Das sind die 6 größten Schätze des Dortmunder Stadtarchivs Foto-Album zeigt Verbrecher

Schätze des Stadtarchivs: Königliche Urkunde, Notgeld und Verbrecheralbum
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Von außen wirkt das Gebäude an der Märkischen Straße sehr unscheinbar. Es ist nicht zu erahnen, dass es eine echte Schatzkammer beherbergt - wobei es nicht um materielle Werte geht, sondern um einen historischen Schatz. Das Stadtarchiv, das in diesem Jahr sein 150-jähriges Bestehen feiert, beherbergt wichtige Zeugnisse zur Stadtgeschichte.

Das frühere Siemens-Gebäude an der Märkischen Straße beherbergt seit 1996 das Dortmunder Stadtarchiv.
Das frühere Siemens-Gebäude an der Märkischen Straße beherbergt seit 1996 das Dortmunder Stadtarchiv. © Oliver Volmerich

„Das Stadtarchiv versteht sich als kulturelles Gedächtnis der Stadt und historischer Erinnerungsspeicher für seine Einwohnerinnen und Einwohner“, heißt es in der Broschüre zum Jubiläum. Als offizielles Gründungsjahr gilt das Jahr 1873, weil damals der junge Historiker und Hilfslehrer Dr. Karl Rübel den offiziellen Auftrag zur Ordnung der vorhandenen Archivbestände, die bis ins Mittelalter zurückreichen, bekam.

Lange Zeit war das Stadtarchiv im 1899 gebauten Alten Stadthaus untergebracht, 1996 zog es in das frühere Siemens-Bürogebäude an der Märkischen Straße um. Hier werden die Schätze jetzt gehütet, von denen wir einige vorstellen.

1) Die älteste Urkunde der Stadt

Das Pergament ist bestens erhalten. Die Schrift noch gestochen scharf. Kaum zu glauben, dass das Schriftstück fast 800 Jahre alt und die älteste Urkunde im Bestand des Stadtarchivs ist. Und sie ist eine sehr bedeutende. Denn mit ihr gewährt König Heinrich VII., Sohn und Mitkönig von Kaiser Friedrich II., im Jahr 1231 „unserer Reichsstadt Dortmund“ einen zweiten zweiwöchigen Markt, der alljährlich ab dem 29. September - dem Michaelis-Tag - stattfinden darf.

Stadtarchivar Dr. Hartwig Kersken präsentiert die älteste Urkunde der Stadt von 1231.
Stadtarchivar Dr. Hartwig Kersken präsentiert die älteste Urkunde der Stadt von 1231. © Oliver Volmerich

Bedeutend ist die Urkunde deshalb, weil das Marktrecht ein wichtiges Privileg und eine wichtige Finanzquelle war. Die brauchte Dortmund zu dieser Zeit dringend, denn die Stadt war durch eine nächtliche Brandstiftung um 1230 zerstört worden. „Deshalb sind alle früheren Überlieferung zur Stadtgeschichte verloren“, erklärt Stadtarchivar Dr. Hartwig Kersken.

Die Fernhandels-Messe, die Heinrich VII. ermöglichte, finanzierte den Wiederaufbau und legte den Grundstein für den wirtschaftlichen Aufstieg Dortmunds im Mittelalter. Zugleich enthält die Urkunde die erste Erwähnung Dortmunds als Reichsstadt, erklärt der Archivar.

2) Das Dortmunder „Turmsiegel“

Einen ähnlich hohen Stellenwert hat eine Urkunde aus dem Jahre 1295. Dabei geht es allerdings weniger um den Inhalt, die Änderung der Bundesartikel des westfälischen Städtebundes zwischen Dortmund, Soest, Osnabrück, Lippstadt und Münster. Bedeutend ist vor allem das angehängte Siegel: „Es ist das älteste erhaltene Turmsiegel von Dortmund“, erläutert Stadtarchivarin Dr. Henrike Bolte. „Es zeigt einen Turm der Stadtmauer, die über Jahrhunderte Garant für die Freiheit der Stadt war.“

Die von Dr. Henrike Bolte präsentierte Urkunde ist durch das angehängte älteste Turmsiegel der Stadt besonders bedeutend.
Die von Dr. Henrike Bolte präsentierte Urkunde ist durch das angehängte älteste Turmsiegel der Stadt besonders bedeutend. © Oliver Volmerich

Gesammelt und archiviert wurden die Urkunden schon im Mittelalter. Im 16. Jahrhundert wurde eigens ein Archivturm an das Rathaus am Alten Markt angebaut. Dass viele historische Urkunden verloren gegangen sind, ist eine Folge des Zweiten Weltkriegs. 80 Prozent der Archivalien sind damals verloren gegangen, erklärt Henrike Bolte.

Das war allerdings keine direkte Folge des Bombenkriegs, der Dortmund so hart getroffen hat. Denn die damalige Stadtarchivarin Luise von Winterfeld hatte das wertvolle Archivmaterial vorsorglich ins Sauerland ausgelagert. Doch hier wurde es zum Ende des Krieges von befreiten Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen geplündert.

„Teilweise hat man die alten Urkunden als Klopapier und Brennmaterial benutzt. Reste davon hat man in den Wäldern gefunden“, berichtet Henrike Bolte, Auch ein kaiserliches Goldsiegel sei gestohlen worden. Umso wertvoller sind die noch erhaltenen Urkunden im Bestand des Stadtarchivs, die gut gehütet werden

3) Die älteste Karte der Stadt

Zu den wohl umfangreichsten Beständen im Stadtarchiv gehört neben der Fotosammlung das Kartenarchiv. Besonders am Herzen liegt den Archivaren dabei die älteste Karte mit einer Ansicht von 1609. Sie zeigt die Grafschaft Dortmund, also das ländliche Umland, das die Stadt umgeben und versorgt hat. Die Grenzen reichten von der Emscher im Süden und Westen bis Brechten im Norden und Körne im Osten.

Gabriele Aschöwer (l.), Dr. Henrike Bolte und Dr. Hartwig Kersken zeigen die besondere Schätze des Kartenarchivs.
Gabriele Aschöwer (l.), Dr. Henrike Bolte und Dr. Hartwig Kersken zeigen die besondere Schätze des Kartenarchivs. © Oliver Volmerich

Die Kartenansicht zeigt den westlichen Bereich von Stadt und Grafschaft Dortmund um 1609. Die Karte selbst ist eine gegen 1700 erstellte kolorierte Nachzeichnung eines verschollen Originals des Schriftstellers Detmar Mulher, berichtet Dr. Henrike Bolte.

Angefertigt wurde sie wohl wegen eines jahrelangen Grenzstreits zwischen der Reichsstadt Dortmund und dem damals zum Reichsstift Essen gehörenden Territorium von Dorstfeld und Huckarde. „Auch hier ist erstaunlich, wie gut die Farben noch heute erhalten sind“, stellt Gabriele Aschöwer fest, die im Stadtarchiv den Kartenbestand hütet.

Die historische kolorierte Karte zeigt den westlichen Teil der Grafschaft Dortmund und den Lauf der Emscher (l.).
Die historische kolorierte Karte zeigt den westlichen Teil der Grafschaft Dortmund und den Lauf der Emscher (l.). © Stadtarchiv

Auch sonst gibt es im Kartenarchiv viel zu entdecken: Drei Karten aus den Jahren 1860, 1880 und 1890 zeigen zum Beispiel die rasante Entwicklung Dortmunds von der Ackerbürgerstadt mit wenigen tausend Einwohnern zur Industriestadt.

Eine Besonderheit sind auch die ältesten Darstellungen des Dortmunder Hafens, der 1899 eröffnet wurde. Er zog offensichtlich nicht nur Schiffe an. Die Karten stammen aus der Akte „Auszeichnungen für die Rettung aus Lebensgefahr“. Sie enthalten polizeiliche Eintragungen und Zeichnungen zur Rettung von Personen, die um 1900 „in selbstmörderischer Absicht“ ins Wasser sprangen und gerettet wurden.

Rettungsaktionen dokumentieren die alten Karten des Hafengebiets.
Rettungsaktionen dokumentieren die alten Karten des Hafengebiets. © Oliver Volmerich

4) Das älteste Heiratsregister

Die Schrift ist akkurat, wenn auch für heutige Augen nur noch schwer zu entziffern. Als erster Eintrag ist vermerkt, dass der Schlosser Josef Helmrath am 5.10.1874 um 10 1/2 Uhr die Witwe Elisabeth Schnückel aus Brackel heiratete. Es ist das erste von zahlreichen Geburts-, Heirats- und Sterberegistern der Dortmunder Standesämter. Sie sind bei den Nutzern des Stadtarchivs, die im Lesesaal recherchieren, besonders gefragt. „Denn sie sind die Grundlage für jegliche Dortmunder Familienforschung“, erklärt Henrike Bolte. Der Band von 1874 ist der älteste für die Innenstadt Dortmund.

Die Aufzeichnungen der Standesämter sind wichtige Dokumente für die Familienforschung.
Die Aufzeichnungen der Standesämter sind wichtige Dokumente für die Familienforschung. © Oliver Volmerich

5) Das Verbrecher-Album

Es ist ein Fotoalbum besonderer Art: Auf den Seiten blicken den Betrachter mehr oder minder ernste Gesichter auf Schwarz-Weiß-Aufnahmen an. Die Eintragungen dazu sind eine einzige Anklage. Eine Seite ist „rückfälligen und umherziehenden Dieben“ gewidmet. Eine andere ist mit „Gefährliche Einbrecher“ überschrieben.

Unter den Bildern ist vermerkt, was die Abgebildeten alles auf dem Kerbholz haben.

„Künstler Robert Franz“ etwa ist wegen „Diebstahls und Nothzucht und Körperverletzung“ mit Zuchthaus und Gefängnis mehrfach vorbestraft, „Ehefrau Johannr Lübcke“ kam ebenfalls wegen Diebstahls ins Zuchthaus.

Das bebilderte "Verbrecher-Album" war Ende des 19. Jahrhunderts ein wichtiges Fahndungsinstrument.
Das bebilderte „Verbrecher-Album" war Ende des 19. Jahrhunderts ein wichtiges Fahndungsinstrument. © Oliver Volmerich

Ein besonderer Fall war wohl Arnold Bühler, Gelbgießer und Metalldreher, „27 mal vorbestraft, darunter mit zusammen 19 Jahren Zuchthaus wegen schweren Diebstahls, versuchten Mordes, Betrug, Unterschlagung“ ist zu seinem Bild notiert, außerdem als besondere Kennzeichen „defecte Zähne“ und „Mittelfinger der rechten Hand ist steif“.

Bilder und Eintragungen stammen aus dem „Verbrecher-Album für den westlichen Industriebezirk“ von 1893. Solche Alben dienten vor der Einführung moderner kriminaltechnischer Verfahren als erkennungsdienstliche Fahndungsinstrumente, erklärt Kersken. Die vier Bände im Stadtarchiv wurden von der städtischen Polizeiverwaltung übernommen.

„Sie sind ein Panoptikum der Armut dieser Zeit“, stellt Hartwig Kerken fest. „Die meisten sind ziemlich arme Schweine“. Denn die Industrialisierung hatte auch viele Verlierer und war mit sozialen Nöten verbunden.

6) Inflations-Geld von 1923

Es ist wohl eine der buntesten Sammlungen im Stadtarchiv. In unzähligen Farben leuchten die Geldscheine im Notgeld-Album. Das dokumentiert eigentlich eine besonders triste und schwierige Zeit: die Hyper-Inflation des Jahres 1923. Vor genau 100 Jahren, als der Großteil des Ruhrgebiets von französischen Truppen besetzt und die Wirtschaft fast zum Stillstand gekommen war, herrschte in ganz Deutschland eine dramatische Geldentwertung, die auch zu politischen Unruhen führte.

Das alte Dortmunder Rathaus schmückt Geldscheine der Inflationszeit.
Das alte Dortmunder Rathaus schmückt Geldscheine der Inflationszeit. © Oliver Volmerich

Die Preissteigerung war rasant. Ein Kilo Roggenbrot kostete im April 1923 474 Mark, im Juni 1233 Mark. Der Preis für ein Kilo Butter stieg im gleichen Zeitraum von 17.800 auf 30.000 Mark. 1 Kilo Margarine verteuerte sich von 5800 auf 20.200 Mark, 1 Liter Milch von 920 auf 1380 Mark, ein Ei von 338 auf 793 Mark.

Später wurde sogar in Millionen, Milliarden und Billionen gerechnet. 5 Billionen Mark ist denn auch der höchste Betrag in der Geldschein-Sammlung des Stadtarchivs, das 2017 die Notgeld-Sammlung der Sparkasse übernommen hat. Die Scheine wurden vor Ort gedruckt. Dortmunder Geldscheine zieren so etwa das Alte Rathaus.

Anmerkung: Dieser Text erschien erstmals bereits am 25. Dezember 2023.

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