Mintrop-Prozess
Gab es gar keine Morde in Oldenburg, als Dortmunds Ex-Klinik-Chef Mintrop dort war?
Starben die Menschen, an deren Ermordung Rudolf Mintrop, Ex-Chef des Klinikums Dortmund, mitschuldig sein soll, in Wahrheit eines natürlichen Todes? Die neue Wende im Prozess gegen Mintrop.
Der Prozess gegen Rudolf Mintrop, Ex-Chef des Klinikums Dortmunds, hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Jetzt sollen Gutachter die Frage klären: Hat Niels Högel die drei Menschen 2001 im Klinikum Oldenburg wirklich ermordet, als Mintrop dort Geschäftsführer war?
Die Verteidiger ziehen jedes Register, um Zweifel daran zu sähen. Am Dienstag (17.5.) versuchten sie mit aller Macht, die bisherige Annahme der Anklage zu erschüttern, dass tatsächlich Verbrechen für den Tod der drei Patienten verantwortlich sind. Dabei stellten sie auch die Kompetenz der Gutachter in Frage.
Noch sind die Morde trotz Högel-Geständnis nicht erwiesen
Högel ist wegen der drei Morde, in deren Zusammenhang Mintrop angeklagt ist, und 84 weiterer Morde bereits rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Außerdem hat er die Taten auch im seit Mitte Februar laufenden Prozess vor dem Landgericht Oldenburg erneut gestanden.
Aber: Im Prozess gegen Mintrop und seine sechs Mitangeklagten müssen die Morde des Ex-Krankenpflegers Niels Högel erneut bewiesen werden. Ihnen wird vorgeworfen, nichts gegen das Treiben Högels unternommen zu haben, obwohl es Hinweise auf sein tödliches Tun gegeben habe. Können ihm die Morde nicht nachgewiesen werden, können weder Mintrop noch seine sechs Mitangeklagten wegen Beihilfe verurteilt werden.
Aus diesem Grund hatten die Verteidiger in den vergangenen Wochen unter anderem bei der Vernehmung des Serienmörders Högel auf den Nachweis hingearbeitet, dass die Täterschaft Högels trotz seines Geständnisses und trotz seiner Verurteilung gar nicht sicher feststehe.
Der sehr kompetente Lügner Niels Högel
So hatte ein Gutachter ihm nämlich attestiert, dass er sehr glaubwürdig lügen könne. Hat er bei seinem Verständnis tatsächlich die Wahrheit gesagt? Jetzt gehen die Verteidiger noch einen Schritt weiter. Sie zweifeln nicht nur die Täterschaft Högels an, sondern fragen grundsätzlich: Ist es überhaupt sicher, dass die drei Menschen, deren Ermordung Högel gestanden hat, getötet wurden? Oder können sie auch eines natürlichen Todes gestorben sein?
Zwei Gutachter sollten Klarheit bringen. Als erstes sagte am Dienstag Prof. Dr. Georg Knobelsdorff, Anästhesist aus Hildesheim, als Sachverständiger aus. Ihn hatte das Klinikum Oldenburg 2015 als Gutachter beauftragt, als die Mordserie von Niels Högel im Klinikum Delmenhorst aufgeflogen war. Er sollte damals die Frage klären: Hat Högel auch schon während seiner Zeit im Klinikum Oldenburg getötet, als Mintrop dort Geschäftsführer war?
„Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“
In zwei der drei Todesfälle, um die es im Fall Mintrop geht, war sich Knobelsdorff jetzt vor Gericht „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ sicher, dass ihr Tod durch die Gabe eines tödlichen Medikaments verursacht worden ist. In beiden Fällen – im Fall des zum Zeitpunkt seines Todes 72-jährigen Hermann K. und im Fall der ebenfalls 72-jährigen Maria T. – habe er keine andere Erklärung.
Konkret geht es darum, dass der Kaliumwert im Blut beider Patienten unmittelbar vor ihrem Tod innerhalb kürzester Frist extrem gestiegen sei. Das sei nur dadurch erklärbar, dass ihnen Kalium verabreicht worden sei, obwohl das weder ärztlich angeordnet noch medizinisch indiziert gewesen sei.
Keinen Hinweis auf Manipulation gefunden
Im dritten Fall, dem Tod des 60-Jährigen Franz H., fanden sich laut Gutachter Knobelsdorff keine erhöhten Kaliumwerte. Allerdings, so Knobelsdorff, habe sich auch dessen Zustand sehr plötzlich verschlechtert, obwohl er eigentlich stabil gewesen sei. Einen Hinweis, dass jemand hier von außen manipuliert habe, habe er nicht finden können.
In den Fällen von Hermann K. und Maria T. erklärte auch der zweite Gutachter, Prof. Dr. Wolfgang Koppert, dass auch er die plötzlich explodierenden Kalium-Werte ohne eine nicht autorisierte Gabe von Kalium für „nicht erklärbar“ hielt. Im dritten Fall, Franz H., verwies Koppert auf einen extremen, plötzlichen Abfall der Herzfrequenz und des Blutdrucks des Patienten. „So ein Abfall passt gut ins Muster einer Manipulation“, sagte Koppert.
Högel hatte gestanden, Franz H. das Medikament Amiodaron gespritzt und damit getötet zu haben. Dieses Medikament könne einen so raschen Abfall der Herzfrequenz und des Blutdrucks verursachen, erklärte Koppert. Dass aber tatsächlich Amiodaron der Auslöser gewesen sei, könne er nicht mit letzter Sicherheit sagen. Da wolle er sich nicht endgültig festlegen, auch weil ihm wichtige Daten fehlten.
An den Unterlagen des Klinikums Oldenburg, die ihm zur Begutachtung vorgelegen hätten, ließ der Gutachter kein gutes Haar: „Das erfüllt den Standard an eine Intensivdokumentation in keinster Weise“, sagte Koppert.
Die Verteidiger sowohl von Rudolf Mintrop als auch seiner sechs Mitangeklagten bohrten immer wieder nach und stellten immer wieder die gleichen Fragen: Ob nicht der dramatische Kaliumanstieg bei zwei Patienten auf der einen Seite als auch der Blutdruckabfall beim Patienten Franz H. auf der anderen Seite nicht ganz andere Ursachen haben könnten?
Sie bekamen – vereinfacht gesagt – von den Gutachtern immer wieder dieselbe Antwort. Sie hätten zumindest bei den Kalium-Patienten keine andere Erklärung, als dass jemand von außen eingegriffen habe. Daraufhin stellte beispielsweise die Rechtsanwältin Dr. Anne Wehnert die wissenschaftliche Kompetenz der Gutachter in Frage nach dem Motto: Wenn Sie keine andere Erklärung habe, heißt das ja nicht, dass es keine andere gibt.
Eine klare Strategie erkennbar
Die Strategie ist klar: Wenn es keine hundertprozentige Sicherheit gibt, dass es ein Mord war, kann auch niemand wegen Beihilfe zum Mord verurteilt werden. Der Prozess wird fortgesetzt.
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