NRW zählt weniger Wohnungslose in Dortmund – wie sieht die Realität aus?

© Stephan Schuetze

NRW zählt weniger Wohnungslose in Dortmund – wie sieht die Realität aus?

rnWohnungsnotfallstatistik 2020

1666 Menschen sind laut einer Statistik des Landes 2020 in Dortmund wohnungslos gewesen – knapp weniger als 2019. Das Stadtbild sieht anders aus. Warum es Obdachlosen weiter schlecht geht.

Dortmund

, 01.09.2021, 11:20 Uhr / Lesedauer: 2 min

1666 Wohnungslose zählte das Arbeitsministerium NRW 2020 in Dortmund. Das sind 15 weniger als im Vorjahr. Auf Landesebene geht die Zahl jedoch deutlich nach oben, und zwar um 7,2 Prozent. Experten sagen: Die Lebenssituation der Obdachlosen hat sich durch Corona eher verschlechtert als verbessert.

2020 in NRW knapp 50.000 Wohnungslose gezählt

Die Zahlen zur Obdachlosigkeit in NRW 2020 veröffentlichte das Landes-Arbeitsministerium unlängst in der „Integrierten Wohnungsnotfall-Berichterstattung“. Demnach sind knapp 50.000 Menschen 2020 in NRW wohnungslos gewesen – 7,2 Prozent mehr als 2019.

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In Dortmund ist diese Zahl um 0,9 Prozent auf 1666 gesunken. Pro 10.000 Einwohner waren 2020 in Dortmund 28 Menschen wohnungslos. NRW-weit liegt Dortmund mit diesem Wert auf Platz 16.

Jedoch erfasst die Wohnungsnotfallstatistik nur die Menschen, die kommunal, ordnungsrechtlich oder über freie Träger der Wohnungshilfe untergebracht oder den Fachberatungsstellen als wohnungslos bekannt sind. Diejenigen, die auf der Straße leben oder dauerhaft bei Bekannten unterkommen und dem Hilfesystem nicht gemeldet sind, tauchen darin nicht auf.

Experte: Großer Teil werde von Statistik missachtet

„Ich befürchte, dass diese Zahlen das reale Maß an Wohnungslosen nicht recht wiedergeben“, sagt Professor Dierk Borstel auf unsere Anfrage. Er ist Sozialwissenschaftler an der FH Dortmund und hat zum Thema Obdachlosigkeit geforscht.

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„Gerade in Dortmund sind viele Menschen wohnungslos, wollen aber nicht als solche erkannt werden“, sagt er. „Das kann verschiedene Motive haben: Scham, fehlendes Vertrauen, Angst vor Gewalt und verschiedene andere.“ Sie seien den Hilfestrukturen oft nicht bekannt. „Damit fällt der große Teil aus der Statistik raus, der es möglicherweise am schwierigsten hat“, so Borstel.

Er erkennt eher einen Gegentrend zu den Dortmunder Wohnungslosen-Zahlen: Dass Corona das Leben der Obdachlosen erschwert. Zum Beispiel seien zeitweise Hilfe-Einrichtungen geschlossen oder ihr Betrieb nur eingeschränkt möglich gewesen. Aufgrund dieser Wahrnehmung hält Borstel die Zählung für „wenig aussagekräftig.“

Wohnungslosen-Zahl der ZBS Dortmund sei gestiegen

Barbara Köster, stellvertretende Leiterin der Zentralen Beratungsstelle

für wohnungslose Menschen (ZBS) Dortmund, bewertet auf Anfrage die Statistik ähnlich wie Borstel. Die Zahl der Wohnungslosen, die allein die ZBS Dortmund festgestellt hat, sei von 2019 auf 2020 sogar nach oben gegangen: Von 585 auf 635.

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Köster hat ein anderes Phänomen festgestellt: Die Beratungen von Wohnungslosen hätten länger gedauert. Sie sagt: „Die Arbeit ist schwieriger geworden. Versorgungsangebote sind weggebrochen. Die Menschen konnten weniger selber machen, weil vieles nur digital lief. Das sind viele Hindernisse.“