Grundsteuerbescheide sorgen für Existenzängste Eigentümer im Dortmunder Süden extrem betroffen

Neue Grundsteuerbescheide lösen bei vielen Menschen Existenzängste aus
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Ab 2025 gelten für die Grundsteuerberechnung neue Regeln. Erforderlich wurde die Neuregelung nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Die Richter hatten der Politik eine Reform auferlegt, weil die alten Werte auf uralten Daten beruhten, die kaum mehr der Realität entsprachen. Die Finanzämter ermitteln nun die Grundstückswerte neu. Eigentümer mussten viele Angaben machen. Die verschickten Bescheide sorgen vielerorts für Unmut - und schlimmer noch: für Existenzängste.

Reinhard Kilmer weiß, wovon die Rede ist. Der Dortmunder ist auf dem Höchsten zu Hause, kommt aus der Finanzverwaltung, kennt sich mit Betriebsführung und Steuerfahndung aus, ist jetzt als selbstständiger Steuerberater tätig - und liest sämtliche Berichte mit großem Interesse. Zuletzt jenen unserer Redaktion über Horst Karbaum aus Berghofen. Allein in seinem Mandantenkreis habe er drei Fälle, die genau so gelagert seien wie jener in Berghofen: Besitzer von Grund und Boden sollen plötzlich ein Vielfaches für ihr Gartenland zahlen. Statt 15 Euro pro Quadratmeter nun 370 Euro, berichtet Kilmer. Alle seine Mandanten kommen aus dem Dortmunder Süden, sie sind an der Höchstener Straße und an der Obermarkstraße zu Hause.

Der Dortmunder Süden ist besonders betroffen: Nicht, weil die Betroffenen alle super reich sind. Es liegt an Struktur und Geschichte der Dortmunder Randgebiete. Die Menschen wohnen in Häusern, die hier oft seit Jahrzehnten stehen, auf oftmals großen Grundstücken; in vielen Fällen waren es ehemals landwirtschaftliche Höfe. Der Mandant Kilmers in der Obermarkstraße besitze ein mehr als 3000 Quadratmeter großes Grundstück. Es handele sich dabei um einen ehemaligen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb, der von seinem Vater vererbt wurde. Die bisherige Grundsteuer von 200 Euro jährlich würde bei der Anwendung der neuen Gesetzesregelung auf über 1.000 Euro ansteigen. Als Rentner mit kleiner Rente sei das nicht zu finanzieren. Geld verdienen lässt sich mit diesen großen Flächen oft nicht, weil es eben Garten- und kein Bauland ist. „Das kann der Mann nicht bezahlen, er müsste verkaufen“, sagt Kilmer.

Steuerexperte Reinhard Kilmer kümmert sich bei mehreren Mandanten um die neuen Grundstücksbescheide
Steuerexperte Reinhard Kilmer kümmert sich bei mehreren Mandanten um die neuen Grundstücksbescheide. Er macht den Betroffenen insgesamt Hoffnung. © Britta Linnhoff

„Interessante Trendwende“

Bei allem Unmut, macht der Experte aber Hoffnung: Es gebe, so sagt er, „in diesem Verfahren eine interessante Trendwende“. Bisher habe die Finanzverwaltung in NRW stur am Gesetzeswortlaut festgehalten und sich mit den begründeten Einwänden nicht auseinandergesetzt. Das Finanzgericht in Rheinland-Pfalz habe nun jedoch in zwei Fällen rechtliche Zweifel am praktizierten Bundesmodell geäußert und bei den angefochtenen Bescheiden die Aussetzung der Vollziehung zugelassen.

Dagegen hat die Finanzverwaltung beim Bundesfinanzhof Beschwerde eingelegt, die aber vom Bundesfinanzhof verworfen worden sei. Damit habe erstmals der Bundesfinanzhof mit seinen Beschlüssen aus dem Mai 2024 die Bedenken des Finanzgerichts hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der gesetzlichen Regelung durch das Bundesmodell bestätigt.

Im Wesentlichen gehe es bei dem Streit um die „unrechtmäßige Typisierung und Pauschalierung beim Ansatz von Grundstückswerten“, so Kilmer: Dadurch werde Gartenland, das nicht erschlossen und nicht bebaubar sei, mit einem völlig unrealistischen Wert angesetzt. „Da wird Gartenland wie ein Stück baureifes Land bewertet.“ Die derzeitige Rechtslage lasse es darüber hinaus nicht zu, dass durch entsprechende Gutachten der gegenteilige Beweis geführt werden kann – „das nennt man im Allgemeinen ‚Willkür‘“, findet der Steuerexperte.

Nicht alle Bundesländer wenden das Bundesmodell zur Neuberechnung an. So sei es zum Beispiel in Bayern und Baden-Württemberg normale Praxis, Gartenland mit einem niedrigen Wert anzusetzen, da diese Länder von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, das Bundesmodell zu modifizieren. Vor dem Gleichheitsgrundsatz im Besteuerungsverfahren sei es auch unter diesem Aspekt nicht hinnehmbar, dass Gartenland in Bayern mit 10 Euro erfasst wird, und in NRW mit 370 Euro, klagt Kilmer, und fürchtet, dass dieses „handwerklich schlecht gemachte Reformgesetz“ ganz allgemein die Akzeptanz des Steuerrechts nicht gerade fördert.

Kilmer geht davon aus, dass durch die aktuellen Entscheidungen derzeit praktizierte Regelung als verfassungswidrig eingestuft werde. Vor diesem Hintergrund sei auch ein Ländererlass vom 24. Juni zu sehen: Danach würden die Finanzämter angewiesen, Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide stattzugeben, wenn schlüssig dargelegt werde, dass der festgestellte Grundsteuerwert den tatsächlichen Verkehrswert um mindestens

40 Prozent übersteige. Wichtig auch deshalb, weil es bis zu einer endgültigen Entscheidung noch Jahre dauern könnte.

Einspruch allein reicht nicht

Für alle Betroffenen hat Reinhard Kilmer noch einen wichtigen Tipp: Den meisten Steuerpflichtigen sei nicht klar, dass ein Einspruch allein nicht den Vollzug des Bescheides verhindere, denn: Solange über den Einspruch nicht endgültig entschieden sei, werde die Stadt Dortmund ab dem 1. Januar 2025 die festgesetzten Werte als Grundlage für die Erhebung der Grundsteuer heranziehen, sagt der Steuerfachmann; auch wenn sie möglicherweise rechtswidrig seien. Dies könne nur verhindert werden, wenn man zusätzlich zum Einspruch einen „Antrag auf Aussetzung der Vollziehung“ stelle.

Durch den neuen Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder vom 24. Juni 2024 seien die Finanzämter angewiesen worden, unter den genannten Voraussetzung diesen Anträgen stattzugeben. Wichtig auch deshalb, weil es bis zu einer endgültigen Entscheidung noch Jahre dauern könnte.

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