
© Oliver Volmerich
Blindgänger-Forschung: Was passiert, falls die Bomben explodieren?
Entschärfung am Sonntag
Wenn am Sonntag Bombenblindgänger in der Innenstadt aufgespürt werden sollen, kommt erstmals ein neuartiges System zum Einsatz. Das Projekt soll helfen, künftig weniger evakuieren zu müssen.
Das Ende des Zweiten Weltkriegs ist 75 Jahre her. Doch in vielen Städten müssen immer noch Bombenblindgänger entschärft werden – oft verbunden mit großem Aufwand.
Die Mega-Evakuierung am Sonntag (12. Januar) in der Dortmunder Innenstadt ist dafür das beste Beispiel. Denn gut 13.000 Menschen müssen ihre Häuser verlassen, drei Krankenhäuser weitgehend geräumt werden, weil Experten an drei Stellen Bombenblindgänger aufspüren und eventuell entschärfen.
Simulation mit 3D-Stadtmodell
Eine der wichtigsten Fragen ist, welcher Evakuierungsradius nötig ist, um Gefahren für die Bevölkerung auszuschließen. Wichtige Hinweise darauf soll ein Forschungsprojekt liefern, das Wissenschaftler des Ernst-Mach-Instituts der Uni Freiburg, das Berliner Unternehmen Virtualcitysystems und der Kampfmittelbeseitigungsdienst initiiert haben.
Sie wollen im Vorfeld von Entschärfungsaktionen mithilfe eines dreidimensionalen Stadtmodells simulieren, wie sich im Falle einer Explosion des Bombenblindgängers die Druckwellen ausbreiten und mögliche Splitter herumfliegen.
Förderprojekt des Bundes
Am Sonntag soll das System, das vom Bundesforschungsministerium unter dem Projekttitel „Sirius“ mit 420.000 Euro gefördert wird, erstmals zum Einsatz kommen, kündigt das Ministerium an. „Die neue Technik kann dazu beitragen, den Sperrkreis so präzise und klein wie möglich zu halten – ohne dabei die Sicherheit der Anwohner zu gefährden“, erklärt Bundesforschungsministerin Anja Karliczek.
Einer der wichtigsten Einflussfaktoren für die Ausbreitung der Druckwelle, die sich um den Ort der Explosion ausbreitet, ist die Bebauung. „Das ist ein physikalisch hochdynamischer Vorgang“, erklärt Stefan Trometer von der Firma Virtualcitysystems, die mit ihren 3D-Stadtmodellen die Grundlage für das Projekt liefert: „Trifft die Druckwelle auf ein Hindernis, wird sie reflektiert.“ Sie breitet sich also nicht in konzentrischen Kreisen aus, sondern abhängig von der umgebenden Bebauung.

Das dichtbebaute Klinikviertel und Teile der City, des Kreuz- und des Unionviertels sind von der Evakuierung am 12. Januar betroffen. © Oskar Neubauer
In dicht bebauten Bereichen wie dem Klinikviertel könne die Druckwellenausbreitung deshalb nur durch Simulation vorhergesagt werden.
„Man kann so Bereiche identifizieren, in denen Glasbruch zu erwarten ist, der dann ein großes Verletzungsrisiko birgt“, erläutert Trometer. Auch ein Knalltrauma oder ein Trommelfellriss durch die Detonation sind mögliche Folgen für Menschen.
Im Fall des Verdachtspunkts am Hohen Wall könnte das bedeuten, dass viele Fensterscheiben nicht nur in der Umgebung wie am Bergmann-Kiosk, sondern auch an Wohnhäusern im angrenzenden Klinikviertel zu Bruch gehen, wenn die Druckwelle vom hohen Gebäuderiegel an der inneren Wallseite reflektiert wird.
Mehrere Unsicherheitsfaktoren
In Dortmund wird diese Simulation zum ersten Mal auf einen konkreten Fall beziehungsweise gleich auf alle drei Bombenverdachtspunkte bezogen. Wobei noch offen ist, ob an den ausgemachten Punkten tatsächlich Blindgänger im Boden liegen und welche Größe sie haben.
Wegen dieser Unsicherheitsfaktoren haben die Experten des Kampfmittelbeseitigungsdienstes für Sonntag noch einen vergleichsweise großen Radius von 500 Metern um die drei Verdachtspunkte für die Evakuierung festgelegt: das althergebrachte System der Gefahrenabschätzung.
Einfluss hatte die Simulation allerdings auf die Entscheidung, die Kliniken im Sperrgebiet doch nicht komplett zu evakuieren, sondern die Patienten zum Teil innerhalb des Gebäudes zu verlegen, berichtet Klaus Bekemeier, Leiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes.

In diesem Radius werden am 12. Januar 2020 alle Häuser evakuiert. © Stadt Dortmund
Weitere Konsequenzen wird es eher langfristig geben. „Die Hoffnung ist, dass der Evakuierungsradius kleiner werden kann, wenn wir mögliche Auswirkungen einer Detonation simulieren“, erklärt Stefan Trometer. „Das neue System soll erlauben, dass die Simulation auch vom Kampfmittelräumdienst selbst vorgenommen werden kann.“
Oliver Volmerich, Jahrgang 1966, Ur-Dortmunder, Bergmannssohn, Diplom-Journalist, Buchautor und seit 1994 Redakteur in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten. Hier kümmert er sich vor allem um Kommunalpolitik, Stadtplanung, Stadtgeschichte und vieles andere, was die Stadt bewegt.
