Das Deutschland-Ticket ist noch keine Verkehrswende DSW-Verkehrsvorstand Hubert Jung zieht nach 20 Jahren Bilanz

DSW-Verkehrsvorstand Jung: Deutschland-Ticket ist noch keine Verkehrswende
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Am Türschild des Büros steht neben Hubert Jung schon der Name seines Nachfolgers: Ulrich Jaeger. Seit Anfang November leben beide in einer Art „Büro-WG“, wie Jung es selbst ausdrückt. So soll ein nahtloser Übergang bei der Leitung der Verkehrssparte von DSW21 gewährleistet werden. Denn es gibt viel zu tun, wie Hubert Jung im Interview deutlich macht.

DSW-Vorstands-Chef Guntram Pehlke, der neue Verkehrsvorstand Ulrich Jaeger, Finanzvorstand Jörg Jacoby, Hubert Jung und Arbeitsdirektor Harald Kraus
Die symbolische Staffelstabübergabe für den Verkehrsvorstand (v.l.): DSW-Vorstands-Chef Guntram Pehlke, der neue Verkehrsvorstand Ulrich Jaeger, Finanzvorstand Jörg Jacoby, Hubert Jung und Arbeitsdirektor Harald Kraus. © DSW21/Dr. Claudia Posern

Pünktlich zum Abschied als Verkehrsvorstand sind wichtige Ziele erreicht. Die ersten Elektrobusse sind angekommen und auch die erste neue Stadtbahn der sogenannten B-Wagen-Flotte ist auf dem Betriebshof in Dorstfeld angekommen. Ist es ein gutes Gefühl, wenn man die Früchte seiner Arbeit noch ernten kann?

Das ist richtig gut. Wobei der B-Wagen sicherlich erst im Sommer nächsten Jahres auf die Strecke gehen wird, weil viele Dinge erst hier getestet und abgenommen werden können. Wir rechnen mit sechs Monaten und das ist noch nicht das letzte Wort.

Wie viele neue Bahnen werden denn Ende nächsten Jahres unterwegs sein?

Zwei auf jeden Fall. Es wird vom Zulassungsprozess abhängen, wie viele von den schon produzierten Wagen in den Betrieb kommen.

Es werden zunächst mal alte B-Wagen, die aus Bonn übernommen wurden, ersetzt. Wann passiert das?

Wir hoffen, dass die Bonner noch mindestens bis zum nächsten Sommer gut fahren. Einige sind schon heute nicht mehr im Fahreinsatz.

Wann wird man denn tatsächlich mehr Bahnen zur Verfügung haben?

Ich denke, dass man 2024 davon etwas spürt, denn dann kommen die neuen Bahnen im Monatsrhythmus. Wir werden dann einen stetig wachsenden Wagenpark haben.

Die ganze Neuanschaffung hat sich ja länger hingezogen als geplant. Erste Überlegungen gab es schon vor zehn Jahren …

Ja. Damals hatten wir die Vorstellung, dass der erste neue Wagen vor 2020 da ist. Es hat aber schon Probleme bei der Ausschreibung gegeben, die juristisch und technisch sehr anspruchsvoll war, weil ein Kaufvertrag mit einem Werkvertrag kombiniert werden musste. Wir haben ja kein Standardprodukt gekauft. Die sanierten Fahrzeuge sollen sich von den Neufahrzeugen nicht unterscheiden.

Der scheidende DSW-Verkehrsvorstand Hubert Jung in der Fahrerkabine des ersten neuen Stadtbahnwagens.
Der scheidende DSW-Verkehrsvorstand Hubert Jung in der Fahrerkabine des ersten neuen Stadtbahnwagens. © Oliver Volmerich

Bei den Bussen hat sich DSW lange Zeit zurückgehalten, auch mit Blick auf den Aufbau der nötigen Ladeinfrastruktur. Ist man jetzt voll überzeugt, dass es funktioniert?

Ich bin vor allem überzeugt, dass die E-Busse sich im Netz bewähren werden. Wir sind bewusst etwas später zugestiegen, weil bei uns die Losung gilt: Wir befördern Fahrgäste und keine Forschungsergebnisse. Wir sammeln natürlich auch jetzt Erfahrungswerte und geben sie an die Hersteller weiter. Aber wir haben uns, anders als einige andere Verkehrsunternehmen, die Schmerzen des Experimentierens bei der Busbeschaffung erspart.

Wir hatten von Anfang an im Auge, im ersten Schritt Ladeinfrastruktur nur auf dem Betriebshof in Brünninghausen aufzubauen. Da sind wir dann in eine Fördermaßnahme reingekommen. Von der Anschaffung der 30 Busse werden wir eine zeitlang gut zehren können. In den nächsten zwei Jahren stehen keine nennenswerten Busbeschaffungen mehr an.

Es kommen aber nicht nur neue Busse und Bahnen, sondern auch ein neues Ticket. Das Deutschlandticket als Nachfolger des erfolgreichen 9-Euro-Angebots ist beschlossene Sache.

Das Deutschlandticket hat sicherlich auch Folgen für die restliche Tarifwelt – bis hin zu der Frage, ob das Einzelticket, das jetzt für eine Fahrt auf einer Strecke gilt, dann ein Zeitkontingent hat. Wenn man mit dem Monatsticket durch ganz Deutschland fahren kann, ist es nicht so ganz einsichtig, warum man sonst weiter entfernungsabhängige Tarife macht und nicht einfach sagt, wir bieten eine Stunde oder einen Tag Nahverkehr.

Nochmal zum Rückblick: Ein besonderer Einschnitt war die Corona-Pandemie mit Einbrüchen bei den Fahrgastzahlen und den Einnahmen. Ist das inzwischen aufgeholt?

Der Einbruch bei den Einnahmen ist glücklicherweise durch den Rettungsschirm für den öffentlichen Nahverkehr ausgeglichen worden. Aber der läuft zum 31. Dezember 2022 aus. Wir sind aber noch nicht auf dem Einnahmen-Niveau wie vor Corona. Wir werden schätzungsweise monatlich eine Million Euro Einnahmen weniger haben als in der Vor-Corona-Zeit.

Wenn jetzt das Deutschland-Ticket kommt, gibt es ja die Zusage, dass man uns die Einnahmeausfälle ausgleichen will. Das klappt aber nicht mit 3 Milliarden Euro. Es wird ja Verluste, die durch den Übergang von anderen bislang teureren Ticketarten auf das Deutschland-Ticket entstehen, geben.

Man hat eine Erwartungshaltung, wie viele neue Kunden dazu kommen, aber auch, was verloren geht. Wir werden ab der Einführung des Deutschlandtickets voraussichtlich knapp 2 Millionen Euro pro Monat weniger in der Kasse haben. Das ist ein Fünftel der Einnahmen. Das Deutschland-Ticket sprengt sämtliche Kalkulationshorizonte.

Und man hat ja viel vor. Im Sommer 2021 hat der DSW-Vorstand das Konzept Mobil2030 vorgelegt. Wenn man so will, das Vermächtnis des Verkehrsvorstands.

Das ist ein Gemeinschaftswerk des Hauses, zu dem ich gerne stehe.

Aber es stellt die Weichen für den Verkehrsbereich für die nächsten Jahrzehnte, für die Verkehrswende. Unterschieden wird da zwischen kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen. Eine kurzfristige Maßnahme ist eine Ringbuslinie um die Innenstadt. Gibt es da Fortschritte?

Wir brauchen da eine Finanzierung – auch vor dem Hintergrund des Deutschland-Tickets. Die generelle Frage ist, wie die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs demnächst aussieht, wenn wir bei den Fahrgeld-Einnahmen gedeckelt sind und im VRR noch über weitere Fahrpreis-Senkungen nachgedacht wird. Wir sind jetzt schon am Anschlag und haben in den letzten Jahren einen sprunghaften Anstieg des Verkehrsdefizits gehabt. Wir laufen beim Verkehrsdefizit in Dortmund in Richtung 100 Millionen Euro.

Deutlich gesagt: So lange keine Finanzierung steht, würde ich meinen Kollegen dringend abraten, mit dem Planungsamt über eine Vorlage an den Rat zur Ringbus-Linie nachzudenken. Das Ganze muss dauerhaft finanziert werden. Bisher hat sich da noch kein Förderfenster aufgetan. Wenn es das gäbe, könnte man das in zwei Jahren auf die Beine stellen.

Also steht alles unter Finanzierungsvorbehalt?

Ich warne sehr davor, anzunehmen, mit dem Deutschland-Ticket hätten wir die Verkehrswende gemacht. Im Gegenteil. Die 3 Milliarden, die man dafür nimmt, hätten wir sonst dringend benötigt, um die Leistung zu stabilisieren. Denn die Preise gehen im Nahverkehr rasant nach oben. Wir haben den Bedarf bei den teuren E-Bussen und den Stadtbahnwagen, für die Technik-Erneuerung, und ich rechne mit deutlichen Lohnsteigerungen.

Auf der anderen Seite sind weitere Fahrpreissteigerungen nicht durchsetzbar, wenn wir beim Monatsticket bei 49 Euro gedeckelt sind. Denn geht bei den Einzeltickets vielleicht noch ein bisschen, eher wird aber der Druck dagegen kommen. Es stellt sich die Frage, wer bezahlt die Musik. Da haben wir im Augenblick ein Beamten-Mikado: Wer zuerst den Geldbeutel öffnet, hat verloren.

Aber man muss ja weiter investieren.

Natürlich. Wir reden etwa auch über eine Ertüchtigung des Leitsystems, wir denken über eine nochmalige Erweiterung der B-Wagen-Flotte um acht Fahrzeuge nach. Da wird man sich im nächsten Jahr die Karten legen müssen.

Man redet ja auch über Taktverdichtung bei der Stadtbahn…

Dann brauchen wir nochmal einen Schluck. Allein eine Taktverdichtung von 10 auf 5 Minuten auf der U42 braucht 24 Fahrzeuge und das entsprechende Personal.

Sie fordern ja seit langem, dass es Fördermittel nicht nur für Neuanschaffungen, sondern auch für die Erneuerung von Technik und Fahrzeugen geben muss. Das war ja durchaus erfolgreich. Es gibt jetzt das Landesproramm Kommunale Schiene für Ersatzinvestitionen. Die Stadt Dortmund will jetzt mit DSW21 einen Vertrag schließen, dass Planung und Bau der Maßnahmen komplett von DSW erledigt werden.

Eine große Maßnahme ist da die Erneuerung des unterirdischen Stellwerks für einen zweistelligen Millionenbetrag. Grundsätzlich: Das Land NRW hat über alle Regierungswechsel hinweg zu dem Projekt gestanden, aus Regionalisierungsmitteln die Erneuerung von Stadtbahnanlagen zu finanzieren. Da gibt es auch ein ganz breites Einvernehmen im Landtag.

Es ist auch erreicht worden, dass die Erneuerungsmaßnahmen ins Gemeindeverkehrs-Finanzierungsgesetz des Bundes aufgenommen werden. Das entlastet das Land, weil ein Teil des Geldes vom Bund kommt. Dann kann das Land vielleicht etwas anderes damit anstellen, was uns auch zu Gute kommt. Dieser Schritt in die Erneuerung, in die Substanzerhaltung und damit in die Absicherung der Verkehrsleistung ist unglaublich wertvoll. Er fordert uns aber auch heraus.

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