Kurzzeit-Haft kostet Geld und bringt wenig
JVA-Leiter kritisiert Ersatzfreiheitsstrafe
Rund 80 Menschen verbüßen in Dortmund wegen Bagatelldelikten eine Ersatzfreiheitsstrafe: Sie haben eine Geldstrafe nicht gezahlt. Den Steuerzahler kostet ein Hafttag 120 Euro. Der JVA-Leiter und Experten kritisieren das System. Dabei gäbe es Alternativen zur Kurzzeit-Haft.

Im Dortmunder Gefängnis landen auch viele Menschen, die zwar nicht zu einer Haftstrafe verurteilt wurden, aber eine Geldstrafe nicht bezahlt haben. © Dieter Menne
In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Dortmund betrifft es etwa 80 der rund 400 Insassen: Diese Menschen verbüßen eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe. Anstaltsleiter Ralph Bothge sagt: „Die haben hier nichts zu suchen. Es hat nie ein Richter gesagt, dass die in Haft müssen, ganz im Gegenteil: Sie wurden zu einer Geldstrafe verurteilt.“
Doch weil sie diese nicht gezahlt haben, sitzen sie nun hinter Gittern und kosten den Steuerzahler 120 Euro pro Hafttag. Die Delikte, um die es hier geht, sind meistens Schwarzfahren oder Ladendiebstahl. Die Tagessätze, zu denen die Kleinstkriminellen verurteilt worden sind, belaufen sich oft nur auf 10 oder 20 Euro. Das heißt: Wenn jemand zu 20 Tagessätzen à zehn Euro verurteilt wurde, müsste er, wenn er keine 200 Euro zahlen kann, für 20 Tage ins Gefängnis. Der Tagessatz ist das Monatseinkommen, geteilt durch 30. 20 Tage Gefängnis kosten den Steuerzahler 2400 Euro.
„Für viele ein Kulturschock“
Ob eine Kurzzeit-Haft zur Resozialisierung beiträgt, bezweifeln Experten. „Für viele ist das ein Kulturschock“, sagt Bothge. Denn in letzter Konsequenz ende der Weg der Minimal-Straftäter in einer acht Quadratmeter großen Zelle, ohne abgetrennte Toilette und mit nur einem einzigen, kleinen Fenster. „Außerdem bekommen diese Menschen in Haft Kontakt zu Leuten, die sie besser nicht kennenlernen sollten“, sagt Volker Naujoks. Er arbeitet beim Hilfsverein Dortmund, der mit der JVA kooperiert, um Straffälligen zu helfen. „Ein Gefängnisaufenthalt bedeutet: Verlust von Freiheit, sozialen Beziehungen und oft auch der Wohnung“, sagt Naujoks. Aus seiner Sicht genau das Gegenteil von dem, was eigentlich gefragt wäre: Hilfe zur Selbsthilfe und Resozialisierung.
„Diese Strafen sind zutiefst ungerecht“, sagt auch Andreas Ruch, Kriminologe von der Ruhr-Universität Bochum. „Arbeitslose, Geringverdiener oder Bezieher geringer Renten verfügen schlicht nicht über die finanziellen Ressourcen, um die Strafe zu zahlen. Sie können auch oft nicht auf Familie oder Freunde zurückgreifen“, sagt Ruch.
Probleme liegen tiefer
Auch Judith Preuß, Sozialarbeiterin in der JVA Dortmund, hält wenig von der Kurzzeit-Haft: „Viele dieser Leute haben längst resigniert und vergessen, wie glücklich ein Leben in geregelten Bahnen sein kann.“ Die Probleme lägen oft tiefer, sagt sie: „Viele haben schon in Kindheit und Jugend vieles verpasst, sie kennen weder ihre Rechte noch ihre Pflichten.“
Hilfe brauchen diese Menschen in jedem Fall. Aber eine Haftstrafe, meint Preuß, trage wenig zur Resozialisierung bei: „Das ist in der kurzen Zeit nicht umsetzbar. Aber hätte man denen draußen schon einen Sozialarbeiter an die Hand gegeben – das würde unheimlich helfen.“
Arbeit statt Haft
Besser als Ersatzhaft wären Arbeitsstunden, meinen viele: „Aber oft sind diese Leute nicht absprachefähig, jemand müsste überwachen, ob sie ihrer Arbeit nachkommen. Das ist aufwendig“, sagt Bothge. Diesen Aufwand leistet der Hilfsverein: Mit ihrer Arbeit haben Helfer im Jahr 2016 Straffälligen in Dortmund 11.506 Tage in Haft erspart – und dem Steuerzahler somit über eine Million Euro.
Kriminologe Ruch geht sogar noch einen Schritt weiter: „Eher sollte Bagatellkriminalität wie Schwarzfahren und Ladendiebstahl zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft und der Umgang mit Cannabis legalisiert werden“, sagt er. Dann würde ein Großteil der Ersatzfreiheitsstrafen entfallen.
Beim Besuch in der JVA haben wir einen Inhaftierten getroffen, der wegen Schwarzfahrens in Ersatzfreiheitsstrafe sitzt und auch mit JVA-Leiter Ralph Bothge gesprochen: