
Jaqueline Suchanek vom Büro Stadt+Handel und Maximilian van Bremen setzen auf die Mischung aus Hochkultur und junger Szene im Brückstraßen-Viertel. © Oliver Volmerich
Bunt, laut, verrückt: Brückviertel ist „bunter Zirkus“ mit viel Musik
Serie zu City-Quartieren
Dortmunds City steht vor einem Wandel. Wie soll der aussehen? Dazu haben Dortmunder und Stadtplaner Ideen für neun Quartiere entwickelt. Wir stellen sie vor. Dieses Mal: das Brückviertel.
Hier spielt die Musik, verkündet das Transparent, das hoch über der Brückstraße aufgespannt ist. Und das kann man durchaus wörtlich nehmen.
Denn Musik dringt hier nicht nur aus den Modeläden. An der Reinoldistraße kommt sie bisweilen aus den Fenstern des Vokalmusikzentrums, in dem die Chorakademie ihren Sitz hat. Im Orchesterzentrum probt der Musikernachwuchs, im Konzerthaus stehen regelmäßig Weltstars der Klassik auf der Bühne, im Jazzclub Domicil ist die Jazz-Szene zuhause.
Im Pianohaus van Bremen an der Hansastraße, der westlichen Grenze des Brückviertels begleitet der Klavierstimmer klangvoll das Gespräch mit Junior-Chef Maximilian van Bremen. „Die Mischung aus Hochkultur und Night-Life macht das Viertel aus“, stellt er fest.

Maximilian van Bremen vor dem Pianohaus van Bremen, das seit 1906 im Brückstraßen-Viertel beheimatet ist, seit vielen Jahren an der Hansastraße. © Oliver Volmerich
Tatsächlich herrscht vor allem abends Leben zwischen Kuckelke und Hansastraße. Neben Musikbühnen gibt es hier auch bekannte Clubs wie das „Nightrooms“ an der Hansastraße, das „Oma Doris“ im Ruhfus-Haus oder das wiederbelebte „Spirit“ an der Helle. Und natürlich die Imbissmeile an Brück- und Gerberstraße, die nicht nur bei Nachtschwärmern angesagt ist.
Auf diese Mischung setzen auch die Expertinnen und Experten vom Stadtplanungsbüro Stadt + Handel. Sie haben als Vorbereitung für das neue City-Management neun Quartiere in der Dortmunder City identifiziert, die unterschiedliche Bedürfnisse der Innenstadt-Besucher bedienen sollen. Manche sind neu zugeschnitten. Das Brückviertel gehört da eher zu den Klassikern.
Und die Fachleute fühlen sich sogar an einen Zirkus erinnert. „Der bunte Zirkus mit Aftershowparty“ ist das Motto für die Vermarktung des Brückviertels. Man wolle deutlich machen, wie belebt es hier ist. „Bunt, laut und verrückt“ soll es sein, sagt Jaqueline Suchanek von Stadt+Handel.
Lange Tradition als Vergnügungsviertel
Die Fachleute knüpfen damit an eine weit zurückreichende Tradition an. Denn an einen Zirkus fühlten sich die Dortmunderinnen und Dortmunder schon in früheren Jahrhunderten erinnert, wenn von der Brückstraße die Rede war. Die Nord-Süd-Verbindung ist eine der ältesten Straßen der Stadt, in der sich schon im Mittelalter Händler und Wirtshäuser ansiedelten.
Vollends zum Vergnügungsviertel wurde das Quartier ab Ende des 19. Jahrhunderts, als Dortmund zur Großstadt wurde. Konzert-Cafés, Bierhallen, Wirtshäuser und Varieté-Theater wie der „Wintergarten“ reihten sich an der Brückstraße aneinander. Eines der prägendsten war das „Café Metropol“ im Ruhfus-Haus - dort, wo heute der Szene-Club Oma Doris residiert.

So sah es an der Brückstraße im Jahr 1906 aus. © Stadtarchiv
Als „St. Pauli im Kleinen“ wurde die Brückstraße in einem Zeitungsbericht 1911 beschrieben: „Ein ewiger Strom von Trinkfreudigkeit, Ohrenschmaus und Augenweide rauscht durch die Straße.“
Das hatte natürlich auch seine Schattenseiten: In dem Zeitungsbericht wird beklagt, dass ein Modewarengeschäft aus der Brückstraße verlegt werde, „weil bessere Damen beginnen, die Straße zu meiden“. „Unsere Brückstraße wird durch den musikalischen Wirtschaftsbetrieb für die ernsthaften Geschäftsbetriebe außerordentlich entwertet“, hieß es.
Die Straße der Kinos
Schon vor dem Ersten Weltkrieg waren die ersten Kinos dazugekommen. Heute ist davon noch die Schauburg geblieben, deren Geschichte bis 1913 zurückreicht. Und sie prägten auch in den vermeintlich „goldenen 20er-Jahren“ neben anderen Vergnügungslokalen das Bild. 1922 eröffnet der Ufa-Palast - mit 1510 Plätzen das größte Kino der Stadt - seine Türen - dort, wo heute das Konzerthaus steht, das genau 80 Jahre später eröffnet wurde.

In den 1920er-Jahren blieb das bunte Leben - mit immer größeren Kinopalästen. © Stadtarchiv
Die Kino-Herrlichkeit ging auch nach dem Zweiten Weltkrieg weiter – in den 50er-Jahren. Später kamen Diskotheken, Nachtclubs und Bars dazu - und die Brückstraße geriet erneut in Verruf. In den 70er-Jahren breitete sich das Rotlicht-Milieu aus - mit Spielhallen, Bars, Strip-Lokalen und Sex-Shops. Bandenkriminalität, illegale Spielcasinos und Bordelle sorgten für negative Schlagzeilen. Obendrein wurde der Platz von Leeds später zum Treffpunkt der Drogenszene.
Initiative für Altstadtviertel
Der Ruf war also gründlich ruiniert, als die Stadt Ende der 1990er-Jahre versuchte, die Notbremse zu ziehen. 1996 legte die Verwaltung ein Konzept für ein „Altstadtviertel Brückstraße“ vor, ein Millionen-Programm für ein neues Pflaster und neue Beleuchtung wurde beschlossen, ein Quartiersmanagement eingerichtet.
Größter Hoffnungsträger aber ist das Konzerthaus, das anstelle des alten Universum-Kinos mitten im Quartier gebaut wird. Im September 2002 wurde die Eröffnung gefeiert. Und die Philharmonie für Westfalen, die in diesem Jahr ihren 20. „Geburtstag“ feiert, wird tatsächlich zu einem der führenden Konzerthäuser in Europa, bringt große Orchester und Klassik-Stars aus aller Welt an die Brückstraße.

Das 2002 eröffnete Konzerthaus repräsentiert die Hochkultur an der Brückstraße und ist auch architektonisch ein Blickfang. © Stephan Schuetze
Doch verändert es auch das Viertel? Die Hoffnung, dass sich mit dem Konzerthaus auch hochrangige Gastronomie ansiedelt, hat sich eher nicht erfüllt. Weiterhin dominierend sind Fast-Food-Angebote. Das Konzerthaus sei ein Anker, habe das Viertel aber noch nicht wie erhofft mitziehen können, stellen die Experten fest.
„Hochkultur und junge Szene existieren nebeneinander, stören sich aber auch nicht“, sagt Maximilian van Bremen. „Es ist aber auch schön, wenn es immer weiter zusammenwächst.“ Insgesamt ist für ihn das Glas aber eher halbvoll, statt halbleer. Durch das Konzerthaus habe sich das Viertel in den vergangenen 20 Jahren ganz gut entwickelt, ist der Geschäftsmann überzeugt.

Der Platz von Leeds mit dem Ruhfus-Haus prägt weiterhin den südlichen Eingang ins Brückstraßen-Viertel. Neu dazu gekommen ist das Gebäude des Basecamps (unten links). © Thomas Thiel
Jaqueline Suchanek hofft, dass das Zusammentreffen von Hoch- und Subkultur positiv wirken kann. Die Mischung aus Musik, Kultur und Gastronomie soll nach dem Konzept von Stadt+Handel deshalb weiter entwickelt werden und ins Positive gewendet werden. Dazu beitragen soll etwa auch das Basecamp mit studentischem Wohnen und Gastronomie. „Das kann neue Impulse setzen und zusätzliches Leben bringen“, stellt Jaqueline Suchanek fest.
Aktuell hat das Quartier aber immer noch ein Image-Problem. Bei der Umfrage zur City wurde das Brückstraßen-Viertel sowohl als einer der beliebtesten Orte, als auch als einer der unbeliebtesten Orte genannt, berichtet Jaqueline Suchanek.
Ein Ziel des City-Konzepts ist es deshalb, das Image des Quartiers aufzupolieren. Dazu wird Geduld nötig sein. „Imagepflege ist eine langfristige Sache. Der Wandel vollzieht sich nur langsam“, weiß Maximilian van Bremen. Das Brückviertel ist dafür ein Beispiel mit Tradition.
DAS PROJEKT
- Das Büro Stadt + Handel wurde von der Stadt Dortmund beauftragt, für eine Stärkung der City die konzeptionellen Grundlagen für ein Citymanagement zu erarbeiten. Das Projekt wird mit 100.000 Euro vom Land NRW gefördert und das Büro begann im Juni 2021 seine Arbeit.
- Die Experten definierten neun Quartiere innerhalb des Walls, die unterschiedliche Stärken und Schwächen aufweisen. In vielen Werkstattgesprächen mit den Akteuren in den Quartieren wurden jeweils Zukunftsideen entwickelt. Diese wurden jetzt in einem Zwischenbericht dargelegt.
- Der Rat der Stadt erhält am Ende dieses Jahres einen Abschlussbericht als Diskussionsgrundlage. Letztlich soll dann ein „Regiebuch“ beschlossen werden, das von einem Citymanagement für die Dortmunder City umgesetzt wird.
Oliver Volmerich, Jahrgang 1966, Ur-Dortmunder, Bergmannssohn, Diplom-Journalist, Buchautor und seit 1994 Redakteur in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten. Hier kümmert er sich vor allem um Kommunalpolitik, Stadtplanung, Stadtgeschichte und vieles andere, was die Stadt bewegt.
