frage, welches Verhalten überhaupt rassistisch ist. Dabei stehe nicht alles in diesem Bereich auf der Skala an derselben Stelle, so Lange: „Es gibt Absichtsformen mit der ganz gezielten Herangehensweise, ein Gegenüber auszugrenzen.“

Gleichzeitig gebe es auch „andere Formen, die im Unbedachten liegen und eine Reflexion erfordern“, sagt er: „Für mich ist es so, dass man einen Wertekompass nicht einmal hat und nie wieder verliert.“ Immer wieder müsse man diesen wie einen Muskel trainieren, weil er sonst verkümmert. Eine einmalige Ausbildung reiche nicht. Und man wolle als Arbeitgeber denjenigen den Rücken stärken, die sich korrekt verhalten.

„Wir sind auf einem guten Weg“

Sehr offen habe man bei der Veranstaltung über das Thema und eigene Erfahrungen gesprochen, berichten die Beteiligten. Zeynep Kartal und Kenan Küçük vom Multikulturellen Forum haben auch beobachtet, dass manche Teilnehmenden durchaus unsicher gewesen seien bei der Bewertung, ob einzelne Aussagen nun rassistisch seien oder nicht.

„Wir sind auf einem guten Weg“, sagt Küçük: „Wir haben noch Probleme, aber die Gesellschaft ist offener geworden.“ Es sei ein gutes Zeichen, dass es in der Polizeibehörde inzwischen so eine Veranstaltung gibt. Um die Offenheit zu gewährleisten, sollte die Veranstaltung ohne Journalisten stattfinden. Stattdessen gab es im Anschluss ein gemeinsames Gespräch darüber.

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Einer, der einen besonderen Blick auf die Diskussion hat, ist David Czudnochowski. Der Soziologe der Uni Freiburg hat Polizeikräfte in verschiedenen deutschen Städten monatelang in Streifenwagen begleitet. „Die Kategorie ‚südländisches Aussehen‘ grenzt die möglichen Tatverdächtigen nicht ein“, sagt er etwa. Diese Aussage helfe der Polizei nicht bei der Suche. Viel wichtiger seien konkrete Merkmale wie zum Beispiel bestimmte Kleidungsstücke.

„Der Polizeialltag ist sehr stark von den Revierbereichen abhängig, also auch von der Umwelt, in der sie agieren“, sagt Czudnochowski. Man müsse sich frei machen vom Bild eines „üblichen Verdächtigen“. So könne eine „Ethnisierung von Kriminalität stattfinden, die eigentlich mit Kriminalstatistiken nichts zu tun hat“. So ein Denken kann dann im Alltag dazu führen, dass bestimmte Menschen anders behandelt und beispielsweise häufiger kontrolliert werden als andere.

„Anredemanagement“: Du oder Sie?

„Unrechtmäßiges, unterscheidendes Verhalten hat nicht immer die Monstrosität, die man vielleicht so vor Augen hat“, sagt der Soziologe. Das können auch ganz banale Muster sein, er spricht etwa vom „Anredemanagement“. Sprechen Polizisten jemanden direkt mit „Du“ an, zeigten sie damit, dass sie nicht besonders viel Respekt vor der Person haben. Polizeibeamte müssten sich bewusst sein, was so etwas mit den Menschen macht.

„Man kann als junger Polizeibeamter oder Polizeibeamtin hier auftauchen und ist voller Ideale“, sagt Gregor Lange. Trotzdem könne es vorkommen, dass sich durch das Erlebte über die Jahre Verschiebungen im eigenen Weltbild ergeben. Auch in Dortmund sind im vergangenen Jahr Fälle rechtsextremer Gesinnung bekannt geworden, die Lange als „Worst Case“ bezeichnete.

„Wie kann das sein, dass sich über Jahre hinweg so etwas aufbaut?“, fragt der Chef. Man arbeite immer weiter an einem Frühwarnsystem, ein Extremismusbeauftragter ist installiert worden. Eine psychologische Fachkraft wurde eingestellt, die mit Einsatzkräften „Alltagsreflexion“ leistet.

Aber: „Wir können nichts garantieren“, sagt der Polizeipräsident, „wir sind mit einer Fehlerquote unterwegs.“ Es gebe wohl immer Menschen, die sich solchen Maßnahmen entziehen. Allen Führungskräften sei klar, dass es Sanktionen geben muss, wenn bestimmte Verhaltensmuster auffallen.

Engagement um mehr Vertrauen zu bekommen

Man wolle als Polizei nicht nur das Vertrauen von Teilen der Bevölkerung haben - sondern möglichst von allen. Dabei sei ein wichtiger Punkt, im Blick zu haben, wen man als Verdächtige behandelt. Denn Menschen, die da schlechte Erfahrungen machen, haben eher weniger Vertrauen in die Polizei.

Aladin El-Mafaalani sagt: „Es gibt institutionelle Strukturen, die rassistische Handlungen wahrscheinlich machen.“ Wenn man in den komplexen, unübersichtlichen Situationen, in denen Polizeikräfte häufig agieren, nicht aufpasse, könne es passieren, dass „Vorurteilsstrukturen, die alle haben, wirksam werden“.

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Dabei meine er nicht den absichtsvollen, böswilligen Rassismus. „Das meiste, was wir an Ungleichbehandlung messen können, ist ganz legal.“ Der immer vorhandene Handlungsspielraum werde aber gegenüber verschiedenen Bevölkerungsgruppen anders genutzt.

Die Forschung zeige übrigens, dass das nicht exklusiv ein Problem der Polizei, sondern zum Beispiel auch bei Lehrkräften sei. Systematisch über viele Jahre müsse man so ein Verhalten bearbeiten - so wie das Training des Werte-Muskels.

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