Günther Overkamp: Wenn Mira eingeschläfert wird, gibt’s keinen Fisch

© Dieter Menne

Günther Overkamp: Wenn Mira eingeschläfert wird, gibt’s keinen Fisch

rnKolumne „Overkamps Lecka-reien“

Günther Overkamp liebt regionale Lebensmittel. In seiner Kolumne erzählt der Dortmunder Koch von seiner Zeit als Schafs-Hebamme und den Eigenheiten von Familienbetrieben als Lieferanten.

Dortmund

, 23.01.2022, 17:55 Uhr / Lesedauer: 2 min

Ich hatte immer schon eine hohe Affinität zu Lebensmitteln. Auch die Menschen, die Lebensmittel machen und verarbeiten, finde ich hochinteressant. Ob Fischwirte oder Winzer oder Schweinebauern, egal.

Auch Jäger finde ich mega cool, obwohl ich selbst kein Reh schießen könnte. Nie im Leben. Das schönste Tier, das ich kenne! Also vom Fleisch her, meine ich jetzt. Aber natürlich sind sie lebend auch hübsch. Rehe riechen immer fein. Dagegen hasse ich Wildschweine, die stinken immer.

Wild, Wald und Beeren mit Würmern

Ich bin ja praktisch zwischen Lebensmitteln aufgewachsen. Wo ich wechkomme, Fredeburg im Hochsauerland, da ist Wald. Oder besser: War Wald. Dann hat der Borkenkäfer ganze Arbeit geleistet. Da ist jetzt also Wald gewesen. Zu meiner Zeit war nicht nur Wald, sondern auch Wild. Ein Kinder-Paradies.

Um uns herum gab es viele Rehe und Schwarzwild. Wir aßen Waldhimbeeren und Walderdbeeren. In jeder zweiten war ein Wurm. So viele, dass man sie nicht rauspicken konnte. Machte aber nix. Weil die Waldbeeren so klein waren, mussten wir sehr lange pflücken, bis der Bauch voll war. Dann hatte man Bauchschmerzen. Die Grenze war fließend.

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Overkamps Lecka-reien

Warum ist westfälische Küche so „lecka“ und wie führt man ein Traditions-Gasthaus? Darüber schreibt der Dortmunder Koch Günther Overkamp in seiner Kolumne „Overkamps Lecka-reien“

Vor allem aber hatten wir eigene Tiere. Schafe, Schweine, Fischteiche. Ich war oft Hebamme für unsere Schafe. Vielleicht könnte ich darum auch kein Tier schießen. Auf keinen Fall! Höchstens in Notwehr tottreten.

Aber wenn das Fleisch dann tot auf dem Tisch liegt, dann ist es ein Lebensmittel. Kein industrielles Produkt kann jemals an den Geschmack von Lebensmitteln heranreichen, für die du verantwortlich bist und die du selbst ziehst. Oder die aus der Natur kommen.

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Ich habe den Geschmack noch auf der Zunge. Und das ist das Problem heute, wenn man eine gute Küche auf Basis guter Grundprodukte machen will. Industriell wird auf Masse und Kasse produziert, nicht auf Klasse.

Den Unterschied schmeckt ja jeder, der Tomaten auf der Fensterbank zieht oder Zucchini und Möhren im Schrebergarten. Ich rate jedem, irgendwas zu pflegen. Pflücksalat zum Beispiel ist mega, wächst immer schön nach und du hast sofort ein unheimlich frisches und hochwertiges Produkt. Ein bisschen Öl und Essig dran, fertig.

Die Schweine lebten wie im Himmel

Unsere Schweine damals in Fredeburg lebten wie im Himmel. Die bekamen die Küchenabfälle. Das sind Delikatessen für Schweine. Wenn es soweit war, wurden sie glücklich geschlachtet. Das schmeckt man. Jetzt sind Küchenabfälle Sondermüll!

Ich habe heute eine ganze Reihe von Manufakturen als Lieferanten um uns geschart. Manufaktur heißt: Jemand steht mit seinem Namen dahinter und mit eigenen Händen.

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Wir bekommen Lammfleisch vom Schäfer aus Wellinghofen, Damhirsch vom Höchsten, Weltklasse-Spargel vom Hof Steffen. Auch Erdbeeren sind natürlich aus Dortmund und Süßwasser-Fisch kommt vom Fischwirt aus Wickede an der Ruhr.

Es ist echt schwer, in einem Betrieb wo Menge gebraucht wird, mit regionalen Partnern, die wenig Menge haben, zusammenzuarbeiten. Aber wir tun es.

Familienbetriebe sind speziell

Und Familienbetriebe sind auch speziell. Wie Familien eben so sind. Kürzlich warte ich morgens vergeblich auf die Fisch-Lieferung. Ich rufe an bei meinem Freund, dem Fischwirt Baumüller. Aber keiner geht ans Telefon.

Irgendwann meldet er sich endlich: „Wir mussten heute morgen unsere Mira einschläfern.“ Mira war der Familienhund. Ich: „Soll ich jetzt meinen Gästen sagen: Gibt keinen Fisch, weil Mira wurde eingeschläfert?“ Am anderen Ende höre ich sozusagen ein Schulterzucken und ein leises Schniefen.

Ja, ist nun mal so. Wenn ein geliebtes Familienmitglied eingeschläfert werden muss, gibt’s keinen Fisch! Familie eben!

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