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Warum beim Dortmund-Tatort immer wieder das Personal wechselt
50 Jahre Tatort
Der Dortmund-Tatort hat in neun Jahren immer wieder aktuelle, brisante Themen aufgegriffen, und die Hälfte seines Personals ausgewechselt. Warum Kommissar Faber trotzdem nicht ans Aufhören denkt.
Es war spannend wie ein Krimi, als im Jahr 2011 die damalige ARD-Chefin Monika Piel einen neuen Ruhrgebiets-Tatort ankündigte. Welche Revierstadt würde den Zuschlag bekommen? Dortmund war in der Ziehung, doch die Konkurrenz groß.
Auch andere Städte wie Bochum, Mülheim und Essen stellten sich selbst unter Tatort-Verdacht. Es dauerte Wochen, bis endlich feststand: Dortmund bekommt einen Tatort – als dritte Stadt in NRW neben Köln und Münster.
Die Dreharbeiten zur ersten Folge „Alter Ego“ starteten am 12. März 2012 um 8 Uhr in Köln. Dort befindet sich in einem unscheinbaren Gewerbebau die Büro-Kulisse für die vier Kommissare. Ein solch großes Ermittlerteam ist ein Novum in der Tatort-Familie. Vier Typen mit viel Privatkram sorgen in der Dortmunder Mordkommission immer für Konfliktstoff neben dem Kriminalfall.
Durchgeknallter Ermittler
Allen voran Hauptkommissar Peter Faber (Jörg Hartmann). Ein durchgeknallter Ermittler, politisch unkorrekt und eigenbrötlerisch, oft schlecht gelaunt und zynisch. Er isst kalte Ravioli aus der Dose und scheint verwachsen mit seinem alten Parka (der übrigens ebenso wie Fabers Schuhe aus Hartmanns privatem Kleiderschrank stammt).

Ein gebrochener Mann: Faber isst kalte Ravioli aus der Dose. © WDR
Zehn Jahre war Faber Chef-Ermittler in Lübeck. Mit Dämonen im Schlepptau kommt er nach Dortmund, zurück in seine alte Heimat, übernimmt dort die Mordkommission, pöbelt, prügelt und provoziert Verdächtige ebenso wie sein Team mit Martina Bönisch (Anna Schudt), Daniel Kossik (Stefan Konarske) und Nora Dalay (Aylin Tezel).
Das Besondere am Dortmund-Tatort innerhalb der ARD-Fernsehreihe sind Fabers Ermittlermethode – er taucht ab in die Täterpsyche – und die serielle oder sogenannte horizontale Erzählweise. Ein Kunstgriff, um das Verhältnis zwischen den Figuren weiterzuentwickeln.
Erster Fall „Alter Ego“
Der erste Fall des Dortmunder Kommissar-Kleeblatts war „Alter Ego“. Bei der Erstausstrahlung am 23. September 2012 ist an diesem Sonntagabend das kollektive Krimi-Fieber in Dortmund ausgebrochen. Nicht nur eingefleischte Tatort-Fans sitzen vor dem Fernseher, auch Dortmunder Krimi-Muffel wollen beim ersten Tatort aus ihrer Stadt dabei sein, zu Hause oder beim Rudelgucken in der Kneipe oder Kirche.
Die Dortmunder Tatort-Premiere hatte ein geteiltes Echo, aber mit 8,73 Millionen Zuschauern eine ordentliche Quote. Er war die meistgesehene Sendung im deutschen Fernsehen an diesem Sonntag.
Die Ermittler müssen gleich zwei Morde aufklären. Erste Spuren deuten auf ein Eifersuchtsdrama unter Schwulen hin. Doch Mörder war am Ende der Chef eines Dortmunder High-Tech-Unternehmens, bei dem eines der Opfer ein Praktikum absolviert hatte. Er wurde in seiner Villa festgenommen.
15 Folgen ausgestrahlt, zwei abgedreht
Seit 2012 wurden insgesamt 15 Folgen des Dortmund-Tatorts ausgestrahlt. Zwei weitere sind abgedreht sowie der zweiteilige Jubiläums-Tatort zum 50-jährigen Bestehen der ARD-Fernsehreihe. Ein sogenannter Crossover-Tatort, bei dem die Dortmunder zusammen mit dem Münchner Tatort-Team Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) ermitteln.
„Eine ganze Weile konnte ich alle Folgen hintereinander aufsagen“, erzählt Jörg Hartmann, „ich befürchte, dass das langsam schwierig wird.“ Noch könnte er es schaffen, glaubt er, „ja, doch, wenn ich mich konzentrieren würde.“ Einen Lieblings-Tatort kann er nicht spontan benennen. „Das ist schwierig, da gibt’s mehrere.“
Der Dortmund-Tatort, für den die weitaus meisten Drehbücher Jürgen Werner geschrieben hat, hat viele aktuelle und brisante Themen angepackt wie Drogenkriminalität und Konflikte zwischen alten und neuen Migranten (Mein Revier/2012), die Neonazi-Szene in Dortmund (Hydra/2015), Fremdenfeindlichkeit (Kollaps/2015), vordergründig islamistischen Terrorismus (Sturm/2017), die Reichsbürger-Bewegung und der Umgang des Verfassungsschutzes mit V-Leuten (Zorn/2019) sowie Kindesmissbrauch (Monster/2020).
Auch die bereits abgedrehte Folge „Heile Welt“ ist mit den Themen Rassismus, Polizeigewalt und Fake News am Puls der Zeit.
Fabers Rivale und Dämon
Immer wieder mal ist Fabers ewiger Rivale Markus Graf (Florian Bartholomäi) Thema im Ermittlerteam und Treiber des Geschehens. Graf hat Fabers Frau und Tochter auf dem Gewissen. Erst in Folge 15 (Monster), in der Graf zum dritten Mal auftaucht, kommt es zum Showdown.
Gänsehautmomente sind die wiederholten Szenen oben auf dem Dach des Dortmunder RAG-Hochhauses. Am Ende wird Graf erschossen.

Peter Faber (r.) mit seinem ewigen Widersacher Markus Graf (Florian Bartholomäi) in der Folge „Auf ewig Dein“ auf dem Dach des ehemaligen RAG-Hochhauses in Dortmund. © WDR/Thomas Kost
Nach dem Verlust seiner Familie sei der Verlust des großen Erzfeindes Graf „der Sieg über ein Trauma“, sagt Hartmann über seine Figur, „aber auch nicht wirklich befreiend. Das hat ihm immerhin eine Aufgabe gegeben.“ Der Dortmunder Hauptkommissar bleibt ein gebrochener Mann.
Und ein Chef, dem offensichtlich die Mitarbeiter davonlaufen. Daniel Kossik und Nora Dalay schaffen den Absprung. Ihre gemeinsame Sexszene markiert den Beginn des ersten Dortmund-Tatorts. Doch ihre Beziehung gerät bereits in der 4. Folge (Auf ewig Dein) in eine tiefe Krise, weil die schwangere Dalay sich gegen den Willen von Kossik für eine Abtreibung entscheidet. Die Beziehung zerbricht.
Die Nachrücker im Ermittlerteam
Auch die Spannungen mit seinem Chef, den Kossik für einen „Psycho“ hält, wachsen bis hin zu Handgreiflichkeiten und gipfeln in einer Anzeige Kossiks gegen Faber. In der 10. Folge „Sturm“ im Jahr 2017 wird bekannt, dass Kossik zum LKA Düsseldorf versetzt werden will (weil Konarske aus der Reihe ausscheiden wollte). Eine Folge später (Tollwut) hat er tatsächlich seinen Dienst in Dortmund quittiert und ist zum LKA gewechselt.
Jan Pawlak (Rick Okon) tritt die frei gewordene Stelle an, doch zunächst als verdeckter Ermittler im Knast, ehe er in Folge 12 (Tod und Spiele) im Dienstgrad eines Kriminalhauptkommissars Teil des Dortmunder Ermittlerteams wird. Auch er hat seine privaten Probleme als Ehemann einer drogenabhängigen Frau.
Aylin Tezel sucht wie Stefan Konarske neue Herausforderungen, weshalb ihre Figur Nora Dalay im Jubiläums-Tatort die Brocken hinwirft. Auf Dalay folgt Hauptkommissarin Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger). Da die beiden mit ihr abgedrehten Folgen erst im nächsten Jahr ausgestrahlt werden, kennen die Zuschauer Rosa Herzog noch nicht, dürfen sich aber auf eine Ermittlerin mit besonderen Fähigkeiten freuen.
Herzog ist auf das Lesen von Mikroexpression beim Menschen spezialisiert. Sie beobachtet und analysiert die Mimik und Körpersprache ihres Gegenübers, registriert die kleinste Regung und zieht ihre kriminalistischen Schlüsse daraus.

Das neu zusammengesetzte Dortmunder Tatort-Team: (v.l.) Martina Bönisch (Anna Schudt), Peter Faber (Jörg Hartmann), Jan Pawlak (Rick Okon) und Neuzugang Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger). Auch das gebrauchte Auto im Hintergrund ist neu. Seinen alten Saab hatte Faber in der 10. Folge „Sturm“ zu Schrott gefahren. © ©Thomas Kost
Im Dortmund-Tatort herrscht damit eine hohe Personalfluktuation. Die Hälfte des Ermittlerteams ist nach acht Jahren bereits ausgewechselt. Wie sieht es mit den beiden „Oldies“ im Kommissar-Kleeblatt, Peter Faber und Martina Bönisch, aus? Auch schon mal ans Aufhören gedacht?
„Nein, ich denke immer, die die gehen wollen, müssen auch gehen dürfen“, sagt Anna Schudt. Stefanie Reinsperger sei ein ganz anderer Typ als Aylin Tezel. So wie Rick Okon ein anderer Typ sei als Stefan Konarske. Mit Stefanie Reinsperger komme eine neue Chemie ins Team. „Das ist spannend, und mir gefällt es immer noch sehr gut.“
Fabers großes Dilemma
Auch Peter Faber und sein Alter Ego Jörg Hartmann sind nicht amtsmüde. „Na ja, Faber kann nicht wirklich aufhören“, sagt Hartmann. „Das ist in der Tat das Einzige, was Faber hat. Wenn Faber jetzt noch seinen Job verlieren würde, was blieb ihm dann noch übrig. Das ist sein großes Dilemma. Noch denke ich nicht ans Aufhören.“
Zumal, so viel sei schon verraten, sich eine zarte Liebesgeschichte zwischen Faber und Bönisch entspinnt. Dazu lässt Rick Okon durchblicken: „Das macht es auch nicht einfacher.“ Für Konfliktstoff ist also weiter gesorgt.
Stellvertretende Leiterin der Dortmunder Stadtredaktion - Seit April 1983 Redakteurin in der Dortmunder Stadtredaktion der Ruhr Nachrichten. Dort zuständig unter anderem für Kommunalpolitik. 1981 Magisterabschluss an der Universität Bochum (Anglistik, Amerikanistik, Romanistik).
