
Silvana Feighofen-Onofrietti in ihrem Quartier: Seit 1961 lebt sie im Brückstraßen-Viertel. © Oliver Volmerich
Verändert das Konzerthaus die Brückstraße? Anwohnerin: „Chance verpasst“
20 Jahre Konzerthaus
Seit 20 Jahren gibt es das Konzerthaus an der Brückstraße. Doch hat es das einstige Problemviertel wieder auf die Beine gebracht? Die Anwohner haben unterschiedliche Ansichten.
Man werde die Brückstraße in fünf Jahren nicht wiedererkennen, prophezeite Gründungsintendant Ulrich-Andreas Vogt 2002 zur Eröffnung des Konzerthauses. Die Erwartungen waren groß, dass mit der Hochkultur das gesamte Umfeld hochgezogen wird. Haben sich die Hoffnungen erfüllt? Wir haben uns vor Ort umgehört.
Der Intendant will „Musik für alle“
Als Raphael von Hoensbroech 2018 neu als Intendant ans Konzerthaus kam, hat er erst einmal die Nachbarn zum gemeinsamen Frühstück ins Foyer des Hauses eingeladen. Der Kontrast zwischen der Hochkultur in der vielgelobten Philharmonie für Westfalen und der Subkultur im Umfeld fiel auch ihm gleich ins Auge.

Raphael von Hoensbroech ist seit 2018 Intendant des Konzerthauses Dortmund. © Pascal-Amos Rest
„Es gibt viele Menschen, die ums Konzerthaus herumlaufen, aber nie hineingehen, aber umgekehrt auch viele Menschen, die ins Konzerthaus gehen, aber nie drumherum“, sagt von Hoensbroech. Seine Feststellung: „Für das Viertel ist auch das Konzerthaus eine Herausforderung. Aber ich nehme das als Auftrag wahr.“
Dazu gehört, das Motto, Musik für alle zu bieten, ernstzunehmen - und das nicht nur mit einem breit angelegten Konzertprogramm. Besonders am Herzen liegt Raphael von Hoensbroech das Projekt „Community Music“, mit dem das Konzerthaus raus zu den Menschen geht.
Hinter dem Projekt steckt die Überzeugung, dass jeder das Recht und die Fähigkeit hat, selbst Musik zu machen. Menschen jeden Alters und aller Gesellschaftsschichten sollen zum aktiven Musizieren ermutigt werden. Dazu finden dann etwa auch Workshops in der Nordstadt statt.
Ein „Community Choir“ lädt regelmäßig alle, die Lust haben, zum gemeinsamen Singen ein. Und der „Brückviertel Community Jam“ bietet die Gelegenheit, „den Alltagsstress herauszujammen“. Dazu geht man dann auch schon mal in den benachbarten Club „Oma Doris“. „So verstehe ich Musik für alle - von Obdachlosen über Kindergärten bis zu Flüchtlingen“, sagt von Hoensbroech.
Das Umfeld mit Clubs und „Pommes pervers“ als Nachbarn mag dazu durchaus passen. Natürlich ist der Wunsch nach hochwertigerer Gastronomie nach wie vor ein Thema, natürlich bereitet es Sorgen, wenn offensichtlich Drogendealer in Nebenstraßen unterwegs sind. „Aber ich schätze all die Brüche, die hier vorhanden sind“, sagt Raphael von Hoensbroech.
Die Planer des aktuellen City-Konzepts versuchen das Nebeneinander von Hochkultur und multikultureller Subkultur positiv zu deuten. „Der bunte Zirkus mit Aftershowparty“ ist ihr Motto für die Vermarktung des Brückviertels. Man wolle deutlich machen, wie belebt es hier ist.

Konzerthaus-Intendant Raphael von Hoensbroech (Mitte) und seine Vorgänger Ulrich-Andreas Vogt (r.) und Benedikt Stampa sind sich einig, dass das Konzerthaus an der richtigen Stelle steht. © Bjørn Woll
Das sieht auch - inzwischen aus der Distanz - von Hoensbroechs ans Festspielhaus Baden-Baden gewechselter Vorgänger Benedikt Stampa so. Mit dem Bau des Konzerthauses in diesem Quartier habe man versucht, „der Brückstraße etwas abzutrotzen“, stellte er bei seinem Besuch zum 20. Konzerthaus-Geburtstag fest. Und er ist überzeugt, dass das Konzerthaus „Wunden geheilt“ habe zwischen dem Norden und Süden der Stadt.
Dem Mix aus Imbissmeile und klassischer Musik kann er Positives abgewinnen. „Auch diese Kombination aus rau und Ästhetik macht das Konzerthaus Dortmund einzigartig“, stellt Stampa fest. Und es scheint, dass auch sein Nachfolger Raphael von Hoensbroech gut damit umgehen kann.
Die Anwohnerin sieht „eine verpasste Chance“
Seit 1961 lebt Silvana Feighofen-Onofrietti im Brückstraßen-Viertel und hat das Wohl und Wehe der Entwicklung intensiv miterlebt. Und auch sie hat sich große Hoffnungen gemacht, dass das Konzerthaus positiv im Quartier wirkt.
Jetzt, 20 Jahre nach der Eröffnung der „Philharmonie für Westfalen“ ist sie eher ernüchtert und enttäuscht. „Das Konzerthaus hat nicht das gebracht, was wir uns erhofft haben“, stellt sie fest.
Das Hauptproblem: „Das Konzerthaus hat nicht dazu beigetragen, ein anderes Publikum ins Viertel zu bringen“, bedauert die Geschäftsführerin eines Immobilien-Unternehmens. „Die Konzerthaus-Besucher kommen mit eingezogenen Köpfen aus dem Parkhaus und gehen nach dem Konzert mit eingezogenen Köpfen zurück“, sagt Silvana Feighofen-Onofrietti.
Was aus ihrer Sicht fehlt, ist attraktive Gastronomie. Restaurants und Lokale für ein älteres Publikum haben sich entgegen der Erwartung nicht angesiedelt. „Man hat keine Möglichkeit, den Genuss aus dem Konzerthaus nachklingen zu lassen“, bedauert die Anwohnerin.
Nicht nur deshalb kann Silvana Feighofen-Onofrietti durchaus nachvollziehen, dass viele Konzerthaus-Besucher schnell wieder aus dem Quartier verschwinden. Nach ihrer Beobachtung sorgt die aktive Nachtszene nach der üblichen Straßenreinigung durch die EDG dafür, dass jede Menge Müll liegen bleibt. „Es ist ein dreckiges Viertel“, beklagt sie.

Silvana Feighofen-Onofrietti in ihrem Quartier: Seit 1961 lebt sie im Brückstraßen-Viertel. © Oliver Volmerich
Der Rückblick auf 20 Jahre Konzerthaus macht Silvana Feighofen-Onofrietti „eigentlich traurig“. „Man hat eine Chance zur Veränderung verpasst“, meint sie.
Der Geschäftsmann sieht das Konzerthaus als „Lichtblick“
Wenn Manuel Alonso aus dem Fenster seines Büros an der Brückstraße blickt, schaut er direkt auf das Orchesterzentrum - eine Einrichtung, die es ohne das Konzerthaus an dieser Stelle wohl nicht geben würde. Nicht nur deshalb outet sich Alonso als Fan des Konzerthauses.

Manuel Alonso ist mit seinem alteingesessenen Leihhaus Nachbar des Orchesterzentrums an der Brückstraße - und großer Fan des Konzerthauses. © Oliver Volmerich
„Das Konzerthaus ist ein Lichtblick für Dortmund“, sagt Alonso, der seit 45 Jahren ein Leihhaus an der Brückstraße betreibt und die Entwicklung des Viertels seitdem engagiert begleitet. Sein Urteil dazu fällt nicht unbedingt positiv aus. „Die gesamte Innenstadt ist praktisch tot. Es gibt zu viel 08/15-Angebote, zu viele Billigläden“, beklagt Alonso.
Eben deshalb ist das Konzerthaus für ihn ein Lichtblick. „Es ist Luxus. Aber den muss sich eine Großstadt wie Dortmund auch leisten können“, sagt Alonso. Und er ist überzeugt, dass es sich sogar auszahlt. „Durch das Konzerthaus ist Dortmund über den Grenzen hinaus bekannt. Es bringt Menschen aus der ganzen Region in die Stadt. Die Leute sehen es als Highlight.“
Für die Brückstraße habe es nicht zuletzt auch „ästhetische Wirkung“, ist der Geschäftsmann überzeugt. Und er mag sich gar nicht vorstellen, wie es im Viertel aussähe, wenn es das Konzerthaus nicht gäbe. „Gott sei dank gibt es das Konzerthaus“, sagt Alonso. „Sonst wäre das hier ein Trauerspiel.“
Die Kreativ-Manager sehen viel Potenzial
Für den einen ist das Glas halbleer, für den anderen halbvoll. Für Christian Weyers und Jan Wittkamp gilt das letztere. Wenn man mit ihnen durch die Brückstraße geht, sieht man viele leerstehende Ladenlokale. „Vor allem viele Gastronomiebetriebe sind ein Opfer der Corona-Pandemie geworden“, erklärt Christian Weyers. Er weiß aber auch, dass sich viele neue Nutzungen anbahnen.

Christian Weyers (l.) und Jan Wittkamp kümmern sich als städtische Mitarbeiter um das Kreativquartier Brückviertel. © Oliver Volmerich
Nicht zuletzt versuchen Christian Weyers und Jan Wittkamp selbst immer wieder für neues Leben im Viertel zu sorgen. Beide arbeiten in der städtischen Stabsstelle Kreativquartiere und sind damit auch ein Art Quartierskümmerer für das Brückstraßen-Viertel. Denn Kreativwirtschaft spielt hier eine große Rolle.
„Man kann hier wahnsinnig viel entdecken“, stellt Wittkamp fest. Etwa die kleine Galerie Voss mit Künstleratelier im Hinterhof am Bissenkamp oder Aktionen der Fachhochschule im Quartier. Als Kreativ-Ort hat die Stabsstelle Kreativquartiere den „Superraum“ in einem Ladenlokal an der Brückstraße eingerichtet - eine Galerie, in der wechselnde Ausstellungen stattfinden. „Die Nachfrage ist groß“, freut sich Christian Weyers.

Der „Superraum“ bringt als Galerie Kunst in die Brückstraße. © Oliver Volmerich
Zu der kreativen Atmosphäre hat nach Überzeugung der Experten auch das Konzerthaus beigetragen. Ohne die Philharmonie für Westfalen gäbe es hier auch das Orchesterzentrum nicht, in dem Absolventen der NRW-Musikhochschulen zu Orchestermusikern ausgebildet werden. „Die Brückstraße ist damit Hochschulstandort“, stellt Jan Wittkamp fest.
Der Mischung aus Hochkultur und Subkultur können die Kreativ-Experten ebenfalls positive Aspekte abgewinnen. „Ich glaube“, sagt Jan Wittkamp, „dass gerade diese Ambivalenz das Viertel ausmacht.“
Termine für „Community Music“
- Die nächste „Brückviertel Community Jam“ findet am 3. November (Donnerstag) um 18 Uhr im Konzerthaus statt.
- Das nächste Treffen des „Community Choir“ ist am 7. November (7.11.) um 17.30 Uhr im Konzerthaus.
Oliver Volmerich, Jahrgang 1966, Ur-Dortmunder, Bergmannssohn, Diplom-Journalist, Buchautor und seit 1994 Redakteur in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten. Hier kümmert er sich vor allem um Kommunalpolitik, Stadtplanung, Stadtgeschichte und vieles andere, was die Stadt bewegt.
