
© Dieter Menne Dortmund
Der neue Intendant spickt Tradition mit neuen Ideen
Konzerthaus Dortmund
Am Sonntag schlägt Raphael von Hoensbroech ein neues Kapitel in der Geschichte des Konzerthaus Dortmund auf. Der neue Intendant hat viele Ideen und schon einen neuen Exklusivkünstler.
Der Tag des Eröffnungskonzerts im Konzerthaus Dortmund ist der erste Arbeitstag des promovierten Musikwissenschaftlers und Kulturmanagers Raphael von Hoensbroech. Aber der 41-Jährige, der einen Sechs-Jahres-Vertrag hat, arbeitet schon seit seiner Wahl zum Intendanten vor gut einem Jahr an dem neuen Spielplan.
Das Programm für die Saison 2019/20 steht, und schon ab der nächsten Saison will der ehemalige Geschäftsführer des Berliner Konzerthauses in Dortmund neue, spannende Reihen etablieren. Julia Gaß sprach mit ihm über seine Ideen.
Wann haben Sie Ihr Büro im Konzerthaus bezogen?
Am 13. August. Offiziell beginnt mein Vertrag am 16. September, aber ich habe schon vor einem Jahr begonnen, strategisch in die Zukunft zu planen. Ich bin pro Monat ein oder zwei Tage hier gewesen und habe mich darauf konzentriert, die Saison 2019/20 vorzubereiten, das Haus und Dortmund kennenzulernen. Wir haben die Saison 2019/20 inzwischen in groben Zügen fertig, und gerade hatte ich mit dem Leitungsteam eine Strategietagung. Da hatte ich das Gefühl, dass wir alle an einem Strang ziehen.
Sie sind Intendant und Geschäftsführer des Konzerthauses. Was ist der schwierigere Job – der kaufmännische oder der künstlerische?
Das Schöne ist, beides zusammen machen zu dürfen. Ich habe mich bewusst auf den Weg begeben, diese beiden Welten zu verbinden: auf der einen Seite die Musikwissenschaft, das Dirigieren und die Beschäftigung mit der Geige, seit ich drei Jahre alt bin. Und auf der anderen Seite, acht Jahre in der Unternehmensberatung zu arbeiten. Zuletzt habe ich in Berlin als Geschäftsführender Direktor fünf Jahre an einem Haus gearbeitet, wo ich die eine der beiden Seiten abgedeckt habe. Ich freue mich darauf, dass ich das Künstlerische und Kaufmännische jetzt in Personalunion in Dortmund verantworten kann.
Die „Jungen Wilden“ haben Sie ja schon ausgesucht. Was ist mit den anderen großen Reihen und Abo-Strukturen wie den drei Orchesterreihen – führen Sie die fort, oder haben Sie neue Ideen?
Das Publikum hat ja nicht darauf gewartet, dass sich jetzt alles verändert. Die Sorge ist immer, dass geliebte Dinge nicht bleiben. Vor diesem Hintergrund muss man sehr wohldosiert neue Dinge anbauen und sollte gute Reihen nicht über den Haufen werfen. Die „Jungen Wilden“ finde ich so stark, weil sie ein unglaubliches Identifikationspotenzial für die Künstler haben. Die hier am Haus waren, kommen immer gerne wieder. Bei den Orchesterreihen ist es klar: Wir werden nicht wesentlich mehr Orchesterkonzerte machen können und weniger zu machen, wäre ein Jammer. Insofern wird es bei drei Reihen bleiben.
Was ist mit den Exklusivkünstlern?
Das Thema Exklusivkünstler werde ich erweitern. Ich finde schön, diese drei Jahre zu haben, weil sich da mehr entwickeln kann als in einjährigen Residenzen. Die Chance, Dinge aufzubauen, ergeben sich so richtig erst im dritten Jahr, wenn das Publikum die Künstler kennengelernt hat. Die Wahl für Andris Nelsons‘ Nachfolger ab der Saison 2019/20 ist schon im vergangenen Jahr gefallen. Das war die erste künstlerische Entscheidung, die ich getroffen habe. Mit war gleich klar, wen wir nehmen müssen.
Was meinen Sie mit Erweiterung der Exklusivkünstler?
Es geht darum, das Drei-Jahres-Konzept auszubauen. Wir haben ab dieser Saison für drei Jahre die neue Staffel der „Jungen Wilden“, und drei Jahre mit dem neuen Exklusivkünstler ab 2019/20. Für das dritte Jahr habe ich dann eine ganz wunderbare Ergänzung geplant. Aber schon in der Saison 2019/20 gibt es eine spannende neue Reihe.
Und die konzertante Oper führen Sie auch weiter?
Wir haben für 2019/20 mindestens zwei spannende Produktionen im Programm. Aber konzertante Oper ist eine der größten finanziellen Herausforderungen. Und mit den Dingen, die ich zusätzlich machen will, muss ich sehen, wie wir das finanziert bekommen. Vielleicht machen wir später mal eine konzertante Oper weniger.
Was wollen Sie tun, um junges Publikum für die Konzerte zu begeistern?
Es wird zum Beispiel eine neue Reihe geben, die in gewisser Weise ein Experimentierfeld sein wird. Und da sich junge Menschen gerne mit Experimentellem, Innovativem und Neuem auseinandersetzen, glaube ich, dass wir damit junges Publikum erreichen. Ich habe auch vor, das Thema, was man ja gemeinhin Education nennt, auszubauen. Wir sind ja im Brückstraßenviertel. Und wenn sich das auch mit Hilfe des Konzerthauses verändert hat, sagen mir viele in Dortmund, da sei noch Luft. Ich beobachte das so: Es gibt viele Menschen, die laufen um das Konzerthaus herum, gehen aber nie hinein. Und dann gibt es viele Menschen, die gehen hinein, laufen aber nie darum herum. Daher müssen wir darüber nachdenken, wie wir das Konzerthaus im Viertel stärker verankern können.
Die große Herausforderung ist, dass das Konzerthaus kein lokales Konzerthaus ist, sondern internationale Ausstrahlung hat und internationale Künstler auf höchstem Niveau präsentiert, aber trotzdem seine Wurzel im Brückstraßenviertel hat. Diesem Spannungsfeld möchte ich mich stellen. Dafür werde ich Partner aus der Wirtschaft oder Stiftungen finden müssen, die diesen Weg mit uns gehen wollen. Im angelsächsischen Bereich gibt es zum Beispiel Institutionen, die Education nicht auf Musikbildung reduzieren, sondern auf gesellschaftliche Veränderung ausrichten. So etwas schwebt mir vor.
Sie waren als Besucher schon in einigen Konzerten im Konzerthaus Dortmund. Wie haben Sie die Menschen in der Region und das Publikum wahrgenommen?
Sympathisch, humorvoll, offen und direkt. Dieses Direkte gibt es ja auch in Berlin, aber hier hat es mehr Charme. Von Einigen habe ich gehört, sie trügen ihr Herz auf der Zunge, und das tun die dann wirklich. Und das finde ich schön. Und ich finde wunderbar, mit welcher Identifikation die Dortmunder auf ihr Konzerthaus schauen. Es ist schön, dass das Publikum uns vertraut, dass das, was wir aufs Programm setzen, gut sein wird. Mir ist wichtig, diese Identifikation auszubauen, weil Loyalität wichtig ist, um das Publikum mitzunehmen auf eine Reise, bei der es auch Unbekanntes gibt. Die Loyalität betrifft im Übrigen auch die Künstler, die mit großer Begeisterung von diesem Saal und über das Publikum sprechen und die Besucher als sehr aufnahmefähig, begeisterungsfähig und verständig erleben. Das ist ein wesentlicher Punkt, warum sie gerne nach Dortmund kommen.
Wo sehen Sie das Konzerthaus in sechs Jahren?
Meine Blickrichtung sind nicht sechs, sondern zehn Jahre. Ich sehe das Haus als einen der großen Leuchttürme des Konzertwesens, der ein Must-Stop für die großen Künstler der Welt ist, und ein Innovationsvorreiter bei der Frage, wie wir Musik rezipieren, aufführen und verstehen. Wenn ich darüber nachdenke, was wir den Menschen bieten, dann sind das nur vordergründig Künstler auf der Bühne, die musizieren. In Wirklichkeit bieten wir etwas, was eine Ebene tiefer ist: einen Veränderungsmoment. Das versuche ich in den Vordergrund zu stellen. Und das hat auch Auswirkungen darauf, wie wir das Publikum und die Künstler behandeln.
Was Ihr Vorgänger Benedikt Stampa auch schon mit Plakataktionen angestoßen hat.
Ja, es ist kein Richtungsschwenk. Benedikt Stampa und ich sind uns in vieler Hinsicht recht ähnlich in der Haltung, im Blick auf das Haus, auf die Musik und das Konzertwesen. Ich kann hier auf etwas Wunderbarem aufbauen und es weiterentwickeln. Das empfinde ich als Geschenk. Und es mangelt mir nicht an Ideen.
Zum Schluss noch ein paar persönliche Fragen: Seit wann wohnen Sie in Dortmund?
Am 3. September ist der Umzugswagen gekommen. Wir haben ein schönes Haus in der Innenstadt-Ost gefunden. Ich wohne schon seit Mitte August in Dortmund, und seit der Einschulung ist meine Familie (Anmerkung der Red.: Ehefrau Christina von Hoensbroech, vier Söhne und eine Tochter) auch hier.
Ihr Stammplatz im Konzerthaus, wo die Besucher Sie finden, ist welcher?
Ich werde mich ein bisschen herumsetzen, aber erst mal sitze ich weiter in Reihe 22, Platz 1.
Ihre erste Schallplatte war?
Bachs Matthäuspassion mit Karl Richter. Die habe ich mit sieben Jahren rauf und runter gehört und mit der Partitur lesen gelernt.
Ihr Lieblingsdirigent ist?
Das ist schwierig. Es gibt so viele Dirigenten, die hier ein- und ausgehen, die ich bewundere. Einen zu nennen, würde viele andere ausschließen. Für mich war Helmuth Rilling eine prägende Figur, weil er die Wort-Musik-Beziehung in einzigartiger Weise in seine Musik einfließen ließ. Auf einer ganz anderen Ebene war für mich einer der ganz Großen Nikolaus Harnoncourt, weil er Stücke im Konzert immer wieder wie zum allerersten Mal gespielt hat. Für ihn war dieser flüchtige Moment des Musizierens wichtig, und das ist für mich auch hier in Dortmund entscheidend: das, was zwischen Musikern und Publikum im Raum passiert. Denn so klingt dieser Künstler nur in Dortmund.
Begleitet und beobachtet seit 35 Jahren für die Zeitung das Kulturleben in Dortmund und in der Region.
