Beate Zschäpe wurde des zehnfachen Mordes schuldig gesprochen. Gamze Kubasik, Tochter des Dortmunder NSU-Mordopfers, zog bereits am Tag davor ein Fazit zum Prozess. Es ist kein gutes.
Nach fünf Jahren und 437 Verhandlungstagen im sogenannten NSU-Prozess ist am Mittwoch das Urteil verkündet worden. Die Hauptangeklagte, Beate Zschäpe, ist zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Zehn Menschen starben, einer von ihnen, Mehmet Kubasik, in Dortmund. Zwei Sprengstoffanschläge wurden verübt, 15 Raubüberfälle begangen. Für die Angehörigen bleiben trotz des Urteils noch Fragen offen.
„Es wird keine gerechten Strafen geben“
„Auch wenn die Strafen vermutlich gerecht sein werden, wird es keine gerechten Strafen geben“, sagt am Dienstag Gamze Kubasik in München. Dieser Satz der Tochter von Mehmet Kubasik ist nur vordergründig widersprüchlich.
Kubasik ist Tochter des achten Mordopfers Mehmet Kubasik, sie sitzt am Tag vor der Urteilsverkündung auf einem Münchener Podium. Gemeinsam mit ihrem Anwalt und drei weiteren Opfern des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Sie alle als Teil der Nebenklage wollen klarstellen, was am Tag der Urteilsverkündung vermutlich untergehen wird. Ihre Sicht der Dinge auf den Prozess. Man muss nicht lange in die Gesichter schauen, um festzustellen: Diese, ihre Sicht der Dinge, ist keine gute.
Beginn einer Aufarbeitung, die Jahre dauern würde
Als am 4. November 2011 ein Wohnmobil in Eisenach brannte und in ihm die Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt lagen, war das der Beginn der Aufdeckung des NSU. Vier Tage später stellte sich eine Beate Zschäpe der Polizei in Jena. Zuvor verschickte sie 15 Bekennervideos, auf denen sich der NSU zu seinen Anschlägen und Morden bekannte. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gelten seitdem als das Kerntrio des NSU. Mit dem Auftauchen dieser Terrorgruppe hätte ein neues Kapitel im Leben der Familie Kubasik, im Leben der anderen Opferfamilien beginnen können. Jahrelang waren sie zuvor verdächtigt worden, waren ihre Toten verdächtigt worden, mit Drogen gehandelt zu haben oder in der Mafia gewesen zu sein. Der NSU habe ihren Vater ermordet, sagt Gamze Kubasik gestern. Und weiter: „Die Ermittler haben seine Ehre kaputtgemacht. Sie haben ihn damit zum zweiten Mal getötet.“
Kubasik ist seit 2011 eines der prägnanten Gesichter der Opferfamilien geworden, was erstaunlich ist, da sie kein Mensch ist, der in die Öffentlichkeit drängt. Doch sie sprach. Kurz nach der Selbst-Enttarnung des NSU. Vor dem Gericht in München wie vor dem Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag. Und vorher, im Februar 2012, bei einem Staatsakt in Berlin, der zentralen Trauerfeier für die Opfer des NSU. Hier versprach Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass der Staat alles tue, „um die die Morde aufzuklären und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen“.
Gab es nur das „Kerntrio“?
Als dieses Versprechen gegeben wurde, da war es einen Moment lang so, als könnte diese grausame Geschichte doch noch irgendwie versöhnlich enden. Mit einem Staat, der lückenlos aufklärt, der die Hintermänner findet. Dieses Versprechen wurde nicht gehalten und so ist dann auch der Satz zu verstehen, dass es, auch wenn es gerechte Strafen geben wird, keine gerechten Strafen geben kann. Denn nach wie vor, davon ist Kubasik, davon ist ihr Anwalt überzeugt, gibt es in Deutschland Menschen, die den NSU unterstützt haben und heute frei herumlaufen.
Diese These wird nicht nur von Anwälten oder Opferfamilien als Realität angesehen. Es gibt zahlreiche Polizisten und auch den CDU-Bundestagsabgeordneten Clemens Binninger, die ausschließen, dass das Trio und die mitangeklagten vier Personen eine Spur des Terrors alleine durch Deutschland ziehen konnte. Über Dortmund etwa hatte das Kerntrio Kartenmaterial. Darauf waren mögliche Anschlagsziele in der Stadt eingezeichnet, teilweise waren sie mit detailliertesten Zusatzinformationen versehen. Wie hätten die Täter eine solche Karte von Zwickau aus ohne Ortskenntnis erstellen sollen?
Weiter war in dem Kiosk, in dem Kubasik starb, eine Kamera installiert. Sie war außer Betrieb. Das aber konnte nur wissen, wer Kunde im Kiosk war und sich zuvor danach erkundigt hatte. Die Täter ignorierten damals die Kamera komplett. Es gibt weitere Auffälligkeiten wie diese. Die vor Gericht nicht aufgeklärt wurden. Und so wurde aus dem Aufklärungsversprechen letztlich eine einzige Enttäuschung.
Fünf Forderungen könnten der Enttäuschung abhelfen
Gamze Kubasik, die am Dienstag auch stellvertretend für ihre Mutter Elif Kubasik auf dem Podium sitzt, sagt, sie habe jahrelang auf Antworten gewartet, nach denen sie abschließen und nach vorne blicken könne. „Jetzt bin ich total enttäuscht.“ Kubasik äußert in München fünf Forderungen: Sie möchte, dass alle Helfer, die man kennt, endlich angeklagt werden. Sie fordert zweitens, dass alle weiteren Täter und Helfer endlich ermittelt werden. „Auch in Dortmund! Ich will nicht weiter das Gefühl haben, jeden Tag auf der Straße weitere Täter zu treffen. Das muss aufhören.“ Sie will drittens wissen, „wie genau mein Vater als Opfer ausgewählt wurde“. Sie möchte erfahren, warum es viertens keine richtigen Ermittlungen zu weiteren Helfern gab. Und sie möchte fünftens, dass der Verfassungsschutz „endlich sagt, was er wusste“. Der observierte um den Tattag herum in der rechten Szene in Dortmund, wurde aber in die Ermittlungen der Mordkommission nicht eingebunden.
Auf Gamze Kubasiks rechtem Unterarm steht „Mehmet Kubasik“. Der Name steht auch auf der Gedenkstele, einer Basaltsäule an der Auslandsgesellschaft. Wer gestern von dort zum ehemaligen Kiosk läuft, findet auf dem Weg ein, zwei Aufkleber. Kein Schlussstrich steht darauf, das Wort Schlussstrich ist rot durchgestrichen. Am Tag des Urteils soll an der Reinoldikirche demonstriert werden. Dafür, dass das Urteil kein Schlussstrich sein kann.
Ich wurde 1973 geboren und schreibe seit über 10 Jahren als Redakteur an verschiedenen Positionen bei Lensing Media. Als problematisch sehen viele meiner Kollegen oft die Länge meiner Texte an. Aber ich schreibe am liebsten das auf, was ich selber bevorzugt lesen würde – und das darf auch gerne etwas länger sein.
