Dortmunder dolmetscht für Geflüchtete: „Ich bin sehr nah dran, mehr als mir lieb ist“

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Dortmunder dolmetscht für Geflüchtete: „Ich bin sehr nah dran, mehr als mir lieb ist“

rnKrieg in der Ukraine

Dima Davydovych aus Dortmund wurde in der Ukraine geboren. Eigentlich hatte er zu seinem Heimatland keinen Bezug. Das änderte sich, als der Krieg begann. Jetzt hilft er als Dolmetscher - und gerät an seine Grenzen.

Dortmund

, 27.04.2022, 09:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Eigentlich hatte der 37-jährige Dortmunder Dima Davydovych keinen großen Bezug mehr zu seiner Heimat. 1996 war er mit seiner Familie aus seiner Heimatstadt Tschernihiw weggezogen – die liegt im Norden der Ukraine.

Sein Gefühl für die Heimat änderte sich am 24. Februar, als Russland den ukrainischen Staat angriff. „Mein Weltbild hat sich ab dem Moment um 180 Grad gedreht, als die Bomben geflogen sind“, erzählt Dima Davydovych.

In dem Moment habe ein Prozess eingesetzt. Der angehende Psychotherapeut trifft die „sehr instinktive Entscheidung“, seinen gebürtigen Landsleuten zu helfen.

„Eine Stadt, die zu 70 Prozent nicht mehr existieren soll“

Dima Davydovych spricht fließend Russisch, auch etwas Ukrainisch. Als die ersten Geflüchteten aus der Ukraine in Dortmund ankommen, hilft er aus und übersetzt für sie. Zunächst bei alltäglichen Dingen, wie eine Corona-Schutzimpfung zu bekommen.

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Er ist fast von Anfang an dabei, als die Landesnotunterkunft für ukrainische Geflüchtete in der Warsteiner Music Hall Ende März eingerichtet wird. Dima Davydovych war seit 26 Jahren nicht mehr in seiner Heimat, hat keine Familie, keine Freunde in der Ukraine. Und doch überkommt ihn schnell die Einsicht: „Ich bin sehr nah dran, mehr als mir lieb ist.“

Es bedrückt ihn, wenn er an seinen Geburtsort in der Ukraine denken muss. Tschernihiw soll nun eine Stadt sein, „die zu 70 Prozent nicht mehr existieren soll“, nachdem die russische Armee dort abgezogen ist.

Tschernihiw sei eigentlich eine sehr kulturreiche Stadt, „ein Kloster reiht sich an das nächste“, aber auch sehr stark modernisiert. Dass die Stadt nun zerstört sei, „daran hänge ich“, erzählt Dima Davydovych.

Passagierflugzeuge triggern Geflüchtete

Viele Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind und in Dortmund ankommen, können kein Deutsch, Englisch sprechen auch nur wenige von ihnen - und wenn, dann eher gebrochen. Dima Davydovych hat durch seine sprachlichen Fähigkeiten einen anderen Zugang zu den Menschen.

Dima Davydovych beschreibt seinen Geburtsort Tschernihiw als eine „sehr kulturreiche Stadt“. Russische Streitkräfte haben Großteile der Stadt zerstört – wie hier abgebildet das Tarnavsky-Museum für ukrainische Altertümer.

Dima Davydovych beschreibt seinen Geburtsort Tschernihiw als eine „sehr kulturreiche Stadt“. Russische Streitkräfte haben große Teile der Stadt zerstört – wie hier abgebildet das Tarnavsky-Museum für ukrainische Altertümer. © picture alliance/dpa/Ukrinform

Viele „krasse Geschichten“, nein, die habe er nicht von den Geflüchteten erzählt bekommen. Die Ukrainerinnen und Ukrainer, die durch den Krieg traumatisiert seien, würden apathisch aus dem Fenster schauen, seien sehr in sich gekehrt und würden kaum reagieren, selbst wenn man sie vorsichtig auf ihrer Muttersprache anspricht.

„Du hörst und siehst den Leuten an, wenn sie aus krassen Brennpunkten kommen“, sagt Dima Davydovych. Viele Menschen sind aus Mariupol, Charkiv oder Kiew nach Dortmund geflüchtet, ukrainische Städte, die besonders stark vom Krieg gezeichnet sind. „Vor diesen Menschen verneige ich mich“, sagt der Dortmunder.

Am meisten merke er eine Veränderung bei Kindern. Traumatisierte ukrainische Kinder hätten laut Dima Davydovych einen speziellen Blick: „Kein schüchterner Blick, sondern ein Blick, der immer nach unten wandert.“

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Und viele ukrainische Geflüchteten würden getriggert werden, wenn sie ein Flugzeug hören, welches am Himmel fliegt. Sie duckten sich, schauten ängstlich in die Luft. Dima Davydovych: „Selbst erwachsene Männer haben so reagiert, bevor sie merkten ‚Ach, das ist nur ein normales Passagierflugzeug‘.“

Starker Patriotismus unter Ukrainern

Dima Davydovych hat aber auch seit seinem freiwilligen Engagement festgestellt, dass es zwischen den Geflüchteten und ihm selbst einen großen Unterschied gibt.

Seine Familie sei in den Neunzigern auf Initiative seines Vaters aus der Ukraine nach Deutschland gekommen, obwohl sie alles gehabt hätte. Aber dem Vater sei klar gewesen, dass das nicht für ewig sei, „es zerfällt“, habe er damals gesagt.

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Diese Gedanken gebe es unter den Geflüchteten so nicht. Die Ukraine habe sich „in den letzten Jahren gemacht“, der Patriotismus unter den Geflüchteten sei stark. „Die Leute wollen wieder zurück“, sagt Dima Davydovych. Trotz aller Initiativen und Angebote durch die Behörden.

„Ich habe mich gnadenlos übernommen“

Gemeinsam mit dem ASB (Arbeiter-Samariter-Bund) hat er bis zum vorzeitigen Ende am 14. April in der Landesnotunterkunft in der Warsteiner Music Hall geholfen. Fast rund um die Uhr. Auch zwei Wochen nach der Schließung hängt ihm sein Engagement noch in den Knochen.

Er sei überarbeitet, sagt der Dortmunder: „Ich habe mich gnadenlos übernommen.“ Deshalb will sich Dima Davydovych jetzt erst mal wieder um sich selbst kümmern, auf seine Ausbildung zum Psychotherapeuten konzentrieren. Doch so ganz gelingt ihm das nicht.

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Obwohl die Landesnotunterkunft mittlerweile geschlossen ist, hilft er weiter ukrainischen Geflüchteten. Er pflegt Kontakte zu einigen der ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner. So ist er zum Beispiel für eine Familie eine Art Schnittstelle zwischen ihnen und Ärzten. Der demente Großvater liege in Dortmund mit Magenkrebs im Krankenhaus, während der Rest der Familie in einer Einrichtung in Duisburg lebt.

„Ich vergesse mich auch selbst teilweise dabei“, sagt Dima Davydovych, wenn er über sein Engagement spricht. Das möchte er nun ändern. Ein Anfang ist es, dass er sich von Nachrichten über den Krieg distanziert. Trotzdem liegt er nachts wach und denkt an die Ukraine.