Irina, Pauline, Olga und Tatiana (v. l.) aus der Ukraine leben in der Landesnotunterkunft in der Warsteiner Music Hall.

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Kritik an Dortmunder Notunterkunft: „Wie ein Schlag in die Magengrube“

rnUkraine-Krieg

Kalt, unhygienisch, kranke Kinder: Gegen die Notunterkunft für ukrainische Geflüchtete in Dortmund gab es schwere Vorwürfe. Menschen, die dort leben und helfen, erzählen etwas anderes. Ein Besuch.

Dortmund

, 12.04.2022, 04:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Zwischen der Warsteiner Music Hall und dem Zuhause von Tatiana (54), Irina (38), Paulina (17) und Olga (41) liegen über 1.000 Kilometer. In der Konzerthalle leben die vier Frauen aus der Ukraine nun, vorübergehend. Hier haben sich kennengelernt und angefreundet. Sie verbindet die Flucht vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine.

Seit dem 24. März kommen in der Warsteiner Music Hall auf Phoenix-West geflüchtete Menschen aus der Ukraine unter. Eine Notunterkunft des Landes Nordrhein-Westfalen, eine Art Zwischenstation, bis die Geflüchteten in ihre endgültigen Unterkünfte in den jeweiligen Kommunen können.

In einem Bericht des WDR wurden nun Vorwürfe laut.

„Zum Teil schwitzen wir sogar“

Zwei ukrainische Geflüchtete erzählen in dem Bericht, dass es in der Notunterkunft kalt sei, die Kinder würden krank werden. Unser Reporter hat sich nach Bekanntwerden selbst in der Landesnotunterkunft umsehen können. Unangemeldet. Beim Besuch ist es in der Warsteiner Music Hall warm, eine Jacke oder einen dicken Pullover braucht man nicht.

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Die Ukrainerin Olga, die in der Notunterkunft lebt, erzählt: „Wir haben sogar Heizstrahler für die Ecken, wo Kinder spielen. Wir laufen hier im T-Shirt rum, zum Teil schwitzen wir sogar.“

Für die ukrainischen Kinder gibt es eine Spielecke.

Für die ukrainischen Kinder gibt es eine Spielecke. © Privat

Kritisiert wurden auch die Duschen. Die befinden sich in einem alten Schalthaus gegenüber. Tatiana berichtet: „Dass man rausgehen muss zum Duschen, ist nicht so gut, weil es draußen kalt ist, da will man wieder schnell in die Halle zurück.“ Irina ergänzt: „Für die Kinder ist das blöd, die muss man warm anziehen, bevor man aus der Dusche kommt“.

Sie stimmen damit zumindest zum Teil jener Frau zu, die die Duschmöglichkeiten in der Notunterkunft kritisierte und dem WDR erzählte, dass sie keine richtigen Möglichkeiten habe, ihr sechs Monate altes Kind zu waschen. Ein ehrenamtlicher Helfer aus der Warsteiner Music Hall erzählte unserem Reporter, dass das so nicht stimme – die Frau habe die Duschen im Backstage-Bereich der Konzerthalle nutzen können.

„Fast wie eigene Wohnungen“

Außerdem gab es den Vorwurf, dass es nicht genügend warmes Essen gäbe. Tatiana, Irina, Paulina und Olga erzählen auch da etwas anderes. „Essen gibt es genug, wir sind immer satt“, so die Frauen. Was fehlen würde, sei ein Fitnessprogramm, scherzen die Ukrainerinnen.

Regelmäßig gibt es in der Notunterkunft in der Warsteiner Music Hall zu essen.

Regelmäßig gibt es in der Notunterkunft in der Warsteiner Music Hall zu essen. © Privat

Aus der Dortmunder Lokalpolitik gab es nach dem WDR-Bericht auch kritische Stimmen: In einer Pressemitteilung prangerte die Partei Die Grünen nach dem WDR-Bericht neben der dort beschriebenen Kälte und der angeblichen mangelnden hygienischer Versorgung auch fehlende Privatsphäre an. Die Hochbetten, die in der Warsteiner Music Hall aufgestellt sind, werden durch weiße Decken abgetrennt.

Die vier ukrainischer Frauen, die sich mit uns unterhalten, sehen darin eher einen Gewinn. Einige waren vor ihrer Flucht nach Deutschland in einer Notunterkunft in einer ukrainischen Schule: „Wir mussten direkt auf dem Boden, mit einer Matratze und einem Kissen schlafen, zweimal täglich gab es Essen – hier haben wir sogar abgetrennte Bereiche“.

Helfer haben sich „richtig beschissen gefühlt“

„Wir haben erwartet, dass wir hier nicht willkommen sind“, so Tatiana. Dass es zunächst in Notunterkünfte geht, das sei ihnen bewusst gewesen. Aber: „Wir sind herzlich aufgenommen worden, das haben wir nicht erwartet“.

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Dortmunderin Nicola Skoberne hat der kritische Bericht des WDR überrascht: „Das war wie ein Schlag in die Magengrube, ich habe mich richtig beschissen gefühlt – wir alle!“ Sie hilft, wie viele andere Menschen auch, in ihrer Freizeit in der Warsteiner Music Hall.

Sie war es auch, die unseren Reporter eingeladen hat, auszuhelfen und sich selbst umzusehen. Der Eindruck nach dem mehrstündigen Besuch: Trotz der langen Distanz und den vermutlich traumatischen Erlebnissen der Menschen – vorwiegend Frauen und kleine Kinder – aus der Ukraine wirkte die Stimmung recht unbeschwert.

Im Keller der Warsteiner Music Hall gibt es eine Kleiderkammer.

Im Keller der Warsteiner Music Hall wurde eine Kleiderkammer eingerichtet. © Privat

Die Kinder hatten Spielsachen in ihrer Spielecke, ein medizinischer Dienst war vor Ort, im Untergeschoss ist eine Kleiderkammer eingerichtet worden, daneben gibt es Haarschnitte von ehrenamtlichen Friseurinnen.

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„Wir wollen eigentlich gar nicht weg“

Der kritische Bericht indes hat Folgen: Die Landesnotunterkunft wird eher schließen als geplant. Die Bezirksregierung Arnsberg, die sie betreibt, sagt, dass dies eine „Konsequenz aus der Kritik“ sei. Am Donnerstag, 14. April, soll Schluss sein. Ursprüngliches Datum war der 24. April.

Nicola Skoberne engagiert sich ehrenamtlich in der Warsteiner Music Hall.

Nicola Skoberne engagiert sich ehrenamtlich in der Warsteiner Music Hall. © Robin Albers

Einige der Geflüchteten, die derzeit noch dort leben, haben deshalb schon eine Petition für den Erhalt ins Leben gerufen. Und Tatiana, Irina, Paulina und Olga sind sogar traurig, dass sie am Montag (11.4.) die Notunterkunft verlassen mussten. Für sie geht es in dauerhafte Unterkünfte in Gladbeck und Gelsenkirchen. „Wir wollen eigentlich gar nicht weg, wir haben uns hier schon gut eingelebt“, so die Frauen.