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Serienmörder Högel: Ist sein Geständnis glaubwürdig? Aussage belastet Mintrop schwer
Mintrop-Prozess
Hat Niels Högel 2001 im Klinikum Oldenburg wirklich drei Patienten getötet, als Rudolf Mintrop, Ex-Chef am Klinikum Dortmund, dort Chef war? Oder hat er gelogen? Ein Gutachter hat ausgesagt.
Bei der Frage, ob Rudolf Mintrop (66), ehemaliger Direktor des Klinikums Dortmund, wegen Beihilfe zum Mord verurteilt werden kann, könnte Max Steller (78) eine entscheidende Rolle spielen. Bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2009 war Steller Professor für Forensische Psychologie an der Freien Universität Berlin. Der Schwerpunkt seiner jahrzehntelangen Forschung ist die Glaubwürdigkeitsforschung.
Im Prozess vor dem Landgericht Oldenburg hat Steller sieben Tage lang die Aussage des wegen 87-fachen Mordes verurteilten Serienmörders Niels Högel verfolgt. Seine Aufgabe: Er sollte als Gutachter herausfinden, ob Högel bei seinen Geständnissen der Morde, wegen derer sich jetzt neben Mintrop auch sechs andere ehemalige Vorgesetzte der Kliniken in Oldenburg und Delmenhorst wegen Beihilfe verantworten müssen, gelogen hat oder nicht.
Im Fall Mintrop geht es um drei Morde aus dem November 2001 im Klinikum Oldenburg, deretwegen Högel bereits rechtskräftig verurteilt wurde. Mintrop war 2001 Geschäftsführer des Klinikums Oldenburg.
Mintrop, der an den bisherigen Verhandlungstagen Tagen meist mit vor der Brust verschränkten Armen und zurückgelehnt auf seinem Stuhl gelassen der Verhandlung gefolgt ist, ist beim Gutachten Stellers hoch konzentriert. Er sitzt aufrecht auf seinem Stuhl und macht sich eifrig Notizen. Er weiß ganz offensichtlich, dass von diesem Gutachten einiges für ihn abhängen könnte.
Hat Högel also gelogen oder die Wahrheit gesagt? Mit Ja oder Nein lässt sich diese Frage so schnell nicht beantworten. Steller attestiert Högel zwar eine sehr hohe Lügenbereitschaft, aber auch eine extrem hohe Lügenkompetenz. Und das ist ein Problem: „Lügen ist eine schwierige geistige Leistung“, sagt Steller, „Högel kann seine Lügen mit sehr anschaulichen Inhalten untermauern.“
„Högel ist ja nicht dumm“
Das aber mache die Sache für einen Glaubwürdigkeitsgutachter schwierig, sagt Steller. Er habe er versucht, die Aussagen Högels auf sogenannte „Realkennzeichen“ abzuklopfen. Das heißt: Nennt Högel bei seiner Zeugenaussage Details, die im Zusammenhang mit dem erzählten Geschehen eigentlich völlig nebensächlich sind, die aber das Erzählte glaubhaft erscheinen lassen?
Das Problem: „Högel ist ja nicht dumm. Das müssen schon sehr prägnante Dinge sein, denn er kann falsche Aussagen sehr anschaulich darstellen. Deshalb ist bei ihm ein extrem hoher Schwellenwert anzuwenden, um zu sagen: Das kann er sich nicht ausgedacht haben.“ Schließlich müsse er als Gutachter die Glaubhaftigkeit einer Aussage bewerten, nicht die Glaubwürdigkeit einer Person.
Hinzu komme, so erläuterte Steller in seinem Gutachten, dass Högel eine stark ausgeprägte narzisstische Störung habe. Es gehe ihm immer nur um eines: Selbstwerterhöhung. Dabei sei es gut möglich, dass Högel auch mehr als 20 Jahre nach den Taten noch immer einer dreifachen Lügenstrategie folge: 1. Leugnen und Beteuerung der Unschuld; 2. Erinnerungsverlust als Erklärung für aufgedeckte Ungereimtheiten; 3. Geständnis, aber nur soweit, wie die Beweislage es eindeutig erfordert.
Sein Selbstbild erlaube Högel kein Eingeständnis einer Lüge. Während der sieben Tage seiner Zeugenaussage habe Högel nur ein einziges Mal gesagt, dass er an einem Punkt gelogen habe. Das aber habe er nicht bewusst gemacht: „Das ist ihm nur so rausgerutscht.“ So ein Eingeständnis passe nämlich nicht zu seiner narzisstischen Persönlichkeit. Das müsse man bei allem berücksichtigen.
„Das heißt nicht, dass er immer lügt“
Unterm Strich habe er, so sagt Steller, nur sehr wenige Realitätskennzeichen gefunden, mit denen er belegen könne, dass Högel an einer Stelle wirklich die Wahrheit gesagt habe. Andererseits: „Das heißt nicht, dass er immer lügt.“
Am Ende fasst Steller sein Gutachten so zusammen: „Ich sehe keine ausreichende Grundlage, dass er völlig falsche Geständnisse abgelegt hat.“ Auch habe er keinerlei Hinweise, dass es sich beim Geständnis Högels insgesamt um angelesene „Scheinerinnerungen“ handle. Positive Punkte, die belegen, dass Högel bei dem ein oder anderen in diesem Prozess verhandelten Morde tatsächlich die Wahrheit gesagt habe, habe er allerdings auch nicht.
Für den Fortgang des Prozesses gegen Mintrop und Co. bedeutet das: Allein auf die Zeugenaussage Högels wird sich eine Verurteilung nicht stützen lassen. Deshalb werden in den nächsten Monaten eine Fülle weiterer Zeugen vor dem Landgericht aussagen.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
