Die Behandlung mit Beatmung oder Blutwäsche macht nicht bei allen schwerkranken Corona-Patienten Sinn. Ärzte müssen im Einzelfall gut abwägen.

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Warum gibt es mehr Corona-Tote in Dortmund trotz stagnierenden Patientenzahlen?

rnCorona-Behandlung

70 Dortmunder sind bereits in Zusammenhang mit Corona gestorben. Nicht alle von ihnen wurden zuvor auf Intensivstationen behandelt. Das hat vor allem zwei Gründe.

Dortmund

, 27.11.2020, 19:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Im Frühjahr war es ein beherrschendes Thema der Corona-Pandemie: Reichen die Intensiv- und Beatmungsplätze in den Krankenhäusern aus? Aktuell stagniert die Zahl der benötigten Betten in diesen Bereichen, auch die Gesamtzahl der Corona-Patienten in Dortmunder Krankenhäusern nimmt nur leicht zu – die Todeszahlen hingegen steigen sehr stark an.

In den vergangenen zwei Wochen schwankte die Zahl der mit Corona-Patienten belegten Intensivbetten in Dortmund zwischen 30 und 40. Die Zahl der Todesfälle hat sich in diesem Zeitraum fast verdoppelt: von 34 auf 64.

Drei Gründe für diese auf den ersten Blick widersprüchliche Entwicklung:

1. Zeitliche Verzögerung:

Beim Blick auf die Corona-Statistik muss man eine erhebliche Zeitverschiebung beachten, so Dr. Simon Larrosa-Lombardi, Infektiologe am Knappschaftskrankenhaus Dortmund: „Wenn ein Mensch an den Folgen einer Covid-Erkrankung stirbt, dann liegt die Infektion häufig Wochen zurück.“

2. Das Alter der Erkrankten:

„Für das Verhältnis zwischen Infektionen und intensivmedizinischen Fallzahlen sind verschiedene Faktoren wesentlich. Ganz bedeutsam ist natürlich, wer sich ansteckt“, so Dr. Larrosa-Lombardi.

„Zwar können auch jüngere Patienten einen schweren oder sogar lebensbedrohlichen Verlauf haben. Das Risiko schwerwiegender Erkrankungsfolgen ist aber bei lebensälteren Menschen deutlich höher.“

3. Die Behandlungsformen:

Was sich außerdem im Verhältnis zwischen belegten Intensivbetten und Todesfällen widerspiegelt: Nicht alle Corona-Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf werden auf Intensivstationen behandelt.

Dr. Bernhard Schaaf, Infektiologe am Klinikum Dortmund erklärt, woran das liegt: Eine Kombination aus vielen chronischen Krankheiten und einem hohen Alter beeinträchtigt die Chance, dass man Corona überlebt.

Bei diesen Patienten würden die Mediziner im Einzelfall zusammen mit dem Patienten und den Angehörigen sehr genau überlegen, ob man dem Menschen die Maximaltherapie noch zumutet. Insbesondere dann, wenn die Überlebenschancen auch mit dieser Behandlung gering seien.

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Unter Maximaltherapie versteht man im Fall von Corona die invasive Beatmung in Narkose oder eine Blutwäsche. Diese Behandlungsmethoden werden auf den Intensivstationen durchgeführt.

Therapien werden mit Patienten und Angehörigen besprochen

Für die aktuelle Situation heiße das: Viele der Corona-Patienten, die in den letzten Wochen im Klinikum verstorben sind, hatten chronische Krankheiten verbunden mit hohem Alter und wollten keine Maximalbehandlung, so Dr. Schaaf.

Fast alle Corona-Patienten sind bei der Einlieferung ins Klinikum noch ansprechbar, so dass man das Vorgehen der Therapien besprechen kann, so Dr. Schaaf: „Ansonsten wird das mit den Angehörigen, dem Hausarzt und über die Patientenverfügung abgeklärt.“

Was der Mediziner aber auch betont: „Wir haben viele ältere Patienten – von denen viele auch entlassen wurden“, so Schaaf. Den Automatismus „Wer über 80 ist und an Corona erkrankt, stirbt“ gebe es nicht. Die Sterblichkeitsquote sei bei höherem Alter zwar höher, aber die meisten der älteren Patienten überleben die Infektion. Die meisten von ihnen, ohne dass eine Behandlung im Krankenhaus überhaupt notwendig ist.

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Aber auch viele der älteren Patienten mit schwerer Covid-Erkrankung, die im Krankenhaus behandelt werden, überleben. Für das Klinikum Dortmund heißt das konkret: Von den dort behandelten über 80-jährigen Covid-Patienten konnten zwei Drittel wieder entlassen werden.

Wie wirken sich Patientenverfügungen auf die Behandlung aus?

Insbesondere beim Thema Narkose und invasive Beatmung auf der Intensivstation kommt die Frage auf, welche Rolle Patientenverfügungen beim Ausschöpfen der Behandlungsmöglichkeiten spielen.

„Gerade unter den deutlich älteren Menschen sind dann auch solche, die ihren Patientenwillen durch entsprechende Verfügungen festgehalten haben. Dort kann eine intensivmedizinische Betreuung und eine künstliche Beatmung vor allem bei sehr betagten Patienten ausgeschlossen sein“, so Infektiologe Larrosa-Lombardi.

„Auch dann erfolgt natürlich eine engagierte medizinische Betreuung, um Schmerzen zu nehmen und Luftnot zu lindern. Eine intensivmedizinische Therapie oder eine invasive Beatmung aber unterbleiben, wenn der Patient das untersagt“, so Larrosa-Lombardi.

Patientenverfügungen und Ausschluss „invasiver Maßnahmen“

Allerdings: Viele Patientenverfügungen beziehen sich meist auf einen irreversiblen Zustand, greifen also bei einer akuten Corona-Infektion nicht immer - darauf weist Dr. Schaaf hin.

Ein Beispiel: Ein Patient, der nichts mehr trinkt, weil er corona-bedingt noch nach Wochen eine Geschmacksstörung hat, aber in seiner Patientenverfügung den Passus „keine invasiven Maßnahmen“ stehen hat. „Diese Geschmacksveränderung geht ja wieder weg, natürlich kann es dann sinnvoll sein, den Patienten einzuweisen und Flüssigkeit über einen Venenzugang zu geben“, so Dr. Schaaf.

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Entscheidend sei immer der Einzelfall, der individuell betrachtet wird. „Es sind komplizierte Überlegungen, die auch nicht immer einfach sind – aber solche Entscheidungen müssen Mediziner häufig treffen“, so Dr. Schaaf.

Letztlich sei Corona für die Mediziner da keine Ausnahmesituation: „Es geht wie bei jeder Krankheit darum, den Willen des Patienten zu respektieren.“

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