Die Sparkasse Dortmund hat Dr. Michael Mertsch nach 40 Jahren die Konten gekündigt, weil er keine Negativzinsen auf sein Guthaben zahlen wollte.

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Kunde verweigert Strafzinsen, daraufhin werden ihm die Konten gekündigt

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Viele Geldinstitute verlangen Negativzinsen von Kunden mit hohen Guthaben. Sonst droht oft die Kündigung. Der Dortmunder Michael Mertsch (61), treuer Sparkassenkunde, hat diese Erfahrung gemacht.

Dortmund

, 24.03.2022, 04:30 Uhr / Lesedauer: 4 min

Dr. Michael Mertsch erinnert sich genau: „Es fing im letzten Jahr im Sommer an. Immer wieder kam die Anfrage, ich möge zum Gespräch vorbeikommen.“ Gesprächsbedarf hatte seine Sparkassen-Filiale in Dortmund. Es ging um die Konten des 61-Jährigen – mit Guthaben in sechsstelliger Höhe, für das er Verwahrentgelt zahlen sollte, auch Negativ- oder Strafzinsen genannt.

Ab einem Gesamtfreibetrag von 50.000 Euro für alle Konten sollte Mertsch ein Verwahrentgelt von 0,5 Prozent jährlich zahlen, auch für seine Sparkonten, sagt er. Der Ingenieur, der in der Telekommunikationsbranche für Beratungsunternehmen auch im Ausland arbeitet, weigerte sich, die Vereinbarung zur Akzeptanz der „Verwahrentgelte“ zu unterschreiben.

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Seit über 40 Jahren, seit seiner Ausbildung Ende der 70er-Jahre sei er Kunde bei seiner Sparkasse in Dortmund, sagt Mertsch. Allerdings ist er das die längste Zeit gewesen. Aufgrund seiner Weigerung kündigte ihm die Sparkasse alle Konten zum 16. Mai. „Man kriegt als Kunde die Pistole auf die Brust gesetzt“, kritisiert Mertsch.

Viele Geldinstitute erheben Negativzinsen

Dieses Vorgehen ist kein Alleinstellungsmerkmal der Sparkasse Dortmund. Viele Banken und Geldinstitute verlangen inzwischen von ihren Privatkunden ab einer bestimmten Guthabenhöhe ein Verwahrentgelt.

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Alle Geldhäuser betonen, dass die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) sie zur Erhebung eines Verwahrentgelts zwinge. Die Verwahrung von Kundeneinlagen verursache Kosten.

Die Sparkasse Dortmund verlangt nach eigenen Angaben 0,5 Prozent auf die Einlage auf Privatgiro- und Tagesgeldkonten. Dabei räumt sie Einzelpersonen einen Freibetrag von insgesamt 50.000 Euro, Eheleuten von 100.000 Euro ein.

Die Dortmunder Volksbank erhebt seit dem 1. September 2020 in der Regel für Kontokorrent- und Tagesgeldkonten Verwahrentgelt (0,5 Prozent jährlich ab einem Freibetrag von 75.000 Euro pro Einzelperson sowie 150.000 Euro bei Eheleuten, ausgenommen sind Sparkonten).

Auch die Commerzbank verlangt seit dem 1. August 2021 Negativzinsen von Neukunden (0,5 Prozent oberhalb des Freibetrags von 50.000 Euro). Ebenso erheben die Deutsche Bank und ihre Tochter Postbank seit Mitte Mai 2020 im Privatkundengeschäft Verwahrentgelte für höhere Einlagenvolumen. Die Freibeträge für Verwahrentgelte liegen bei 50.000 Euro für Giro- und Anlagekonten und bei 25.000 Euro für Tagesgeld. Ausgenommen sind bis auf Weiteres Sparkonten.

Unmut der Kunden kommt bei Verbraucherschützern an

Zunächst habe das nur für Neuverträge gegolten, seit 2021 auch für neu getroffene individuelle Vereinbarungen mit Bestandskunden, erklärte auf Anfrage ein Sprecher der Deutschen Bank.

Der Unmut der Bankkunden darüber kommt auch bei den Verbraucherschützern an. „Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht zum Thema Verwahrentgelt Auskunft erteilen“, sagt Rafael Lech, Leiter der Verbraucherberatung Dortmund, „es betrifft eine sehr große Anzahl an Ratsuchenden, die sich Hilfe suchend an uns wenden.“

Ärgerlich ist der Negativzins besonders für Zinssparer, die sich Geld fürs Alter über festverzinsliche Anlagen wie Sparbücher, Tages- oder Festgeld auf die Seite legen wollen.

Hinweis auf die Niedrigzinspolitik der EZB

Bei der Sparkasse Dortmund betreffe das Verwahrentgelt nur ein Prozent der Kunden, teilt das Geldhaus auf Anfrage mit. Bisher gebe es „keine nennenswerten Kundenreaktionen“.

Kündigungen hat die Dortmunder Volksbank nach eigenen Angaben im Zusammenhang mit Verwahrentgelten noch nicht ausgesprochen. Entscheide sich ein Kunde gegen eine alternative Geldanlage, treffe man gemeinsam eine individuelle Vereinbarung. Vermehrte Kündigungen von Mitgliedern und Kunden habe man seit der Einführung des Verwahrentgelts nicht feststellen können, so die Volksbank.

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Das Vorgehen der Geldinstitute bei der Erhebung der Negativzinsen ist ziemlich einheitlich. In den Preis- und Leistungsverzeichnissen findet man das Verwahrentgelt in der Regel nicht; denn die Bankinstitute dürfen ein Verwahrentgelt nicht per einfacher Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) einführen. Daher werden Bestandskunden zu individuellen Gesprächen eingeladen.

Ziel ist, Negativzinsen zu vermeiden

Ziel der Gespräche sei aber nicht, ein Verwahrentgelt zu vereinbaren, sondern dieses zu vermeiden, in dem man für eine rentierliche Anlage und zum Aufbau einer nachhaltigen Vermögensstruktur alternative und individuell passende Geldanlagen anbiete, heißt es bei den Banken fast unisono.

„Man wollte mir erst mal eine ganze Reihe von Geldanlagen verkaufen. Aktien und Fonds“, bestätigt Michael Mertsch. Im Prinzip sei das auch richtig. Er habe jetzt auch Geld in Aktien angelegt – aber nicht mehr bei der Sparkasse Dortmund, sondern er habe andere Institute mit attraktiveren Konditionen gefunden, nachdem die Sparkasse auch Kompromisse bei der Freigrenze und beim Zinssatz abgelehnt habe.

Auch wenn die Sparkasse Dortmund in ihrem Schreiben an Mertsch zu der angestrebten Rahmenvereinbarung über das Verwahrentgelt ausdrücklich betont, dass sie an einer Fortsetzung der Geschäftsbeziehung mit ihm „sehr interessiert“ sei, fühlt er sich als langjähriger Kunde abserviert.

Noch nicht höchstrichterlich geklärt

Ob die Erhebung von Verwahrentgelt für Giro-, Geldmarkt- und Sparkonten überhaupt rechtens ist, ist noch nicht höchstrichterlich geklärt. Verbraucherschützer Lech: „Teilweise fällt die Rechtsprechung positiv, teilweise negativ aus. Es ist kein einfaches Thema.“

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Nach Auffassung der Verbraucherzentrale, könnte das gesetzlich verankerte Recht auf ein Guthabenkonto, das sogenannte Basiskonto, einer Kündigung entgegenstehen, besonders bei Sparkassen; denn diese haben nach den Sparkassengesetzen der Bundesländer einen besonderen öffentlichen Auftrag. Dort steht etwa sinngemäß, dass sie die angemessene und ausreichende Versorgung aller Bevölkerungskreise, mit geld- und kreditwirtschaftlichen Leistungen auch in der Fläche sicherzustellen haben.

Für Dr. Michael Mertsch besteht zwischen diesem öffentlich-rechtlichen Auftrag und dem Verhalten der Sparkasse ihm gegenüber eine „offensichtlich große Diskrepanz. Das passt nicht zusammen.“

Banken orientieren sich am Einlagenzins der EZB

Wer wie Mertsch die Bank wechselt, muss beachten, dass viele Institute bei Neukunden ebenfalls Verwahrentgelte verlangen. Die Institute, die heute noch keine Negativzinsen berechnen, könnten dies morgen schon tun, so die Verbraucherberatung.

Neukunden würden auf das Verwahrentgelt „individuell hingewiesen“, teilt die Sparkasse Dortmund mit. Die Dortmunder Volksbank schließt bei Neukunden direkt bei der Kontoeröffnung eine Verwahrentgeltvereinbarung.

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Banken und Sparkassen argumentieren, sie orientierten sich am Einlagenzins der EZB und gäben mit den 0,5 Prozent Verwahrentgelt nur 1:1 das weiter, was sie für den eigenen Geldparkplatz bei der EZB zahlen müssten. Allerdings räumt die EZB ihnen Freigrenzen ein.

Was passiert bei einer Zinswende?

Wie sieht es aber bei einer Zinswende aus? Sinkt dann auch das Verwahrentgelt oder entfällt ganz? Senke die EZB den Einlagenzins, „wirkt sich dies auch auf das Verwahrentgelt aus“, teilt die Sparkasse mit. Bei der Dortmunder Volksbank heißt es: „Sobald die EZB die Negativzinsen reduziert, geben wir diese Senkung umgehend an unsere Mitglieder, Kundinnen und Kunden weiter.“

Und bei Deutscher Bank und Postbank: „Für den Fall von Leitzinsänderungen der Europäischen Zentralbank wird die Deutsche Bank umgehend prüfen, in welchem Umfang sie Produktkonditionen im deutschen Privatkundengeschäft entsprechend anpassen kann.“