
© Marie Ahlers
Erster Einkauf mit Maske: Geschrei, Atemnot und zu wenig Abstand
Maskenpflicht in Dortmund
Dass die Maskenpflicht auch eine Aufforderung zu Atemübungen und eine Mahnung an die eigene Disziplin ist, hätte unsere Autorin nicht gedacht. Ein Erfahrungsbericht aus dem Supermarkt.
Ganz Dortmund hat einen neuen täglichen Begleiter: Seit Montag, 27. April, muss fast jeder Dortmunder eine Schutzmaske tragen, wenn er beispielsweise einkaufen geht. Nur kleine Kinder und alle, die aus medizinischen Gründen keinen Mundschutz tragen können, sind von der Maskenpflicht ausgeschlossen.
Auf mich trifft weder das eine noch das andere zu. Ich bin gesund, volljährig - und hungrig. Der Kühlschrank verlangt, aufgefüllt zu werden, es ist Zeit für einen Abstecher zum Supermarkt.
Weil es meine Augen betont, trage ich heute blau. Meine Maske ist zartblau und aus einem weichen Stoff. In einer Parallelwelt ohne Corona-Pandemie ist aus dem Stoff vielleicht ein edles Hemd geworden, das seinen Träger in schicke Restaurants und wichtige Meetings begleitet. „Nun“, denkt sich der Stoff wahrscheinlich, „man kann nicht alles haben“.
Das neue Atmen
Einen Vorteil der Maskenpflicht entdecke ich schon, bevor ich das Haus verlasse - beim Schminken. Das ist nämlich erstaunlich schnell erledigt - von den Wangenknochen abwärts kann man sich das Make-up schließlich sparen.
Mit dem halb bemalten Gesicht und der Maske um den Hals hängend ziehe ich los zum Supermarkt, in meinem Fall der Rewe-Markt an der Rheinischen Straße. Vor dem Eingang genieße ich ein letztes Mal das freie Atmen, dann ziehe ich meinen Mundschutz an.
Die ersten Atemzüge unter der Stoffmaske sind sehr anstrengend. Auch wenn ich bis heute nicht genau weiß, was es heißt, wenn Stoffe als „atmungsaktiv“ beworben werden - dieser ist es wohl nicht. Ich atme in tiefen Zügen durch den Mund ein und aus und höre mich wahrscheinlich an wie der Psycho-Killer, der im Film hinter der Tür seinem Opfer auflauert.
Die Überlebensinstinkte sind irritiert
Auch, dass man mit Maske im Gesicht weniger gut riecht, finde ich unangenehm. Daher bin ich erleichtert, als ich an der Sushi-Theke vorbeikomme und feststelle, dass ich den Fischgeruch trotz Maske noch wahrnehmen kann.
Der archaische Teil in mir, der für die Überlebensinstinkte zuständig ist, ist beruhigt: Wenn ich Fisch riechen kann, dann kann ich auch Feuer oder ein angreifendes Mammut riechen - ich bin sicher.
Mit der Zeit gewöhne ich mich an das eingeschränkte Atmen. Trotzdem bin ich nicht neidisch auf die Supermarkt-Mitarbeiter, die die Masken jeden Tag für mehrere Stunden tragen müssen.
Ich komme trotz eingeschränkten Geruchssinns gut voran. An der Käsetheke blöke ich der Verkäuferin meine Bestellung entgegen und frage mich im selben Moment, ob ich mit Mundschutz wirklich schwieriger zu verstehen bin oder ob ich mir das nur einbilde und die arme Frau umsonst angeschrien habe.
Wer spricht da eigentlich gerade?
Mein maskierter Trip durch den Supermarkt geht weiter und ich fülle meinen Einkaufswagen mit der üblichen Mischung aus gesunden (10 Prozent) und ungesunden Snacks (90 Prozent), die ich mir gegen den allgemeinen Corona-Stress selbst verschrieben habe.
Während ich mich durch die Gänge schiebe, bemerke ich, wie ich immer wieder verwirrt andere Kunden anstarre, weil ich denke, dass sie mit mir reden. Nur, um dann zu merken, dass ich der alten Dame am Nudelregal gerade die Stimme des Familienvaters im Putzmittelgang fünf Meter entfernt zugeordnet habe. Welche Stimme hinter welchem Mundschutz hervorkommt - dank Maskenpflicht zuweilen eine unlösbare Aufgabe.
Masken befreien nicht von der Abstandsregel
Immer wieder muss ich mich auch selbst an die Abstandsregel erinnern. Denn auch mit Stoffmaske könnte ich Menschen noch anstecken, wenn ich unwissentlich mit dem Coronavirus infiziert bin und nicht genügend Abstand zu ihnen halte.
Auch anderen Kunden scheint es an diesem Tag schwer zu fallen, sich zu disziplinieren. Ungeniert drängt sich eine Frau zwischen zwei Mitarbeitern durch. Der Abstand zu den zwei Verkäuferinnen: Statt zwei Metern wohl nur ein paar Zentimeter.
Ein bisschen Wahrheit steckt vielleicht doch in der Sorge von vielen Menschen, dass die Leute durch die Maskenpflicht leichtsinniger werden. Der Dortmunder Infektiologe Dr. Bernhard Schaaf warnt jedoch davor, das Tragen einer Maske als „Freibrief“ zu sehen, um sämtliche andere Sicherheitsvorkehrungen außer Acht zu lassen.
Ich mahne mich also selbst zur Disziplin und orientiere mich an der Kasse streng an den Bodenmarkierungen. Seit sich zu Beginn der Corona-Krise die Berichte über unhöfliche und aggressive Kunden in Supermärkten häuften, versuche ich, besonders freundlich zu den Verkäuferinnen zu sein.
Mimik - ein überholtes Konzept?
Auch heute setze ich mein strahlendstes Lächeln auf - und frage mich im selben Moment, ob das überhaupt noch was bringt mit dem vermummten Gesicht. Ich würde mir das Lächeln ja von außen auf die Maske aufmalen, aber das würde die Verkäuferin wohl eher verstören als aufmuntern.
Ich habe es fast geschafft und steuere als letzte Station noch die Bäckerei im Vorraum des Supermarkts an. Diese letzten fünf Minuten unter der Maske sind wie die letzten 500 Meter einer Jogging-Strecke: die schlimmsten. Ich kann es kaum noch abwarten, mir das Ding vom Gesicht zu reißen, als auch noch das EC-Gerät ausfällt und ich hektisch mein Bargeld suche.
Vor der Tür des Supermarkts reiße ich mir erleichtert die Maske vom Gesicht und hole tief Luft. Kurz freue ich mich, dass ich es geschafft habe. Dann fällt mir ein, dass mein Kühlschrank sich auch wieder leeren wird - und das Coronavirus bis dahin wohl leider nicht verschwunden sein wird.
Wir bringen Näher und Suchende zusammen
Zum Schutz vor dem Coronavirus werden Schutzmasken so dringend gebraucht, dass sogar die Nachfrage nach selbst genähten Masken groß ist. Mit unserer großen Aktion „Maskenhilfe“ bringen wir Suchende und Produzierende zusammen. Sie möchten Einrichtungen wie Pflegeheime mit selbst genähten Masken unterstützen? Oder Sie vertreten eine Einrichtung, die Bedarf hat? Melden Sie sich an! Alle Infos und Teilnahme: www.rn.de/maskenhilfeIn Lippstadt aufgewachsen, zum Studieren nach Hessen ausgeflogen, seit 2018 zurück in der (erweiterten) Heimat bei den Ruhr Nachrichten.
