Michael Reh (60) wurde als Kind sexuell missbraucht Seine Tante war die Täterin

Michael Reh (60) wurde als Kind sexuell missbraucht: Seine Tante war die Täterin
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Ein „Ratgeber und ein Leitfaden für Überlebende“ soll es sein, was Michael Reh bieten will. Der gebürtige Dortmunder veröffentlicht im April 2023 ein neues Buch über sexuellen Missbrauch. Weil er selbst als Kind Opfer geworden ist.

Das folgende Porträt ist im Februar 2020 verfasst worden, als Reh sein erstes Buch „Katharsis“ vorgestellt hat.

Kariertes Hemd und Hosenträger, ordentlich gekämmte blonde Haare und ein hübsches, glattes Gesicht. Der Blick des kleinen Jungen geht so tief in die Kamera, dass der Betrachter denkt, das Kind wolle ihm etwas mitteilen. Man möchte fragen: „Ist alles in Ordnung?“ Das Kind guckt verängstigt.

Diese Aufnahme ist vor rund 50 Jahren gemacht worden. Michael Reh wurde 1962 geboren und lebt seit 30 Jahren in den USA. Im Winter arbeitet er in Miami, sonst wohnt er in New York und ist auf Reisen. Der erfolgreiche Fotograf arbeitet für bekannte Magazine und Modefirmen. Auf Bildern ist er zu sehen mit Moritz Bleibtreu, Pamela Anderson oder Heidi Klum.

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„Die Heidi“, nennt er das Topmodel. Er ist zu beneiden, könnte man meinen. Doch wer mit ihm tauschen möchte, übernähme auch die schrecklichen Erinnerungen an seine Kindheit. Jahrzehnte hat er gebraucht, um offen darüber sprechen zu können.

„Ich war immer isoliert mit dem Thema, so wie die meisten Missbrauchsopfer“, sagt der Mann, der in Dortmund-Bövinghausen aufgewachsen ist: „Das Trauma war groß. Mir wurde angedroht, mich umzubringen, wenn ich darüber rede.“ Seine Tante hat ihn jahrelang schwer sexuell missbraucht, als sie auf ihn aufpassen sollte.

Jahrelanger Missbrauch

„Hatten Sie eine gute Kindheit?“, fragt Reh den Journalisten: „Sagen Sie ‚Ich liebe meinen Vater und meine Mutter‘? Dass so etwas möglich ist, finde ich ganz toll, aus meiner Erfahrung ging das gar nicht.“

Die Schwägerin seines Vaters hat Michael Reh im Grundschulalter, um das Jahr 1970 herum, unter anderem zu Oralverkehr gezwungen und ihn mit Gegenständen penetriert. Das ging über Jahre so. Mit zwölf sei er dann aus ihrem Haus davongelaufen.

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Michael hörte auf zu essen und wurde depressiv. Er wollte das Thema bei seinen Eltern ansprechen. „Damals sagte man, das Kind ist schwierig und schwer erziehbar“, sagt Reh: „Da wurde ich in ein Kinderheim gesteckt.“ Es macht ihn sprachlos, wenn er zurückblickt und sieht, wie manche Kriegskinder ihre eigenen Kinder erzogen haben.

„Die kommen aus dieser Zeit, wo nichts erzählt wurde, wo man eher verdrängt als hinzuschauen“, sagt Reh über seine inzwischen verstorbenen Eltern. Erst nach dem Tod seines Vaters habe Michael zum Beispiel erfahren, dass dieser selbst sexuell missbraucht wurde. In der streng katholischen Familie sei das aber nie Thema gewesen.

„Wir müssen darüber reden“

Spätestens nach 20 Jahren verjährt sexueller Kindesmissbrauch ohne Todesfolge in Deutschland. Erst um diesen Verjährungszeitpunkt herum begann Michael Reh, sich mit den Taten auseinanderzusetzen. Strafrechtlich konnte er gegen die Täterin da nicht mehr vorgehen. Jahrelange Therapie folgte. „Man kann lernen, damit umzugehen“, sagt Reh: „Aber es beeinflusst alles, bewusst oder unbewusst.“

Im Jahr 2004 hat Michael Reh die gesamte Familie zusammengetrommelt: „Ich habe gesagt ‚Wir müssen darüber reden.‘ Es sind alle gekommen, bis auf meinen Vater und die Täterin.“ Per Anwalt habe sie ihm damals verboten, über die Anschuldigungen zu reden. Als ein anderes Familienmitglied sie daraufhin aufgesucht habe, bekam sie einen Nervenzusammenbruch. Ein paar Jahre später starb sie.

Michael Reh mit Schauspieler Moritz Bleibtreu.
Michael Reh hat in den vergangenen Jahren mit vielen Promis zusammengearbeitet, etwa mit Schauspieler Moritz Bleibtreu. © Privat

Missbrauch passiere nicht nur einer Person, es betreffe das gesamte Umfeld und habe noch Jahrzehnte später Auswirkungen auf viele Leben, sagt Michael Reh. Aber es gebe einen Weg aus einer solch schlimmen Situation: „Wenn man sich damit richtig beschäftigt und lernt, es zu verarbeiten.“

Vor allem eine Frau als Täterin sei immer noch ein Tabu-Thema. 10 bis 20 Prozent der Täter sind weiblich, heißt es von der zuständigen Bundesstelle, dem „Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Missbrauchs“.

Weil es keine Studien zur Dunkelziffer gebe, kann die Bundesstelle nicht einschätzen, ob heutzutage mehr oder weniger Kinder missbraucht werden als vor 50 Jahren. Ein Anstieg der bekanntgewordenen Fälle sei jedenfalls im Bereich Kinderpornografie deutlich.

Im Jahr 2020 hat Michael Reh das Buch „Katharsis“ veröffentlicht, das er selbst als „psychologischen Familienkrimi“ bezeichnet. Es ist ein Roman basierend auf seinen echten Erlebnissen. Am 17. April 2023 folgt nun „Die neun Gebote“. Dies sei „ein Ratgeber und Leitfaden für Überlebende von sexuellem Missbrauch und sexualisierter Gewalt sowie deren Familien und Freunde“. Darin beschreibt er auch schonungslos seine eigene Geschichte. Weitere Informationen gibt es unter www.michaelreh-autor.de.

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