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EDG-Job gegen Tore? Fußballer erheben Vorwürfe nach Schmiergeld-Skandal
Korruption
Korruptionsvorwürfe gegen den Betriebsrats-Chef erschüttern die EDG. Recherchen dieser Redaktion zeigen: Schon länger soll der Tatverdächtige Jobs versprochen haben. Vor allem an bestimmte Personen.
Marzouk Chargui, Vorsitzender des Verbundsbetriebsrats der Entsorgung Dortmund GmbH (EDG), ist wegen Korruptionsvorwürfen seit dem 18.2. von seinen Ämtern freigestellt. Er soll gegen Zahlungen von bis zu 5000 Euro von ihm ausgewählte Bewerber in Arbeitsstellen beim Entsorgungsunternehmen gehievt haben.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit Anfang Februar in 17 Fällen, in denen es illegale Zahlungen gegeben haben soll. Chargui war von Polizeibeamten bei der Übergabe von 3000 Euro in bar in einer Dortmunder Pizzeria festgenommen worden.
Nach Informationen dieses Medienhauses kamen mehrere Personen, die Chargui in EDG-Jobs vermittelt hat, aus dem Umfeld von Amateurfußballvereinen.
Gab es systematische Anwerbung im Umfeld von Fußball-Klubs?
Es gibt bisher keinen Nachweis, dass es hier strafbare private Zahlungen gegeben hat. Aber es zeichnet sich das Bild eines regelrecht systematischen Vorgehens über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren.
Wie mehrere Personen übereinstimmend schildern, sollen Spieler mit der Aussicht auf einen attraktiven Job im städtischen Tochterunternehmen zu Vereinen gelockt worden sein, in denen Chargui tätig war.
In mindestens fünf dieser Redaktion bekannten Fällen kam es zu einer Anstellung. In anderen blieb es bei leeren Versprechungen.
Marzouk Chargui hat eine Anfrage dieser Redaktion vom 25.2. für eine Stellungnahme unbeantwortet gelassen bis zum Redaktionsschluss dieses Textes (3.3., 17 Uhr).
Die EDG weist den Eindruck zurück, dass es geheimes Vorgehen bei der Besetzung von freien Stellen gegeben habe.
Am 4.3. (Donnerstag) haben die Stadt Dortmund und DSW 21 als Gesellschafter der EDG eine umfassende Compliance-Prüfung in Auftrag gegeben. Diese wird das renommierte Unternehmen Deloitte übernehmen.
Ehemaliger Fußballer berichtet vom Job-Versprechen
Nach Bekanntwerden der Korruptionsvorwürfe hat sich in dieser Redaktion ein ehemaliger Amateurfußballer (29) gemeldet. Er habe sich 2019 überzeugen lassen, zur SG Phönix Eving in die Kreisliga B zu wechseln.
Der ehemalige Spieler sagt heute über Chargui: „Er hat viele verarscht. Es gab vier, fünf Spieler, die er wie mich mit dem Versprechen auf einen Job bei der EDG angelockt hat.“
Beim Traditionsverein im Norden Dortmunds hat Chargui über Jahre Vorstandsarbeit geleistet. Bis 2020 war er stellvertretender Vorsitzender in Eving.
Es sei sogar, so berichtet der gefrustete Fußballer, zu einem Vorstellungsgespräch mit Chargui und einem EDG-Personalverantwortlichen gekommen. Über diesen sei bekannt, dass er ebenfalls in der Dortmunder Amateurfußballszene vernetzt ist.
„Er wollte meine Bewerbungsunterlagen nehmen, aber Marzouk Chargui ging dazwischen und hat gesagt, dass er das übernehmen werde.“ Es sei in der Folge aber nichts passiert.
Nach neun Monaten habe er das Warten aufgeben. Derweil hätten andere „angeworbene“ Mannschaftskollegen eine Stelle bei der EDG erhalten.
Gab es eine „rechte Hand“?
„Er hat mit meiner Zukunft gespielt“, sagt der ehemalige Spieler. Weitere Fußballer aus Dortmund schildern ähnliche Situationen.
Der ehemalige Spieler berichtet, dass Chargui und eine weitere, ebenfalls bei der EDG beschäftigte Person als dessen „rechte Hand“ ihm den Job als „sicher“ verkauft hätten.
Bei diesem Assistenten handelt sich nach übereinstimmenden Schilderungen unterschiedlicher Beteiligter um einen langjährigen Wegbegleiter von Chargui. Der Dortmunder teilt auf Anfrage mit, dass er sich nicht zu den Vorgängen äußern wolle.
Ehemaliger Verein von Chargui spricht von einem „Scherbenhaufen“
2020 verließ Chargui die SG Phönix Eving. „Wir mussten damals erstmal einen Scherbenhaufen auffegen“, sagt die heutige Vorsitzende Andrea Bienert.
Sie betont, dass sie in der Zeit unter Chargui kein gewähltes Vorstandsmitglied war. Ab und an habe sie an Vorstandssitzungen als Beisitzerin teilgenommen.
„Dort war es dann nie ein Thema, dass Spieler zu uns kommen, weil sie Jobs bekommen. Ich habe auch nachgeschaut: Wir haben für alle Spieler, die zu uns unter Chargui gekommen sind, auch Ablösesummen bezahlt. Vom Verein aus ist immer alles glattgelaufen“, sagt Bienert.
Sie erklärt aber, dass auch sie im Nachklang mitbekommen habe, dass einige Spieler, die in der Zeit unter Chargui gekommen sind, Jobs bei der EDG bekommen haben.
„Man hat sich da nie große Gedanken gemacht, weil schon immer Spieler aus Eving bei der EDG gearbeitet haben. Wenn da Spielern Jobs versprochen worden sind, dann war das nicht mit dem ganzen Vorstand abgesprochen“, sagt Bienert.
Mehrere Fußballer aus Kemminghausen arbeiten bei der EDG
Nach Informationen dieser Redaktion unterstützt Chargui seit seinem Abgang in Eving den Nachbarklub VfL Kemminghausen. „Er hat bei uns aber kein gewähltes Amt“, sagt Kemminghausens Vorsitzender Gerhard Wegner kurz und knapp.
Nach Informationen dieser Redaktion sind fünf Spieler aus dem aktuellen Kader des Vereins bei der EDG angestellt.

Fans des VfL Kemminghausen bei der Hallenfußball-Stadtmeisterschaft in der Helmut-Körnig-Halle. © Peter Ludewig (Archivbild)
Der VfL Kemminghausen erreichte 2018 größere Bekanntheit, als Ex-BVB-Profi Kevin Großkreutz - vor Charguis Zeit - für eine Saison als Co-Trainer einstieg, auch Oberbürgermeister Thomas Westphal ist bekennender Anhänger des Vereins.
Vereinschef Gerhard Wegner möchte nicht über Chargui reden, für ihn gelte die Unschuldsvermutung. Seines Wissens arbeiten aktuell „zwei Spieler“ der ersten Mannschaft bei der EDG. Dieser Redaktion sind ,mehr Spieler bekannt.
„Aber früher war es doch gang und gäbe, dass man durch Beziehungen Jobs bekommt. Früher haben doch ganz viele Fußballer auf der Zeche gearbeitet“, sagt Wegner.
Dass Amateurfußballer mit Jobangeboten bei Sponsoren oder Mäzenen zu Vereinen gelockt werden, ist in der Tat nicht ungewöhnlich und auch rechtlich nicht zu kritisieren – solange es sich um privatwirtschaftliche Unternehmen handelt.
Die EDG ist ein städtisches Tochterunternehmen, das über die Müllgebühren zum Teil durch die Allgemeinheit finanziert wird.
EDG-Sprecher Matthias Kienitz betont, dass Chargui keine Entscheidungsgewalt über Einstellungen besessen habe. Es sei „absurd“, anzunehmen, dass eine Einzelperson über Bewerber entscheiden könne.
EDG erklärt das Einstellungsverfahren im Unternehmen
„Wir haben kein systemisches Problem, sondern offenkundig eines mit jemandem, der sich kriminell verhalten hat“, sagt Kienitz.
Kienitz erläutert den Bewerbungsprozess bei der EDG. „Wenn eine Stelle ausgeschrieben wird, geht das immer einen identischen Weg. Der Personalservice sammelt die Bewerbungen. Der Abteilungsleiter - und nur dieser - entscheidet, wen er einlädt und auswählt. Der Betriebsrat hat ein Mitbestimmungsrecht und kann Bewerber aus bestimmten Gründen ablehnen. Alle drei Bereiche sind an dem Prozess beteiligt. Aber es kann niemand allein entscheiden.“
Zur Verbindung in den Fußball sagt Kienitz, es sei aus Sicht der EDG „irrelevant, wer in welchem Fußballverein spielt“.
EDG-Mitarbeiter: „Er kann das nicht alleine gemacht haben.“
Von EDG-Mitarbeitern ist in diesen Tagen von einem „immer schon unterschwelligen Vorwurf“ zu hören, dass es Job-Absprachen im Umfeld des Amateurfußballs gebe. Es wird mehrfach der Verdacht geäußert, dass noch weitere Personen innerhalb der EDG daran beteiligt sein könnten. „Er kann das nicht alleine gemacht haben“, sagt ein Mitarbeiter.
Nach Informationen dieser Redaktion gab es 2021 bereits Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen vier EDG-Angestellte - darunter auch Chargui - nach einer Strafanzeige wegen Vorteilsnahme im Amt. Hintergrund war ein kurzfristiger Wechsel zu einem Anbieter einer Zusatzversicherung, in dem ein Verwandter eines der Beschuldigten eine leitende Position besetzt.
Das Verfahren ist laut Staatsanwalt Henner Kruse „nach Durchführung von Ermittlungen, insbesondere nach Befragung des Compliancebeauftragten der EDG“ im November 2021 eingestellt worden.
Zu einer Verbindung in den Amateurfußball hat die Staatsanwaltschaft Dortmund laut Kruse bisher keine Informationen.
Seit 2010 Redakteur in Dortmund, davor im Sport- und Nachrichtengeschäft im gesamten Ruhrgebiet aktiv, Studienabschluss an der Ruhr-Universität Bochum. Ohne Ressortgrenzen immer auf der Suche nach den großen und kleinen Dingen, die Dortmund zu der Stadt machen, die sie ist.
