Wie ein Jude den Alltag erlebt – und warum er bestimmte Stadtteile in Dortmund meidet

© Thomas Thiel

Wie ein Jude den Alltag erlebt – und warum er bestimmte Stadtteile in Dortmund meidet

rnJüdisches Leben in Dortmund

Antisemitismus gehört für Dennis Khavkin (23) nicht erst seit dem Anschlag von Halle zum Alltag. Es gibt Viertel in Dortmund, die der TU-Student seit jeher meidet - weil er Jude ist.

Dortmund

, 17.10.2019, 04:30 Uhr / Lesedauer: 2 min

Wer Dennis Khavkin nach seinen Erfahrungen mit Antisemitismus fragt, dem erzählt er die kleine Geschichte von einer Buchführungs-Klausur. Die schrieb der Student der Wirtschaftswissenschaften in seinem ersten Semester an der TU Dortmund. „Da sagte ein Kommilitone zu mir: Das schaffst du bestimmt, bist ja Jude“, erinnert sich der Khavkin.

Der 23-Jährige ist einer von rund 2800 Juden, die in Dortmund leben und Teil der jüdischen Gemeinde sind. Er erlebt Antisemitismus nicht in Schüben, in großen Vorfällen wie körperlichen Angriffen („zum Glück“, wie er betont), er erlebt ihn konstant in kleinen Dosen – etwa in Form von Sprüchen wie diesem, der sich beim Klischee des raffgierigen Finanz-Juden bedient. „Das überhöre ich mittlerweile einfach“, sagt Khavkin.

„Das Judentum ist Teil meiner Identität“

Khavkin ist überzeugter Jude. Auch wenn er sich selbst nicht als besonders religiös bezeichnet, geht er wöchentlich in die Synagoge. Für ihn ist das Judentum mehr als ein Glauben. „Es ist auch ein Gemeinschaftsgefühl. Weil wir nicht so viele sind, kennt man sich und hält zusammen“, sagt er. „Es ist Teil meiner Identität.“

Dennis Khavkin ist in Dortmund nur selten mit Kippa unterwegs. Er will eher nicht als Jude erkannt werden.

Dennis Khavkin ist in Dortmund nur selten mit Kippa unterwegs. Er will eher nicht als Jude erkannt werden. © Thomas Thiel

Zu dieser jüdischen Identität gehört auch ein gehöriger Schuss Vorsicht, ein Ergebnis kollektiver Erfahrung, angesammelt in Jahrhunderten der Ausgrenzung und Verfolgung. Seit dem Anschlag von Halle in Sachsen-Anhalt, als ein rechtsextremer Terrorist versuchte, in eine Synagoge einzudringen und dort ein Blutbad anzurichten, gibt es in Deutschland wieder eine Diskussion über Antisemitismus und die Sicherheit jüdischer Bürger. Dortmund ist da keine Ausnahme - eher sogar ein kleiner Sonderfall.

Die Dortmunder Synagoge hat eine Sicherheitsschleuse

Vor drei Jahren zog Khavkin aus dem beschaulichen Osnabrück in die Großstadt Dortmund. Schnell merkte der junge Mann, dass sich das jüdische Leben hier ein wenig von dem in seiner niedersächsischen Heimat unterscheidet. „In Osnabrück kann man einfach so in die Synagoge, hier gibt es am Eingang eine Sicherheitsschleuse.“

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In Dortmund gebe es viele Menschen, die Juden nicht wohlgesonnen gegenüber stehen: Menschen mit arabischen Wurzeln, die den Staat Israel verabscheuen und diesen Hass auf alle Juden übertragen, und natürlich die Dortmunder Nazis.

Khavkin meidet die Nordstadt und Dorstfeld

In Dortmund trägt Khavkin seltener seine Kippa in der Öffentlichkeit als noch in Osnabrück. Er erzählt von einem Vorfall eines Gemeindemitglieds, der vergangenes Jahr am Phoenix-See angegriffen worden sei, weil er die religiöse Kopfbedeckung getragen habe.

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Doch auch ohne Kippa meidet Khavkin Dorstfeld und die Nordstadt, „zu 100 Prozent!“, schiebt er nach: „Auch wenn man mich nicht als Jude erkennt, fühle ich mich dort unwohl.“ Der Anschlag von Halle habe gezeigt, wozu Antisemitismus führen könne: „Das ist nicht mehr eine abstrakte Bedrohung, das ist jetzt Realität.“

Trotz allem will Khavkin sein Leben normal weiterleben, in die Synagoge gehen, sich mit Freunden treffen. Und weiter hoffen, dass Jüdisch sein in den Augen der Gesellschaft irgendwann einfach eine Religion von vielen ist. „Wenn ich Leuten sage, dass ich Jude bin, werde ich heute oft entweder angemacht oder nur noch mit Samthandschuhen angefasst. Das muss aufhören.“


In eigener Sache: In einer früheren Version dieses Textes wurde Khavkin mit der Aussage zitiert, dass die jüdische Gemeinde am Montag wegen einer Nazi-Kundgebung ein paar Straßen weiter die Synagoge nicht verlassen durfte. Diese Aussage beruhte auf einem Missverständnis von Seiten Khavkins. Tatsächlich habe es ein technisches Problem mit der Eingangstür gegeben, heißt es jetzt aus Kreisen der Gemeinde. Wir haben die Passage deshalb aus dem Text entfernt.

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