
Ulrich Breulmann moderierte den Expertentalk und stellte die Kernfrage zur derzeitigen Situation auf dem heimischen Immobilienmarkt: Kann ich mir den Traum vom Eigenheim noch leisten? © Oliver Schaper
Live-Talk: Immobilien-Experten in Dortmund sehen „viele lange Gesichter“
Inflation und Zinsen
Inflation, gestiegene Zinsen und weiter hohe Immobilienpreise. Ist der Traum vom Eigenheim derzeit noch finanzierbar? Experten sehen in unserem Live-Talk durchaus auch Positives.
Eine Zeitenwende ist es wohl nicht, die wir auf dem Immobilienmarkt erleben. Aber große Veränderungen gibt es allemal. Vor einem Jahr bestimmten der enge Wohnungsmarkt, fehlende Baugrundstücke und extrem hohe Preise bei krass niedrigen Zinsen die Diskussion.
Heute geben die stark gestiegenen Bauzinsen, hohe Baupreise, Materialengpässe, die Inflation in einer Höhe von bis zu 10 Prozent und die Verunsicherung durch den Krieg in der Ukraine vielen Bauwilligen und interessierten Immobilienkäufern zu denken.
„Wir sehen derzeit viele lange Gesichter“, sagte Jan Nöthe, Leiter der Baufinanzierung bei der Dortmunder Volksbank, schon im Vorfeld unseres Experten-Talks zur aktuellen Lage auf dem heimischen Immobilienmarkt. Die Kernfrage der Gesprächsrunde, „Kann ich mir den Traum vom Eigenheim noch leisten?“, sei absolut berechtigt.
Zinsen sind in rasantem Tempo gestiegen
„Es ist gerade sehr viel Unsicherheit im Markt. Die Leute kommen mit Träumen und Wünschen zu den Finanzierungsgesprächen und müssen dann erkennen, dass die monatliche finanzielle Belastung zu groß ist“, erklärte Jan Nöthe dann auch zu Beginn des Live-Talks.
Neben ihm nahmen daran der Immobiliensachverständige und Hochschullehrer Prof. Raphael Spieker, Dr. Thomas Bach, der Hauptgeschäftsführer des Eigentümerverbandes Haus & Grund Dortmund, und Max Möhrs, der gerade im Dortmunder Ortsteil Kirchlinde einen Hausbau plant, teil.
„Auch für mich liefen die ersten Gespräche leider ernüchternd. Die Finanzierung ist schwierig und steht noch überhaupt nicht. Für mich ist es wirklich die Frage, ob ich unter den derzeitigen Bedingungen wirklich bauen sollte“, sagte der 29-jährige, werdende Familienvater Max Möhrs. Wie ihm geht es vielen. „Wir haben nach einem halben Jahr eben eine ganz andere Situation. Die Zinsen sind um 300 Prozent gestiegen. So ein Zinsanstieg-Tempo kann der Markt nicht mitmachen“, erklärte Jan Nöthe.
„Und es sind nicht nur die Zinsen, die Sorgen machen“, bemerkte Thomas Bach, „Immobilienbewerber müssen sich angesichts der sich überlagernden Krisen mit verschiedenen Szenarien auseinandersetzen.“ Da seien auch die steigenden Lebenshaltungskosten und Baukosten, die zu bedenken seien.
„Preisrallye auf dem Immobilienmarkt ist zu Ende“
Was raten Experten also in dieser Situation, in der junge Familien vielleicht seit zwei Jahren ein Grundstück gesucht haben, das sie nun auch gefunden haben, dessen Erwerb und Bebauung sie sich jetzt aber zu 4 Prozent statt 1,4 Prozent Zinsen nicht mehr leisten können?
„Es ist jetzt ein guter Zeitpunkt, eine Bestandsimmobilie zu kaufen, weil das Angebot gerade wächst. Die Preisrallye ist zu Ende “, sagte Raphael Spieker. Viele Eigentümer versuchen angesichts fallender Preise jetzt noch gut zu verkaufen oder verkaufen auch wegen der hohen Energiekosten für die Gas- oder Ölheizung.
Aber ist der Kauf eines alten Hauses nicht auch eine Wundertüte und genauso schlecht kalkulierbar wie derzeit ein Neubau? Ja, sagte Thomas Bach, man müsse sich schon die Gebäudesubstanz genau angucken: „Wenn das Dach erneuert werden muss und auch die Heizung und die Elektrik, kommen schnell erhebliche Kosten zusammen.“ Aber, erklärte der Experte von Haus & Grund, anders als beim Neubau, müsse bei der Sanierung einer Bestandsimmobilie ja nicht alles auf einmal gemacht werden. „Man kann Stück für Stück vorgehen. Das ist planbarer.“

Die Lage auf dem Immobilienmarkt und Fragen zur Baufinanzierung wurden bei unserem digitalen Expertentalk erörtert. Kann ich mir den Traum vom Eigenheim noch leisten? Diese Kernfrage, die Max Möhrs (oben l.) als Bauwilligen derzeit umtreibt, versuchten Jan Nöthe von der Dortmunder Volksbank (unten l.), der Immobiliensachverständige und Hochschullehrer Prof. Dr. Raphael Spieker (oben r.) und Dr. Thomas Bach vom Eigentümerverband Haus & Grund (unten r.) unter der Moderation von Ulrich Breulmann (oben Mitte) zu beantworten. © Oliver Schaper
Auf keinen Fall sollte man sich den Hauskauf kaputt machen lassen, meinte Raphael Spieker: „Wenn man sich dafür entschieden hat und klar ist, dass man eine Immobilie in der richtigen Lage gefunden hat, dann sollte man daran festhalten. Am Ende zahlt jeder in seinem Leben ein Haus ab: entweder sein eigenes oder das des Vermieters.“
Zinsbindung über 30 Jahre zum Schnäppchenpreis
Jan Nöthe von der Volksbank verwies darauf, dass es nicht nur den rapiden Anstieg der Bauzinsen gibt, sondern auch eine positive Entwicklung der Zinskurve. „Das heißt“, sagte er, „dass der Zins nach 15 Jahren abflacht. Man kann also eine 30-jährige Zinsbindung zu 15-Jahres-Konditionen bekommen. Das ist bei vielen Leuten noch gar nicht angekommen. Die meisten fragen nur nach 10-Jahres-Fristen. Die lange Zinsbindung für 30 Jahre gibt es aber jetzt zum Schnäppchenpreis.“
Die abschließende Gretchenfrage, ob sie selbst als junge Menschen in der gegenwärtigen Situation bauen würden, beantworteten alle Experten mit Ja. „Wenn es mein Traum wäre und ich einen langfristigen Plan für mich hätte, beruflich und familiär, würde ich alles daran setzen. Und wenn der Neubau auch mit Abstrichen doch nicht möglich wäre, würde ich mir über ein Haus, das es schon gibt, Gedanken machen“, sagte Thomas Bach.
Experten raten nicht dazu, zu pokern
„Man sollte nicht pokern und hoffen, dass die Zinsen und Baupreise fallen, sondern jetzt eine solide Finanzierung aufstellen. Zu hoffen, dass es besser wird, dafür ist die Zeit zu unwägbar“, erklärte Jan Nöthe. Und Raphael Spieker unterstrich das: „Ich sehe nicht, dass die Baupreise in den nächsten 15 Monaten günstiger werden. Wenn die Finanzierung für 30 Jahre passt und die monatliche Belastung aufgebracht werden kann, würde ich entweder bauen oder auf dem Bestandsmarkt zuschlagen. Heute ist der Tag!“
Max Möhrs freute sich über den Spritzer Hoffnung, den die Experten versprühten. „Ich bin optimistisch“, sagte er zum Schluss, „dass in naher Zukunft eine Finanzierung möglich ist. Wenn die Zinsen steigen, dauert halt die Tilgung etwas länger.“
Nach mehreren Stationen in Redaktionen rund um Dortmund bin ich seit dem 1. Juni 2015 in der Stadtredaktion Dortmund tätig. Als gebürtigem Dortmunder liegt mir die Stadt am Herzen. Hier interessieren mich nicht nur der Fußball, sondern auch die Kultur und die Wirtschaft. Seit dem 1. April 2020 arbeite ich in der Stadtredaktion als Wirtschaftsredakteur. In meiner Freizeit treibe ich gern Sport: Laufen, Mountainbike-Fahren, Tischtennis, Badminton. Außerdem bin ich Jazz-Fan, höre aber gerne auch Rockmusik (Springsteen, Clapton, Santana etc.).
