Die Experten des Kampfmittelbeseitigungsdienstes der Bezirksregierung Arnsberg haben in Dortmund viel zu tun. Oft sind sie mehrmals pro Monat im Einsatz, um Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg zu entschärfen.
Am Sonntag (6.4.) steht in Dortmund die nächste größere Evakuierungsaktion an. Vier Blindgänger-Verdachtspunkte an den Standorten Märkische Straße/ Wenkerstraße, Parkplatz Friedrich-Uhde-Straße, Rheinlanddamm (B1) am Kaiserhain-Teich im Westfalenpark und am Fuß des Florianturms im Westfalenpark müssen überprüft werden. Etwa 8400 Anwohner müssen Ihre Häuser und Wohnungen verlassen. Zudem sind unter anderem über 250 Altenheim-Bewohner betroffen.
Das nehmen wir zum Anlass, unsere kurze Chronik der größten Entschärfungs-Aktionen der letzten Jahre in Dortmund, die wir im Jahr 2023 veröffentlicht haben, nochmal zu veröffentlichen - ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
November 2008 - Bombenfund am Klinikum
Die Bauten von Logistik- und OP-Zentrum am Klinikzentrum Mitte rufen gleich mehrfach die Bombenentschärfer auf den Plan. Innerhalb von drei Jahren werden auf dem Klinikgelände an der Beurhausstraße drei Bombenblindgänger gefunden.
Die aufwändigste Evakuierungsaktion gibt es am 8. November 2008. Für die Entschärfung einer am Tag zuvor gefundenen 500-Kilo-Bombe müssen an diesem Samstag Teile des Klinikums mit 284 Patienten evakuiert werden.

Sie werden allerdings innerhalb des Klinikums verlegt. Neun „Frühchen“ von der Geburtsstation werden in die Kinderklinik auf der anderen Seite der Beurhausstraße gebracht. Dort kommen während der Bombenentschärfung sogar zwei Babys zur Welt.
Ebenfalls von der Evakuierung betroffen sind die Anwohner der Wohnstraßen, die unmittelbar an das Klinikum angrenzen. Doch sie müssen nicht lange ausharren. Ab 12 Uhr können sie in ihre Wohnungen zurück - ebenso wie die Patienten in ihre Zimmer.
Oktober/November 2009: Baustelle Thier-Galerie
Kurios ist ein Bombenfund beim Bau der Thier-Galerie vor gut zehn Jahren. Im Oktober 2009 wird hier ein Bombenblindgänger unbemerkt mit Erdreich auf einen Lkw verladen. Erst beim Abkippen auf der Westfalenhütte wird er entdeckt und dann dort entschärft. Den Anwohnern und zahlreichen Geschäften rund um das Thier-Gelände bleibt eine Evakuierung erspart.
Allerdings nur für kurze Zeit. Wenige Wochen später, am Nachmittag des 19. November 2009, wird ein Bombenblindgänger auf der Baustelle an der Silberstraße entdeckt. Betroffen von der Evakuierung sind rund 500 Anwohner und zahlreiche Geschäfte am oberen Westenhellweg. Ihr Glück: Die Evakuierung läuft nach Geschäftsschluss in den Abendstunden an. Gegen 21.15 Uhr ist dann die Bombe entschärft.
Dezember 2010: Fund am Johannes-Hospital
2400 Anwohner des Klinikviertels müssen am frühen Morgen des 4. Dezember 2010 ihre Häuser verlassen: In einer Baugrube zwischen Johannes-Hospital und der Liebfrauenkirche war ein Bombenblindgänger gefunden worden - nur 60 Zentimeter unter der bisherigen Asphaltdecke des Parkplatzes und direkt neben einem Kindergarten. Rund 350 Patienten des Johannes-Hospitals werden innerhalb des Krankenhaus-Komplexes verlegt. Um 13.02 kann Feuerwerker Walter Luth dann Entwarnung geben.

November 2012: Langes Warten im Klinikviertel
Eine spektakuläre Bombenentschärfung erleben Anwohner des Klinikviertels knapp zwei Jahre später. Am 29. November 2012 wird in einer Baugrube an der Friedrichstraße eine 500-Kilo-Bombe entdeckt. Diesmal müssen innerhalb weniger Stunden sogar 7000 Anwohner ihre Häuser verlassen und Klinik-Patienten in Sicherheit gebracht werden.

Besondere Probleme bereitet erst die Evakuierung - unter anderem, weil sich Besucher einer Kneipe hartnäckig weigern, zu gehen - und dann auch der Blindgänger. Er hat einen „chemisch-mechanischen Langzeitzünder mit Ausbausperre“, erklären die Entschärfer Karl-Friedrich Schröder und Uwe Pawlowksi. Eine gute halbe Stunde brauchen sie, um ihn unschädlich zu machen. Um kurz vor Mitternacht geben sie Entwarnung.
November 2013: Luftmine in Hombruch
Zwei der größten Bombenentschärfungen der letzten Jahre fanden außerhalb des Stadtzentrums statt. Im November 2013 führt der Fund einer 1,8-Tonnen-Luftmine auf einem Firmengrundstück in Hombruch zur bis dahin größten Evakuierungsaktion der Nachkriegsgeschichte in Dortmund: Mehr als 20.000 Menschen im Umkreis von 1,5 Kilometern um den Fundort müssen ihre Häuser verlassen. Für sie wird eine Notunterkunft in der großen Westfalenhalle eingerichtet.

Gut sechs Stunden dauert die Evakuierungsaktion, weil auch zwei Seniorenheime und ein Krankenhaus geräumt werden müssen und es immer wieder Verzögerungen gibt. So müssen zwei Wohnungen mithilfe eines Schlüsseldienstes geöffnet werden, weil sich die Bewohner weigern, das Gebiet zu räumen. Und ein Spaziergänger taucht noch an der Fundstelle der Luftmine auf, während die Entschärfer schon bei der Arbeit sind. Erst am Nachmittag, um kurz nach 16 Uhr, ist die Gefahr gebannt.
November 2014: Luftmine bei Wilo
Ein ähnliches Szenario gibt es am 29. November 2014, nachdem bei den Bauarbeiten auf dem Wilo-Gelände an der Nortkirchenstraße ebenfalls eine 1,8-Tonnen-Luftmine gefunden wird. Mehr als 17.000 Anwohner aus Hörde, Hacheney, Wellinghofen und Teile von Brünninghausen sind betroffen.

Diesmal läuft die Evakuierung weitgehend reibungslos. Sie dauert viereinhalb Stunden. 59 Minuten brauchen die Feuerwerker Rainer Woitschek, Karl-Friedrich Schröder und Tanya Beimel für die Entschärfung - wobei sie neben der Luftmine drei nebenbei gefundene Stabbrandbomben unschädlich machen.
Januar 2020: Bomben im Klinikviertel
Im Ausnahmezustand sind das Dortmunder Stadtzentrum und besonders das Klinikviertel am 11. und 12. Januar 2020. Gleich vier Blindgänger-Verdachtspunkte hatten die Experten des Kampfmittelbeseitigungsdienstes der Bezirksregierung nach umfangreichen Voruntersuchungen ausgemacht. An diesem Wochenende sollten die Fundstellen nun freigelegt und mögliche Blindgänger entschärft werden.
Die Aktion war über Wochen akribisch vorbereitet worden. Denn aus Sicherheitsgründen mussten das Klinikviertel und ein Großteil der City mit gut 13.000 Anwohnern evakuiert werden - inklusive der großen Krankenhäuser und mehrerer Pflegeheime.

Die Besonderheit: Bei der Planung kam ein Simulationsmodell zum Einsatz - „bundesweit zum ersten Mal“, erklärt Ubbo Mansholt als Chef des Kampfmittelbeseitigungsdienstes. Mit Hilfe eines dreidimensionalen Stadtmodells wurden Druckwellen und mögliche Zerstörungen für den Fall einer Bombenexplosion simuliert.
Auf dieser Grundlage konnten die Verantwortlichen entscheiden, die drei betroffenen Krankenhäuser im Evakuierungsradius nicht komplett zu evakuieren. Stattdessen wurden viele Patienten „nur“ aus kritischen Bereichen innerhalb der Gebäude verlegt. Und um mögliche Druckwellen zu brechen, wurden an der Luisenstraße und quer über die Beurhausstraße 5,50 Meter hohe Wände aus Containern aufgebaut - auch das eine Premiere für Dortmund.

Die Anwohner mussten aber am Sonntagmorgen ihre Wohnungen räumen. Gegen Mittag wurden auch der Zugverkehr gestoppt und der Hauptbahnhof geräumt.
Am Nachmittag konnten dann die Experten des Kampfmittelräumdienstes in Aktion treten. An zwei Stellen bestätigte sich der Bomben-Verdacht. An der Luisenstraße lag in 2,50 Metern Tiefe eine britische 250-Kilo-Bombe. Der ausgebaute Zünder wurde kontrolliert gesprengt. Im Hof des Deutschen Roten Kreuzes an der Beurhausstraße wurde aus vier Metern Tiefe eine amerikanische 250-Kilo-Bombe zu Tage gefördert und unschädlich gemacht.
Noch am Abend wurden die Containerwände abgebaut. Und nach und nach kehrte das Leben in die Straßen den Klinikviertels zurück.
August 2021: Sprengung am Schwanenwall
Bombenverdacht mitten in der City: Im August 2021 legte ein Blindgänger-Fund am Schwanenwall das Stadtzentrum lahm. 7200 Menschen mussten an diesem Sonntag ihre Häuser verlassen, ein Seniorenheim und sogar das Gefängnis geräumt werden.
Doch bei der Entschärfung gab es eine Komplikation. Der Zünder der 250 Kilo-Bombe britischer Herkunft war so beschädigt, dass er nicht mehr entschärft werden konnte. Die einzige Alternative: eine kontrollierte Sprengung – und das in der dicht bebauten Innenstadt. Jede Menge Sand musste herangekarrt werden, um die Detonation zu dämpfen und die Umgebung zu sichern. Und das brauchte Zeit.

Um kurz nach 17 Uhr wurde die Fliegerbombe gesprengt. Mit Erfolg, aber auch mit Folgen: Der Schlamm aus der Baugrube und bedeckte die Wände der benachbarten Häuser. Der Sachschaden hielt sich aber in Grenzen.
2015-2023 Hotspot Westfalenpark
Zum Hotspot für Bombenentschärfungen hat sich in den letzten Jahren der Westfalenpark entwickelt. Einen Vorgeschmack gab es September 2015:
Gleich fünf Bomben werden im September 2015 auf dem Parkplatz F2 am Westfalenpark gleichzeitig entschärft. Er war wegen des Aufbaus der Erstaufnahme-Einrichtung für Asylbewerber untersucht worden.
Der Fünfer-Fund wird aber noch getoppt. Im Januar 2022 werden im Park gleich sieben Blindgänger auf einen Streich entschärft. Der Park ist für die Kampfmittel-Experten ein Dauereinsatz-Ort. 2021 lagen 33 von 54 Blindgängern, die in ganz Dortmund entschärft wurden, im Westfalenpark, im Jahr 2022 19 von 46. Und auch 2023 ging der Reigen weiter.
Dortmund und die Blindgängergefahr
- Dortmund gehörte im Zweiten Weltkrieg zu den am stärksten bombardierten deutschen Städten. Allein die britische Luftwaffe warf nach eigenen Angaben zwischen 1943 und 1945 22.242 Tonnen Bomben über Dortmund ab.
- Umgerechnet auf das übliche „Kaliber“ wären das rund 80.000 einzelne Bomben. Experten gehen davon aus, dass 10 bis 15 Prozent davon nicht explodiert sind. Das wären dann rund 10.000 Blindgänger.
- Vorausgesetzt, der Zünder ist noch intakt, geht von ihnen noch immer Gefahr aus, wenn sie angerührt werden. Sie müssen dann im Vorfeld von oder während laufender Bauarbeiten entschärft werden.
- Um Gefahren durch Blindgänger abschätzen zu können, werten die Experten des Kampfmitelräumdienstes von den Briten während des Kriegs angefertigte Luftbilder aus.
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