Diese Dortmunder mischen gerade den Musikmarkt auf
Popkultur
Musiker mit Wurzeln in Dortmund machen gerade von sich reden. An der Spitze stehen Künstler wie Miami Yacine und Phillip Boa. Wir haben noch andere Musiker gefunden, die für Furore sorgen.
Der in Dortmund geborene Rapper Goldroger ist seit kurzem um 10.000 Euro und große öffentliche Anerkennung reicher. Die staatliche Initiative Pop NRW verlieh ihm Ende August den „Pop NRW“-Preis in der Kategorie „Outstanding“ (deutsch: außergewöhnlich).
„Es ist schön, bescheinigt zu bekommen, dass man aus dem Rahmen fällt“, sagt „Goldie“ bei einem Telefonat, bei dem er in seiner Kölner Wohnung sitzt. Dorthin ist er wegen der Nähe zu seinen Mitmusikern und Produzenten schon vor einigen Jahren gezogen.
„Dortmund ist aber immer in meinem Herzen“, sagt er. Seine Familie lebt hier noch. Im Umfeld des Hip-Hop-Kollektivs „SBK Basement“ hatte er seine ersten Auftritte als MC.
Der urbane Geist, der seine Musik durchweht, geht auch auf seine Jugend in dieser Stadt zurück. Sein unerfüllter Traum ist eine schnellere, bezahlbare Verbindung zwischen Dortmund und Köln als die jetzige, um die Stärken beider Städte miteinander zu verbinden.
2017 veröffentlichte er sein zweites Album „Avrakadavra“ und spielte rund 100 Live-Shows. „Wenn man live abliefert, kommen die Leute wieder“, sagt er. Es folgte eine Zeit, „in der ich viel darüber nachgedacht habe, was die anderen von mir erwarten und was meine Ansprüche an mich selbst sind.“
Es sei nicht mehr hauptsächlich um das Musikmachen gegangen. Das habe er bewusst geändert, viel ausprobiert, sich wieder frei gemacht für Neues.
Das Ergebnis wird auf seinem noch undatierten dritten Album zu hören sein. Es wird, so kündigt er an, eine Rückbesinnung auf die (Dortmunder) Wurzeln sein. „Bei der Frage, ob es mehr Band oder wieder mehr Rap sein soll, haben wir uns für den Computer, für straighte Beats, entschieden“, sagt Goldroger.
Ihm ist klar: „Wir müssen jetzt nachlegen.“ Druck verspürt er dennoch nicht. „Seit Avrakadavra muss ich nichts anderes mehr machen als Musik. Wann hat man dazu schonmal die Chance.“
Der Pop-NRW-Preis und die Dortmunder Welle
Ende August im Gloria-Theater in Köln: Wer sich in Nordrhein-Westfalen im Musik- und Veranstalter-Geschäft bewegt, ist heute Abend hier. Die Verleihung des Pop-NRW-Preises steht an. Hunderte klatschen für Künstler mit Dortmunder Wurzeln. Die Jury aus Veranstaltern, Musikjournalisten, Managern und Musikern hat eine ganze Reihe Dortmunder Musiker auf dem Radar.
In der Kategorie Outstanding („außergewöhnlich“) haben 3 von 17 Acts einen Dortmund-Bezug: Hannes Weyland und Band, Walking on Rivers und der Hip-Hop-Künstler Goldroger. Die Band Call Me Mary steht auf der Liste für den besten Newcomer.
Die Initiative Pop NRW ist eine Art staatliche Förderung für Pop-Künstler. Dahinter stehen die NRW-Ministerien für Wirtschaft und Wissenschaft sowie der Landesmusikrat und das Kultursekretariat NRW.
In der Preisbeschreibung heißt es zu den Kriterien: „Die Jury bewertet die künstlerische Qualität der Veröffentlichungen der Band, bezieht in ihre Entscheidungen aber auch Kriterien der Exportfähigkeit, die Fähigkeit zur Selbstvermarktung und die Live-Performance der Musiker mit ein.“
Doch diese steuergeldfinanzierte Förderung ist nur einer von vielen Wegen, die für Musiker zum Erfolg führen können.
Das Selfmade-Märchen aus der Beton-Schlucht: Daily Thompson
„Um die Dortmunder Fuzzrock-Band Daily Thompson entwickelte sich in den letzten paar Jahren im Untergrund ein regelrechter Hype.“ Das schreiben diejenigen, die künftig Geld dafür bezahlen, dass die Musik der Dortmunder Band ihren Weg zu mehr Menschen findet. Das Label MIG Music aus Hannover hat die Band Anfang August unter Vertrag genommen.
Ihr Weg zum Plattenvertrag ist ein bisschen wie im Rock’n’Roll-Märchen. Seit drei Jahren spielen sich Mercedes Lalakakis (Bass), Frontmann Danny Zaremba und Drummer Stefan Mengel durch die Weltgeschichte, haben selbst Gigs in Deutschland, Spanien, Frankreich, England organisiert. „Wir haben uns den Arsch abgespielt“, sagt Bassistin Mercedes.
Als die Band 2017 einen Auftritt beim renommierten Crossroads-Festival der WDR-Rockpalast-Reihe ergattert, liefert sie wie immer eine brachiale Blues-Stoner-Grunge-Rock-Show ab. Eine Agentin von MIG Music überzeugt das, sie bietet Daily Thompson einen Vertrag an.
Daily Thompson sind „mehr im Proberaum als zuhause“.
Um realistisch zu bleiben: Das bedeutet für das Trio nicht, dass jetzt die Blanko-Schecks ins Haus flattern, sondern dass es zum ersten Mal in ihrer Bandgeschichte Unterstützung bei Pressung und Vertrieb ihres insgesamt dritten Albums „Thirsty“ (Release am 9.11.) gibt. „Wir sind gespannt, wie es jetzt mit einem Partner funktioniert“, sagt Bassistin Mercedes.
An der Einstellung zur Musik möchten die drei Dortmunder nichts ändern. „Wir sind mehr im Proberaum als zuhause. Wir machen es für uns“, sagt Mercedes. Ihr Vorteil: Sie haben jahrelang gelernt, wie man sich als Band alleine und unabhängig organisiert und es sich trotzdem irgendwie rechnet. „Das hilft uns jetzt“, sagt Mercedes.
Ihre normalen Jobs haben die drei schon vor einigen Jahren geschmissen, sie versuchen von der Musik zu leben. Auch, wenn das im Moment noch bedeutet, immer noch hin und wieder Hot-Dogs in der Fußgängerzone verkaufen zu müssen.
Es sei schön, zeigen zu können, dass gute Musik auch aus anderen Städten kommen könne als Berlin. Sie würden zugleich das „Nest-Feeling“ schätzen, das Dortmund mit dem engeren Bandumfeld biete.
Ihre Musik klingt zwar nach US-amerikanischem Wüstenrock, doch sie ist auch das Ergebnis dreier Leben in den Beton-Schluchten der Dortmunder Nordstadt.
Wenn Goldroger über seinen Pop-NRW jubelt und die Mitglieder von Daily Thompson sich über ihren Plattenvertrag freuen, dann sitzt Miami Yacine alias Zakaria Ilinas Lafayette vermutlich in einer dicken Karre, lächelt nur milde und verweist darauf, dass er derjenige ist, der den Deutsch-Rap verändert hat. Das behauptet er zumindest selbst.
Das stimmt sogar irgendwie. Denn der Dortmunder Rapper mit marokkanischen Wurzeln hat 2016 das meistgeklickte deutsche Hip-Hop-Video aller Zeiten produziert. 100 Millionen Mal sahen die Menschen seinen Song „Kokaina“, in dem es um illegales peruanisches Pulver und die Rheinische Straße geht. Nichts, was man auf der Arbeit vor sich hin pfeift oder seine Kinder auf dem Pausenhof singen hören möchte, aber ungemein erfolgreich.
Die Rheinische Straße ist Miami Yacines Compton
Miami Yacines Musik bedient recht gekonnt die Bedürfnisse junger Rap-Fans. Ein bisschen Autotune, der Beat geht geradeaus, die Texte spielen mit Gangster-Romantik. Die Rheinische Straße ist sein Compton, also jener Stadtteil von Los Angeles, in dem Anfang der 90er-Jahre der Hip-Hop seinen Siegeszug durch die Pop-Welt antrat.
Zu seinem Image gehören auch viele Übertreibungen und das Spiel mit dem Gangster-Image. Manchmal ist es kein Spiel mehr. 2017 gab es ganz offiziellen „Beef“, manche sagten auch „Rapperkrieg“, mit 18 Karat, einem anderen erfolgreichen Dortmunder Rapper. Es gab eine Auto-Attacke, Schüsse auf ein Café, Ende 2017 dann eine Festnahme nach einem Konzert von Miami Yacines Kollektiv KMN-Gang im FZW.
Wie auch immer man dazu steht: Was die Zahlen angeht, ist Zakaria Ilinas Lafayette der erfolgreichste Dortmunder Musiker aller Zeiten. Neben dem 100-Millionen-Video stehen noch einige Tracks bei Streaming-Diensten mit mehr als 50 Millionen Abrufen und einige Singles in den Verkaufscharts. In seiner aktuellen Single düst Miami Yacine im „Testarossa“ am U-Turm vorbei. Er hat es zu etwas gebracht.
Der Altmeister: Warum Phillip Boas Musik immer noch wichtig ist
Es ließe sich ein ganzes Buch füllen mit außergewöhnlicher Dortmunder Musik. Phillip Boa bekäme darin ein großes Kapitel. Der 55-Jährige hat gerade sein 19. Studioalbum „Earthly Powers“ veröffentlicht. Er arbeitet dabei mit Produzenten zusammen, die auch Bands wie Mumford + Sons, Manic Street Preachers, The National, Sonic Youth oder White Stripes ihren Sound gaben.
Er gilt als Indie-Star, als einer der 20 einflussreichsten deutschen Musiker. Und genießt als einer der wenigen auch internationale Anerkennung.
Nach über 30 Jahren spielt Phillip Boa immer noch in ausverkauften Hallen
„Läuft ganz gut“, zitiert ihn seine Plattenfirma zum Verlauf seiner schon über 30 Jahre währenden Karriere mit ausverkauften Hallen und guten Chart-Platzierungen. Boa pendelt zwischen seiner Geburtsstadt Dortmund und London, wo einige seiner Mitmusiker wohnen. Bis vor kurzem lebte er auf Malta.
In einem Interview mit der Funke Mediengruppe sagte Boa Anfang August: „Ich habe zwar noch einen Wohnsitz in Dortmund, aber ich brauche ein Headquarter außerhalb Deutschlands, sonst fange ich noch an, deutsche Texte zu schreiben, die immer um Leben, Zeit und Welt gehen. Das möchte ich nicht.“
Er mag seine Heimatstadt, das betont Phillip Boa immer wieder. Als alleinige künstlerische Basis habe sie nie getaugt.
Was haben andere Städte, was Dortmund nicht hat?
Das ist ein Muster, das sich bei vielen Künstlern wiederholt. Fehlt Dortmund etwas, das andere haben? Nicht, was die kreative Energie angeht. Das zeigen die vielen Beispiele von Künstlern, nicht nur Musikern, die aus den Erfahrungen in Dortmund Ideen gezogen haben. Und immer noch ziehen, ganz unabhängig vom Genre.
Pop-historisch betrachtet hat das Ruhrgebiet und damit auch Dortmund durch seine arbeitergeprägte Sozialstruktur seit den 60er-Jahren immer etwas gefremdelt mit dem Hedonismus des Künstlertums. Deshalb sind die Szenen klein geblieben, beschränken sich häufig auf Stadtviertel oder Kleinstädte.
Wer hier als Musiker Fuß fassen möchte, der braucht einen langen Atem. Und kommt irgendwann schwer darum herum, außerhalb Dortmunds anzudocken. Es gibt zahlreiche kleine Bühnen im gesamten Stadtgebiet, wenngleich immer wieder Säulen der Live-Musik-Kultur in Gefahr geraten, wie zuletzt das Subrosa.
Das Juicy-Beats-Festival hat seit einigen Jahren eine Bühne für Dortmunder Bands, die zeigt, wie vielseitig die Talente der Musiker von hier sind. Es existieren mehr Live-Musik-Reihen als früher.
Viele Talente bleiben in der Nische
Doch vieles bleibt in der Nische. Viele Künstler, auch die weiter oben aufgeführten, beklagen mangelnde Unterstützung in der lokalen Gesellschaft. Und sie sehen eine Diskrepanz zwischen dem Aufwand, mit dem Klassik und Hochkultur gefördert werden, und dem, der in andere Sparten investiert wird.
Es lässt sich aber vermutlich auch in den vermeintlichen Pop-Hochburgen eine ähnliche Struktur-Diskussion betrachten. In Hamburg etwa droht gerade einem der größten Proberaumzentren der Stadt das Aus und in Berlin gibt’s auch immer etwas zu meckern.
In den zurückliegenden zehn Jahren hat sich zugleich viel getan in Dortmund. Das meiste nutzt zunächst einmal den Konsumenten von Musik: Es gibt etablierte und frische Festivals. Mit dem FZW und der Warsteiner Music Hall sind zwei Konzerthallen mit gewaltigem Potenzial entstanden. Dortmund hat eine interessante Plattenladen-Landschaft.
Der Faktor Musik in Dortmund
Seit einigen Jahren gibt es auf Seiten der Stadt Dortmund die Erkenntnis, dass Musik ein wichtiger Faktor für die Stadt ist. Der Masterplan Erlebnis von Februar 2017 nennt Veranstaltungen wie das Mikrofestival oder die Cityring-Konzerte „Frequenzbringer in der City“.
Im Masterplan ist die Rede von einer Zukunft mit „touristischen Angebote und Dienstleistungen, die das Gefühl eines einzigartigen Erlebnisses transportieren, gleichzeitig aber Sicherheit und eine Ebene zur gemeinsamen Identifikation bieten“ und mit einem Brückstraßenviertel als „Musikviertel“.
Die Geschichten von Goldroger, Daily Thompson, Miami Yacine, Philipp Boa bieten aber auch eine gemeinsame Erkenntnis. Der Ort, aus dem man kommt, prägt immer das Wesen der Kunst, die man macht. Ob es dann gelingt, das so vielen Menschen wie möglich zu zeigen, hängt von vielen Faktoren ab, die sich nicht geografisch festschreiben lassen.
Die Geschichten erzählen von Rekord-Rausch, ehrlichem Lohn für ehrliche Arbeit und großen Träumen. Und immer wieder von der Situation, dass Dortmund zwar der Ursprung vieler Ideen ist, die Umsetzung dann aber in anderen Städten spielt.
Die Top-Seller auf dem deutschen Musikmarkt kommen laut der offiziellen Verkaufscharts nach wie vor aus Städten wie Hamburg (187 Straßenbande), Bonn (Bushido), Bietigheim-Bissingen (RIN) oder Saarbrücken (Bausa). Doch es gibt Anzeichen dafür, dass auch in Dortmund Musik produziert wird, die auf dem Markt geschätzt wird.
Diese Dortmunder Musiker landeten schon in den Top 100: Jelly Planet , M.I.K.I., Phantoms of Future, Too Strong, Sub7even , Phillip Boa , Miami Yacine, Long Distance Calling, Axxis, Der Wolf, Cosmo Klein, Room 2012, Sasha , 18 Karat sowie mehrere BVB-Fanlieder.
Seit 2010 Redakteur in Dortmund, davor im Sport- und Nachrichtengeschäft im gesamten Ruhrgebiet aktiv, Studienabschluss an der Ruhr-Universität Bochum. Ohne Ressortgrenzen immer auf der Suche nach den großen und kleinen Dingen, die Dortmund zu der Stadt machen, die sie ist.