Finanzielle Probleme, radikale Experimente mit freiem Eintritt und eine unsichere Zukunft für den Tresor.West: Diese Nachricht hat viele Menschen innerhalb und außerhalb der Dortmunder Nachtleben-Szene bewegt.
Viele leiten daraus zentrale Fragen ab: Wie steht es um die Stabilität der Nachtwirtschaft in Dortmund? Sind Clubs und andere Veranstaltungsstätten in Gefahr und damit in Summe Hunderte Arbeitsplätze in Dortmund?
„Bittere Realität“
Leonard Raffel, Club-Manager aus dem Team des Tresor.West wählt klare Worte: „Es ist die bittere Realität, dass diese Möglichkeit auszugehen, die wir für selbstverständlich halten, wegfallen kann.“
Wichtig ist deshalb vorab diese Erkenntnis: Die Dortmunder Club-Szene - also etwas weiter gefasst alle, die zu Musikveranstaltungen mit Tanz oder Konzert beitragen – ist zäh. „Kein Dortmunder Club ist akut davon bedroht, zu schließen“, konstatiert der Dortmunder Nachtbeauftragte Chris Stemann.
Weiter magische Momente
Außen mag Krise sein, aber das Dortmunder Nachtleben produziert weiter magische Momente. Schwitzige Enge im Tresor.West. Musiksessions im „Oma Doris“, die viral gehen. 400 Menschen im Domicil, die eine Dortmunder Band feiern. Oder für andere Geschmäcker auch eine Ballermann-Nacht in einem Laden anderer Couleur. Dortmund lebt. Auch nachts.
Zugleich ist „Clubsterben“ ein reales Problem. Zu Jahresbeginn verabschieden sich in vielen Großstädten bekannte Namen. Es gibt diverse Umfragen unter Clubbetreibenden in Deutschland, die ernüchternd bis alarmierend sind. 77 Prozent berichten von starken finanziellen Problemen. In Berlin denkt fast die Hälfte der Befragten über eine Schließung noch in 2025 nach.
Das Bündel an Problemen ist überall gleich bestückt: Viele sparen beim Ausgehen, kommen seltener und gezielter. Zugleich steigen laufende Kosten, um überhaupt Veranstaltungen durchführen zu können, in absurde Höhen. Chris Stemann nennt ein markantes Beispiel: „Es gab in Dortmund allein drei Clubs, die Silvester nicht geöffnet haben, weil die Kosten für die Security zu hoch geworden wären.“
Yves Oecking, Inhaber des Weinkeller und Teil der IG Club- und Konzertkultur, organisiert Partys für ein Publikum zwischen 18 und 25 Jahren. Viele seiner Gäste studierten oder machten eine Ausbildung. Die Inflation mache sich gerade bei kleinen Einkommen besonders bemerkbar, sagt der Clubbetreiber.

Hype nach der Wiedereröffnung
„Als die Clubs 2022 wieder öffnen durften, hat die ganze Szene aufgeatmet. 2023 war aber der erste Hype weg. Die Leute hatten sich ausgefeiert und dann kam die nächste Krise“, sagt er. Mehrere andere Clubbetreiber beschreiben die gleiche Dynamik.
Es sei vermessen, den Menschen zu sagen, dass sie mal wieder mehr ausgehen sollen, wenn sie kein Geld in der Tasche haben. „Wir arbeiten mit einem Luxusgut, an dem die Menschen als erstes sparen“, sagt Oecking.
Die Zahl der Partygänger wird insgesamt kleiner. Und diejenigen, die kommen, lassen weniger Geld da. „Mein Getränkehändler spricht von 30 Prozent Umsatzrückgang bei Clubs“, sagt Oecking.
Auch er merke, dass weniger Leute in den Weinkeller kommen. Noch passt die Kalkulation für ihn: „Im Weinkeller können wir uns aber nicht beschweren, wir hatten im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2023 einen Umsatzrückgang von 3 Prozent.“
Äußere Bedigungen in Dortmund
Bei den anderen Clubbetreibern in Dortmund sei es seines Wissen nach nicht so, dass sie unmittelbar davor stünden, das Handtuch zu werfen. Aber er wisse auch: „2024 war für viele kein einfaches Jahr. Das führt dazu, dass man sich dort Gedanken über Preise und Konzepte macht.“
An den äußeren Bedingungen ist in den vergangenen Jahren teils erfolgreich geschraubt worden. Die Sperrstunde ist aufgehoben, was eher symbolischen Charakter hatte, weil das einen jahrelangen Streit beendete.
„Wir haben hier in den vergangenen Jahren beste Arbeitsbedingungen geschaffen“, sagt der Nachtbeauftrage Chris Stemann. Viele Betreiber honorieren das Engagement. Die grundlegenden Fragen nach einem zukunftsfähigen Geschäftsmodell sind damit aber nicht gelöst.
Deshalb versteht etwa der Tresor.West das Posting zur aktuellen Situation auch als Weg, die Aufmerksamkeit auf größere Fragen zu lenken. Dazu zählt etwa mehr Unterstützung durch die Politik – in der allerdings der Trend gerade eher dahin geht, die ohnehin schon knappen Budgets weiter zu kürzen.
Ein Erklärungsansatz für Krise der Nachtkultur liegt in einem veränderten Ausgehverhalten jüngerer Menschen. „Durch Social-Media musst du nicht mehr unbedingt vor die Tür gehen, um Leute kennenzulernen.“ Es gibt den Trend zu einem bewussteren Lebensstil, in dem zeitlicher und körperlicher Exzess, womit Clubkultur oft verbunden wird, keinen Platz haben.
Vieles davon bleibt spekulativ, zumal es immer noch Menschen gibt, die Tanzen gehen. „Aber es fehlt eine Generation von Clubgängern, die nicht herangeführt wurde“, sagt Moritz Muggenthaler. Er betreut den Bereich NRW für das Nightlife-Portal „Rausgegangen“ und ist dadurch mit vielen Clubs und Veranstaltern seit Jahren im Austausch.
Niemand eröffnet mehr einen Club
Er teilt die Beobachtung, dass es für viele schwieriger geworden ist. Und leitet daraus etwas ab, das noch eine weitere Seite des Begriffs „Clubsterben“ beschreibt. „Man kann schon davon ausgehen, dass die Zahl zurückgeht, weil sich kaum noch lohnt, etwas Neues zu eröffnen“, sagt Muggenthaler. Unter den jetzigen Bedingungen sei das ohne einen Investor oder hohe Rücklagen kaum möglich. „Clubsterben“ umfasst also auch die Clubs, die einfach nicht mehr eröffnen, anders als das bis in späten 10er-Jahre noch üblicher war.
Für die bestehenden Clubs sei es umso wichtiger, bei den Konzepten beweglich zu bleiben. „Das können etwa Day Partys sein, die morgens ohne Alkohol laufen, oder Events, die früher am Abend zu Ende sind, um ein anderes Publikum zu erreichen“, sagt er.
Neue Generation
Deshalb ist in der gesamten Multi-Krisen-Lage aber auch eine Entwicklung erkennbar. Eine neue Generation von Kulturschaffenden tritt selbstbewusster auf. Vieles funktioniert hier nicht mehr in den klassischen „Betreiber“-Strukturen mit festen Orten und hohen Kosten.
Matthias Spruch passt in dieses Muster. Er ist Musiker und Konzert-Veranstalter unter dem Label „Bunt oder Blau“ und als solcher an verschiedenen Orten mit Events aktiv. Er kennt die Probleme auf beiden Seiten, aber auch die kreativen Möglichkeiten. „Am Ende sind wir als fliegende Veranstalter darauf angewiesen, dass es diese Club-Orte gibt“.
Er betont: „An jeder Ecke wird in Dortmund gut gearbeitet. Hier entstehen Dinge, über die in London und anderswo die Leute reden“, sagt er. Die „gute Kulturarbeit“ werde aber zu häufig ignoriert – oder erst durch Krisenmeldungen wie aus dem Tresor.West beachtet.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 11. Januar 2025.