2012: Elif Kubasik, Witwe des von Rechtsterroristen ermordeten Mehmet Kubasik, bei Enthüllung einer Gedenktafel für ihren Mann. © Foto: Peter Bandermann
Rechtsterrorismus
Mord an Mehmet Kubasik: 16 Jahre nach dem „Staatsversagen“
Vor 16 Jahren ermordeten Rechtsextremisten in Dortmund den Kiosk-Besitzer Mehmet Kubasik. Der Blick auf die Jahre seit dem Ereignis ist schmerzhaft. Was hat die Stadt seitdem gelernt?
Vor 16 Jahren, am 4.4.2006, starb Mehmet Kubasik in seinem Kiosk an der Mallinckrodtstraße 180 um kurz vor 13 Uhr durch zwei Schüsse in den Kopf.
Abgefeuert wurden die Kugeln von den Rechtsterroristen Uwe Bönhardt und Uwe Mundlos, die gemeinsam mit Beate Zschäpe als so genannter „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zwischen 2000 und 2007 insgesamt zehn Morde sowie Sprengstoffanschläge und Raubüberfälle in Deutschland verübten.
Das Bild zeigt Mehmet Kubasik, der von der die Neonazi-Terrorzelle NSU ermordet wurde. © dpa
Ein rechtes Netzwerk, das bis nach Dortmund reicht
Durch Erkenntnisse aus dem Prozess gegen Beate Zschäpe und aus mehreren parlamentarischen Untersuchungsausschüssen gilt es als gesichert, dass der NSU als Netzwerk mit bis zu 200 Personen im Hintergrund gearbeitet hat - auch in Dortmund.
Die Terror-Serie hat Deutschland verändert. Sie hat auch Dortmund verändert. Bis heute wirkt der 4.4.2006 tief in die Stadtgesellschaft hinein.
Die Forderungen der Familie Kubasik
Mehmet Kubasiks Tochter Gamze und seine Frau Elif haben oft über ihre offenen Fragen gesprochen, in den vergangenen 16 Jahren.
Auf den jährlichen Gedenkveranstaltungen für die Opfer, in einem Buch, in Artikeln und TV-Beiträgen. Im quälend langen Prozess, in dem die Familie als Nebenklägerin auftrat, der im Juli mit der Verurteilung zu lebenslanger Haft abgeschlossen wurde.
Im April 2020 schrieb Gamze Kubasik in einem offenen Brief an die Richterinnen und Richter des Prozesses in München: „Alle weiteren Helfer und Täter müssen endlich ermittelt werden. Auch in Dortmund. Ich will nicht weiter das Gefühl haben, jeden Tag weitere Täter zu treffen.“
Neuer rechter Terror statt weiterer Aufklärung
Am 4. April 2022 wird es wieder eine Gedenkveranstaltung geben. Es wird ein weiteres Mal konstatiert werden müssen, dass die Aufklärung nicht weiter gegangen ist.
Sondern, dass sie im Gegenteil überlagert wird durch eine Debatte über neuen rechten Terror in Deutschland. Denn wer über Hanau und Halle redet, der redet auch über das, was vor 16 Jahren in Dortmund passiert ist.
Es ist mühsam, beinahe körperlich schmerzhaft, sich durch den NSU-Komplex zu graben. Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses im NRW-Landtag haben dies bis 2017 getan. Es finden sich einige Verbindungen nach Dortmund.
Viele Hinweise auf Kontakte nach Dortmund, aber nur wenige Beweise
Da sind Briefkontakte zwischen Zschäpe und einem Dortmunder Neonazi. Es gibt Patronenschachteln, die am ausgebrannten NSU-Versteck in Zwickau gefunden wurden und mit dem Namen „Siggi“ beschriftet waren – möglicherweise ein von Ermittlern nie untersuchter Hinweis auf den mittlerweile verstorbenen Dortmunder Neonazi Siegfried Borchardt.
Hinzu kommen Kontakte des NSU-Trios zu Combat-18-Vereinigungen in Dortmund und etliche weitere Beziehungen zwischen Mitgliedern der rechten Szene dieser Zeit.
Es gibt Erkenntnisse über die Vorbereitung des Mordes an Mehmet Kubasik, nach denen offenbar auch mithilfe lokaler Helfer über 20 weitere Ziele in Dortmund ausgespäht wurden.
Warum es letztlich den Kiosk-Besitzer an der Mallinckrodtstraße traf, den seine Tochter einmal als einen „ehrlichen, aufgeschlossenen Menschen, der ganz viele Späße gemacht hat“, beschrieb, ist bis heute eine der vielen unbeantworteten Fragen der Familie.
Informationen, die helfen könnten, aus vielen Annahmen Beweise zu machen, sind unter Verschluss. Das hinterlässt bis heute ein Gefühl der Ungerechtigkeit.
Traumatisiert durch das Versagen des Rechtsstaats
Die Angehörigen von Mehmet Kubasik und weiteren NSU-Opfern sind durch ein Gefühl des Versagens des Rechtsstaats geradezu traumatisiert worden. Das hat seine Ursache in den ersten Monaten nach dem Ereignis.
Die Polizei ermittelte zunächst nicht wegen eines rassistischen Motivs, obwohl es Zeugenaussagen über Personen gab, die „wie Nazis“ ausgesehen hätten. Stattdessen stand der Verdacht von Drogenhandel und Mafia-Strukturen im Raum.
Volkan Baran, Dortmunder Landtagsabgeordneter für die SPD und damals Mitglied im Ausländerbeirat, sagt mit Blick auf diese Zeit : „Sie haben ihr gesamtes soziales Umfeld verloren, weil es hieß, dass die Polizei davon ausgeht, dass ihr Mann und Vater ein Drogenhändler sei.“
Familie und Freunde wurden befragt. Gleichzeitig gingen diskriminierende und rassistische Begriffe wie „Döner-Morde“ durch die Medien. Die Deutsche-Presse-Agentur benutzte den Begriff noch Ende 2011. Angehörige empfinden das als „Entmenschlichung“ der Opfer.
Die dramatische Ahnungslosigkeit der Öffentlichkeit und der Medien
Ein Jahr nach dem Mord berichten die Ruhr Nachrichten 2007 zum Stand der Ermittlungen: „Die Ermittler gehen davon aus, dass der Killer ein Kurierfahrer, ein Vertreter oder ein Lkw-Fahrer ist. Dass er die Tötungen im Auftrag einer kriminellen Vereinigung vollstreckte, erscheint unwahrscheinlich.“
Ein Bild vom Tatort an der Mallinckrodtstraße im April 2006. © Nils Foltynowicz (Archivbild)
Es wird ein „renommierter Münchener Profiler“, Alexander Horn, mit den Worten zitiert: „Vielleicht hatte der Täter eine Auseinandersetzung mit einem Türken oder ein negatives Erlebnis im Türkei-Urlaub.“
Der Leiter der damaligen „Sonderkommission Bosporus“, Wolfgang Geier, sagte damals, er rechne damit, dass der Täter wieder töten werde. Nur zwei Tage nach Mehmet Kubasik starb Halil Yozgat in seinem Internetcafé in Kassel.
Dortmunder Landtagsabgeordneter: „Das war Staatsversagen“
Volkan Baran nennt den Umgang mit dem NSU-Komplex „Staatsversagen“. Dass Akten geschreddert oder wie im Fall des hessischen Verfassungsschutzes für Jahrzehnte unter Verschluss gehalten werden, „darf in einer parlamentarischen Demokratie nicht sein“.
Privates Bündnis organisiert Gedenkveranstaltung an der Steinstraße
Das „Bündnis Tag der Solidarität“ organisiert in engem Einvernehmen mit der Familie seit Jahren einige Gedenkveranstaltungen und Schulungen zum Thema.
Diese sollen auch ein Zeichen für den Kampf um eine Gesellschaft sein, „in der Rassismus keinen Platz hat und wir gemeinsam unsere Zukunft gestalten“.
Die Veranstalter sehen eine „nicht enden wollende Verharmlosung und Vertuschung extrem rechter Verbrechen und des Rassismus‘ in unserer Gesellschaft“.
Aktivist: „Viele wissen nichts mehr über den Fall.“
Im Gespräch mit dieser Redaktion berichtet ein Aktivist aus seiner Erfahrung in Schulen und Workshops: „Viele in Dortmund wissen nichts mehr über den Fall oder kennen die Hintergründe nicht, dass Akten geschreddert wurden, oder wie mit den Betroffenen umgegangen wurde.“
Das Mahnmal für die Opfer des NSU-Terrors an der Steinstraße. © Oliver Schaper
Aufklärung sei deshalb an jedem einzelnen Tag wichtig, an dem sich Alltagsrassismus wiederhole und Taten wie in Hanau relativiert werden.
Die Dortmunder Gedenkorte
Es gibt in Dortmund drei Orte, die an Mehmet Kubasik erinnern. An der Stelle, an der sich der Kiosk befand, liegt eine kleine Gedenktafel.
Es gibt einen Gedenkstein für alle Opfer des NSU-Terrors an der Steinstraße, am Nordausgang des Hauptbahnhofs. 2013 fielen kurz nach der Errichtung Fehler bei den Todesdaten auf und mussten korrigiert werden.
Der Mehmet-Kubasik-Platz an der Münsterstraße/Mallinckrodtstraße. © Oliver Schaper
2017 wurde der Mehmet-Kubasik-Platz nahe der Münsterstraße eingeweiht. Das ist ein Zeichen, dass es Dortmund ernst ist, mit diesem Teil seiner Geschichte würdig umzugehen.
Der Landtagsabgeordnete Volkan Baran wünscht sich dennoch, dass es in Zukunft ein offiziell von der Stadt veranstaltetes Gedenken gibt. „Der NSU hat die Geschichte von Deutschland verändert. Es wird der Sache nicht gerecht, wenn man die Erinnerung daran einem Privatverein überlässt.“
Dieser Text wurde erstmals am 4. April 2021 veröffentlicht. Wir haben Ihn vor der Wiederveröffentlichung an einigen Stellen aktualisiert.
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