„Als die Leute anfingen, Urlaub an der Adria zu machen, veränderte sich die Esskultur in Dortmund“, erinnert sich Günther Overkamp. Feine Küche kam erst später. Und das erste Sterne-Restaurant wurde mehr von auswärtigen Gästen als von Einheimischen besucht.

„Als die Leute anfingen, Urlaub an der Adria zu machen, veränderte sich die Esskultur in Dortmund“, erinnert sich Günther Overkamp. Feine Küche kam erst später. Und das erste Sterne-Restaurant wurde mehr von auswärtigen Gästen als von Einheimischen besucht. © Menne

Günther Overkamp: Wie 90 Dörfer die kulinarische Großstadt Dortmund wurden

rnKolumne Overkamps Lecka-reien

Es war ein langer Weg von der typischen Dortmunder Dorfkneipe mit Kegelbahn bis zur Sterne-Gastronomie von heute. Wie sich Dortmund kulinarisch gewandelt hat, beschreibt Spitzenkoch Günther Overkamp.

Dortmund

, 07.08.2022, 11:05 Uhr / Lesedauer: 2 min

Wenn man über die Gastronomie in unserer Stadt spricht, muss man erst mal verstehen, dass Dortmund eigentlich ein Dorf ist. Oder viele Dörfer, nämlich 90. (Na, wie viele bekommen Sie aufs Tablett?) Dass wir heute eine Metropole sind und achtgrößte Stadt Deutschlands, das kann am wenigsten der Dortmunder selbst verstehen.

Bis vor nicht allzu langer Zeit gab es in vielen dieser Dörfer Dorfgasthäuser im besten Sinne. Hier haben sich die Menschen getroffen und gemeinsam gegessen und getrunken, Tauben gezählt, Briefmarken verglichen, gesungen und bei Versammlungen gestritten.

Zur Kolumne

Overkamps Lecka-reien

Warum ist westfälische Küche so „lecka“ und wie führt man ein Traditions-Gasthaus? Darüber - und über manches mehr - schreibt der Koch Günther Overkamp in seiner Kolumne „Overkamps Lecka-reien“.

Jedes noch so kleine Dorfgasthaus hatte einen angehängten Saal und im besten Falle noch eine Kegelbahn, Entschuldigung: Bundeskegelbahn! Ich weiß bis heute noch nicht, was das bedeutet.

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Dortmund war schon immer eine Großstadt

Aus Sicht des gebürtigen Sauerländers, der ich ja bin, war Dortmund allerdings immer schon Großstadt. Wenn man nach Dortmund fuhr, hat man sich schick gemacht. Und der, der am besten fahren konnte, der also schon mal mehrspurige Straßen gesehen hatte, der saß am Steuer. Bei der Überlandfahrt meines Führerscheines musste ich auch nach Dortmund. Damit ich erstmals überhaupt eine Ampel zu sehen bekam.

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Zurück zu den ehemaligen Dortmunder Dorf-Gasthöfen. Sie sind in den allermeisten Fällen der Veränderung der Esskultur gewichen. Als die Leute anfingen, Urlaub an der Adria zu machen, wollten sie dann hier diese Küche wiederfinden. Und passenderweise sind die Italiener, Griechen und Jugoslawen ja dann auch zu uns gekommen. Wir hielten sie zunächst irrtümlich für „Gastarbeiter“.

Eisdielen, Pizzerien Griechen und mehr erobern Dortmund

Aber sie eröffneten Eisdielen, die oft San Remo hießen, und Pizzerien und Ristorante und jeder Dortmunder hatte und hat auch heute noch seinen Lieblings-Italiener und Lieblings-Griechen. Einen Lieblings-Deutschen gibt’s ja komischerweise nicht. Jugoslawen sind nach wie vor auch da, heißen nur nicht mehr so.

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Feine Küche kam später. Als erstes die Appenzeller Stuben vom Mövenpick. Da aß man Zürcher Geschnetzeltes. Gehobenere Küche boten dann auch Haus Horster in Kley oder Haus Zimmermann, später (und heute noch) das Jägerheim, Haus Suberg in Asseln oder Haus Mentler, das es ja nicht mehr gibt.

Dortmunder haben Sterne-Küche erst nicht recht angenommen

Viele der Traditionshäuser haben sich gewandelt oder sind nicht mehr da. Aber 1985 schaffte es die Spielbank, mit La Table und Kurt Jäger einen Stern aufgehen zu lassen - und später mit Thomas Bühner sogar zwei. Gäste kamen von überall her.

Aber wenn man ehrlich ist: Der Dortmunder selbst hat es nicht so recht angenommen. Heute erfreuen wir uns dreier sternegekrönter Restaurants ambitionierter moderner junger Köche, die auch wesentlich besser besucht werden.

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Seit der Neuzeit (meiner Neuzeit) haben sich spezielle Konzepte in vielen Nischen etabliert: Vegane Eisdielen, Cafés mit eigener Rösterei, Bowl- oder Sushi-Restaurants, Craftbier-Lokale, Weinbars - in angesagten Vierteln wie der Kaiserstraße und in vielen Vororten.

Die Gastro-Szene in Dortmund ist vielfältig und urban

Es ist eine ganz vielfältige Gastronomie entstanden, in der Folge auch jede Menge Lieferdienste und Feinkostläden, demnächst auch unserer bei O´s. Es hat Dortmund verändert, so dass wir uns heute wirklich als Stadt erleben und nicht als Ansammlung von Dörfern.

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Eines hat sich nicht verändert: Auf den Tellern in Dortmund wird immer noch gerne auch Quantität gesehen – „obwohl alle Zechen zu sind“, wie mein Schwiegervater zu sagen pflegt.

Also: Erleben Sie Dortmunds Gastrovielfalt und Kultur! Sie nutzen, heißt hier: erhalten! In diesem Sinne – bis denne!