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Holocaust-Verharmlosung als Impf-Kritik – das ist nur noch widerlich
Kommentar
An einem jüdischen Gedenkstein in Dortmund sind Schilder aufgetaucht, die das Leid der Juden in de NS-Zeit mit Einschränkungen für Ungeimpfte vergleichen. Unseren Autor ist fassungslos.
Widerlich – es ist das richtige Wort, dass Micha Neumann von der Antisemitismus-Beratungsstelle Adira, benutzt, um die verharmlosenden und antisemitischen Schilder am jüdischen Gedenkstein im Westpark einzuordnen. Mir kommen dazu noch weitere Begriffe in den Sinn: geschichtsvergessen, menschenverachtend, entsetzlich.
Sechs Millionen Jüdinnen und Juden sind von den Nationalsozialisten systematisch ermordet worden. Die, die den Gaskammern entkommen konnten, mussten sich verstecken, hatten Todesangst, und sie haben Angehörige wegen eines menschenverachtenden Regimes verloren.
Nicht mal im Ansatz vergleichbar mit dem Leid der Juden
In bestimmten Situationen eine Maske zu tragen und sich impfen zu lassen damit zu vergleichen ist mehr als unerträglich.
Es macht fassungslos, nach fast zwei Jahren Pandemie immer noch erklären zu müssen, warum wir Masken tragen und warum Impfungen sinnvoll sind: Beides schützt vor dem Virus oder vor einem schweren Krankheitsverlauf. Unwiderlegbar. Beides hat einen Sinn.
Hier Parallelen zu sehen zur sinnlosen Ermordung von Jüdinnen und Juden im Holocaust ist beschämend. Es ist unfassbar, dass deren Nachfahren sich solche Verharmlosungen anhören müssen von Menschen, die sich in einer jämmerlichen Opferrolle gefallen, in die sich selbst hineinbegeben.
Jeder und jede darf die Maßnahmen gegen das Coronavirus in Deutschland kritisieren, denn wir leben eben nicht in einer Diktatur, sondern in einem Staat, in dem Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist. Das Wie ist allerdings von Bedeutung. Wer dabei den Holocaust verharmlost, disqualifiziert sich für jegliche Teilnahme an der Diskussion.
Seite an Seite mit den ideologischen Nachfolgern der Nationalsozialisten
Hinzu kommt: Die herbeiphantasierte Verfolgung von Menschen, die sich nicht gegen Corona impfen lassen, gibt es nicht. Was sie sicherlich zu spüren bekommen, ist gesellschaftlicher Druck - und der ist in meinen Augen berechtigt.
Denn die Kosten für ihre Entscheidung sind hoch. Sie haben nämlich die vermeidbare Einschränkung der Freiheit aller, volle Intensivstationen und vermeidbare Todesfälle zur Folge.
Sich aufgrund einer eigenen Entscheidung als Opfer darzustellen und sich mit verfolgten und ermordeten Jüdinnen und Juden gleichzusetzen, ist an Zynismus nicht zu übertreffen.
Vielleicht nur noch dadurch, dass man gleichzeitig Seite an Seite mit Neonazis demonstriert – also den ideologischen Nachfolgern der Verbrecher, die den Holocaust zu verantworten haben.
Als gebürtiger Dortmunder bin ich großer Fan der ehrlich-direkten Ruhrpott-Mentalität. Nach journalistischen Ausflügen nach München und Berlin seit 2021 Redakteur in der Dortmunder Stadtredaktion.
