Innenminister: Betrunkene Politiker störten Polizei

Neonazi-Angriff auf Rathaus

Kontroverser Bericht: Das NRW-Innenministerium hat einen Bericht zum Neonazi-Angriff auf das Dortmunder Rathaus veröffentlicht. Darin ist unter anderem von betrunkenen Politikern die Rede, die die Polizei behindert hätten. Gegen diese Darstellung wehren sich jetzt die Betroffenen.

DORTMUND

, 24.06.2014, 08:23 Uhr / Lesedauer: 3 min
Rechtsradikale haben versucht, die Wahlparty im Dortmunder Rathaus zu stürmen.

Rechtsradikale haben versucht, die Wahlparty im Dortmunder Rathaus zu stürmen.

  • Bericht des Innenministeriums zu Rathaus-Angriff veröffentlicht
  • Innenministerium spricht von betrunkenen Politikern, die Polizei-Aktion behindert hätten
  • Rathaus-Verteidiger widersprechen der Darstellung vehement.
  • 22 Politiker veröffentlichen gemeinsame Erklärung
  • Staatsanwaltschaft ermittelt wegen "Nötigung" gegen 40 Rathaus-Verteidiger
  • Nur noch gegen 5 von 27 Neonazis wird aktiv ermittelt

22 Politiker der

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haben sich jetzt kritisch zum Bericht des Innenministers geäußert: „Die Darstellungen des Staatsschutzes befremden in mehrfacher Hinsicht", schreiben sie. Sie enthielten ehrenrührige Aussagen über „alkoholisierte Dortmunder Politiker“, die den Eindruck erweckten, demokratische Politiker/innen hätten die Eskalation der Gewalt von Rechts provoziert. Diese Behauptungen weisen die Politiker zurück. Unter ihnen befinden sich die SPD-Landtagsabgeordneten Nadja Lüders, Armin Jahl und Gerda Kieninger, sowie der Piraten-Landtagsabgeordnete Torsten Sommer.

Unter anderem kritisieren die Politiker die Einschätzungen des Dortmunder Staatsschutzes und wehren sich gegen eine "verharmlosende Grundhaltung" des Berichts. Dort werde unterstellt, dass  sich „Streitparteien“ vor dem Rathaus gegenüber gestanden hätten, die die Polizei habe trennen müssen. "Tatsächlich handelte es sich um Ausschreitungen militanter Neonazis, denen Demokrat/innen entgegentraten", schreiben die 22.

   

Die Staatsanwaltschaft teilt soeben mit, dass die Ermittlungen gegen 22 von 27 Neonazis, die an den Gewalttaten am Wahlabend beteiligt gewesen sein sollen, ruhen. 

Als Zeuge widerspricht der Dortmunder SPD-Politiker Volkan Baran dem Bericht des Innenministeriums: "Was in dem Bericht steht, widerspricht meiner Wahrnehmung. Wir waren zwar alle sehr aufgeregt, aber keiner der Beteiligten war betrunken. Betrunkene Ratsmitglieder oder Bezirksvertreter, die die Arbeit der Polizei erschwert haben, habe ich nicht gesehen. Und aus unseren Reihen ist auch niemand den Rechten gegenüber aggressiv gewesen." Volkan Baran stellt klar: "Von uns am Rathaus ist keine Aggression ausgegangen. Weder gegen Polizisten, noch gegen die Rechten." Anfangs seien zwar vermummte Personen anwesend gewesen. Die aber wären dann der Aufforderung gefolgt, die Vermummungen abzulegen. Baran: "Die haben eine Ansage bekommen." Auf Protest stößt der Bericht des Innenministeriums auch bei der Dortmunder Piratenpartei. Der Landtagsabgeordnete Torsten Sommer schreibt: "In dem Bericht ... wird mehrfach die Unwahrheit verbreitet. Es wird gezielt desinformiert. Es wird mehrfach eine verharmlosende Gleichstellung von Opfern und Tätern vorgenommen. Es wird versucht demokratische Politiker zu verunglimpfen. Im Zweifel wird den rechten Gewalttätern Glauben geschenkt.

Nach der Kommunalwahl am 25. Mai 2014 war es kurz nach 22 Uhr auf der Treppe vor dem Rathaus zu Auseinandersetzungen zwischen 27 Mitgliedern und Mitläufern der Nazi-Partei "Die Rechte" und etwa 100 Teilnehmern der Wahlparty im Rathaus gekommen. Die Rathaus-Besucher wollten den Rechtsextremisten den Zugang in die Bürgerhalle verwehren. Es gab 10 Verletzte. Die Polizei musste Pfefferspray und Schlagstöcke einsetzen, um die Gegner zu trennen.

So weit sind die Vorfälle bereits mehrfach veröffentlicht worden. Bislang verborgen blieben die Schilderungen der Polizisten, die vier Minuten nach dem ersten Notruf dazwischen gehen mussten. Laut einem polizeiinternen Bericht hätten betrunkene Politiker die Amtshandlungen der Polizisten "erheblich" gestört und "untereinander gestritten" hätten. Darüber hinaus seien sie nicht bereit gewesen, "polizeilichen Ansprachen Folge zu leisten." Weiter heißt es in dem Bericht des Innenministers: "Vereinzelt wurde sogar verbal Druck auf die Beamten ausgeübt, sobald die Maßnahmen nicht den Vorstellungen der Anwesenden entsprachen."

   

Mit anderen Worten: Rathaus-Besucher, die den Nazis den Zugang zum Rathaus versperrt haben, trugen nicht zur Deeskalation bei, sondern sorgten in einer angespannten Situation zusätzlich für Druck auf dem Kessel. Zitat aus dem Bericht: "Während die Einsatzkräfte die Gruppe der Angehörigen der rechten Szene räumlich zurückdrängten, wurden fortwährend aus dem Rücken der Polizeibeamten heraus aus der bürgerlich/linken Gruppierung versucht, die vorhandenen Lücken in der Polizeikette auszunutzen, um Angehörige der rechten Gruppierung mit Schlägen und Tritten zu attackieren, was die Emotionen unter den Rechten immer wieder anheizte." Das habe eine "völlige Befriedung" erschwert. Unter diesen Personen sollen sich auch "20 vermummte Personen der Antifa" aufgehalten haben. Die wehrhaften Rathaus-Verteidiger konnten trotzdem von den extrem aggressiv auftretenden und gewalttätigen Nazis getrennt werden. Der Bericht bewertet das Verhaltender Polizei als "professionell" und "verhältnismäßig".

Aktuell (Stand: Freitag, 20.6.2014) bearbeitet eine Ermittlungskommssion 35 "Fallakten". Die Staatsanwaltschaft prüft auf Grundlage von zahlreichen Zeugenaussagen und diversen Fotos und Videoaufnahmen, gegen wen der Vorwurf "Nötigung" oder "Landfriedensbruch" weiter verfolgt werden muss. Auf einer der letzten Seite des Berichts an den Landtag spricht das Innenministerium von einer "überdurchschnittlich kurzen Reaktionszeit" und einem "hohen Eigenrisiko" der Polizeikräfte, die professionell reagiert hätten.

Warum aber wusste die Polizei nicht das, womit andere rechneten - dass Neonazis gegen 22 Uhr das Rathaus "besuchen" würden? Auch darauf geht das Innenministerium ein. Den bei Twitter und Facebook veröffentlichten Eintrag "Mit einem  Schlag ins Rathaus" von Nazi Siegfried Borchardt hatte die Polizei zwar gesehen, aber nicht als Ankündigung für Ankunft am Rathaus interpretiert. Bilanz des Innenministeriums: Der Einsatz der Polizei sei "sachgerecht" verlaufen.

Die in dem Bericht festgehaltene Darstellung der Ereignisse widerspricht zum Teil deutlich Augenzeugenberichten. Die grüne Landtagsabgeordnete und ehemalige OB-Kandidatin Daniela Schneckenburger, die am 25. Mai selbst von einem Faustschlag eines Neonazis im Gesicht getroffen worden war, reagierte

schockiert über die "pauschalisierende und diffamierende Einschätzung über Politiker vor Ort" im Bericht. Sie habe weder Gewalthandlungen gegen die Neonazis noch betrunkene Politiker gesehen, die die Polizei gestört hätten, so Schneckenburger weiter gegenüber dem WDR.

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