Micha Neumann, Anna Ben-Schlomo und Johanna Lauke (v.l.) bilden das Team der neuen Beratungsstelle gegen Antisemitismus Adira. Das Foto entstand im Innenhof der jüdischen Gemeinde Dortmund, in deren Räumen auch Adira sitzt.

© Thomas Thiel

Hakenkreuz-Graffiti am Haus? Diese Dortmunder helfen

rnNeues Hilfsangebot

Die neue Beratungsstelle Adira der jüdischen Gemeinde will dabei helfen, sich gegen Antisemitismus zur Wehr zu setzen. Sie ist erst die zweite ihrer Art in NRW - und nicht zufällig in Dortmund.

Dortmund

, 07.04.2021, 20:45 Uhr / Lesedauer: 2 min

Der Schock saß tief: Eines Tages Anfang November fanden Pavel und Tetyana Gorodynska Hakenkreuz-Graffiti an ihrem Restaurant im Saarlandstraßenviertel, dazu den Schriftzug „Juden Gasthaus“.

Die Gorodynskas sind eine jüdische Familie, auch wenn sie keine aktiven Mitglieder der knapp 3000 Gläubige umfassenden jüdischen Gemeinde in Dortmund sind. „Was soll ich machen?“, war die erste Frage, die durch ihren Kopf schoss, erinnert sich Tetyana Gorodynska.

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Sie fanden Hilfe bei Adira. Es wurde einer der ersten Fälle der neuen „Antidiskriminierungsberatung und Intervention bei Antisemitismus und Rassismus“, wie Adira in ihrer sperrigeren Langform heißt.

Vor einem halben Jahr bezog die Beratungsstelle ihre Räume im dritten Stock des Gebäude-Komplexes der jüdischen Gemeinde im Kaiserviertel. Am Mittwoch (7.4.) stellte sich Adira in einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vor.

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Finanziert vom Land NRW, will Adira (was übrigens auch ein hebräischer Frauen-Name ist, der mit Stärke und Macht übersetzt werden kann) Menschen unterstützen, die Opfer von Antisemitismus geworden sind.

Dabei sei es unerheblich, ob der antisemitische Vorfall schwerwiegend genug ist, um eine Straftat zu sein, betont Mitarbeiterin Johanna Lauke. So helfe man auch bei Beleidigungen im privaten Umfeld oder antisemitischen Sprüchen auf der Straße: „Antisemitismus wird oft nicht erkannt, wird von den Betroffenen aber ganz deutlich erlebt.“

„Wenn irgendwas passierte oder ein Problem auftrat, waren die da.“

Ihr Kollege Neumann spricht von einer „Verharmlosung und Bagatellisierung“, die Opfer von Alltags-Antisemitismus häufig erlebten: „Wir sind eine parteiische Beratungsstelle, wir zweifeln diese Erfahrungen nicht an.“ Wichtig sei, dass sich die Opfer nicht als hilflose Objekte fühlen, sondern aktiv gegen die Diskriminierung vorgehen.

Im Fall der antisemitischen Schmierereien im Saarlandstraßenviertel riet Adira den Gorodynskas zur Anzeige bei der Polizei und erklärte ihnen die internen Abläufe bei der Polizei. Danach half Adira-Mitarbeiter Neumann bei der Einschätzung, ob ein Schritt an die Öffentlichkeit gefährlich sein könnte.

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„Ich fand das sehr unterstützend und hilfreich“, sagt Tochter Katherina Gorodynska, die über Bekannte vom Angebot erfahren hatte und den Kontakt zu Adira hielt. „Wenn irgendwas passierte oder ein Problem auftrat, waren die da.“

Bisher hatte Adira nur „eine niedrige zweistellige Zahl“ an Fällen, so Neumann. Doch je bekannter das Angebot werde, desto mehr Beratungen werde es geben.

Zuständig ist Adira nicht nur für Dortmund, sondern ganz Westfalen-Lippe. Es ist erst die zweite auf antisemitische Diskriminierung spezialisierte Beratungsstelle in NRW, die Schwester-Stelle Sabra in Düsseldorf deckt das Rheinland ab.

Dortmund ist ein „Ort mit vermehrten antisemitischen Vorfällen“

Dortmund ist bewusst als Sitz ausgewählt worden. Zum einen, weil seine jüdische Gemeinde als größte Westfalens die beste Infrastruktur hat. Aber auch, weil Dortmund „zwar kein Hotspot, aber schon ein Ort mit vermehrten antisemitischen Vorfällen sei“, wie es Neumann formuliert.

Das hänge mit der Nazi-Szene in der Stadt zusammen, aber auch mit muslimischem Antisemitismus, der sich besonders am Staat Israel entzündet, wie Zwi Rappaport erzählt, Vorstand der jüdischen Gemeinde in Dortmund: „Die antisemitischen Vorfälle haben stark zugenommen.“

Die antisemitischen Straftaten in Dortmund decken diese Aussage nicht. Nach Angaben des NRW-Innenministeriums hat sich ihre Zahl 2019 (14 Fälle) im Vergleich zu 2018 (34) mehr als halbiert, im ersten Halbjahr 2020 lag sie ebenfalls nur 7.

Für Adira-Mitarbeiterin Lauke sind die Zahlen der Straftaten jedoch „nur die Spitze des Eisbergs“. Eine Statistik zu niederschwelligen antisemitischen Vorfällen gibt es noch nicht, das Land NRW baut gerade eine entsprechende Recherchestelle auf. Bis es sie gibt, nimmt Adira auch Meldungen jeglicher antisemitischer Vorfälle entgegen.

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