Handel

Der Niedergang der Kleppingstraße: „Ein schleichender Prozess", sagt Händlerin Andrea Schmidt

Früher war die Kleppingstraße ein Ort für gehobenen Konsum und kaufkräftige Kundschaft. Doch immer mehr Geschäfte verschwinden von der Bildfläche. Viele Händler stören sich auch an der neuen Gastronomie.

Dortmund

, 28.09.2022 / Lesedauer: 6 min

Durch die große Fensterfront ihres Ladenlokals blickt Andrea Schmidt auf die Kleppingstraße und deutet auf den Gehweg. Dort steht ein unscheinbares Holzauto direkt vor dem Geschäft. Andrea Schmidts Gesichtsausdruck hellt sich auf. „Ich möchte auch mal etwas Positives sagen“, betont sie. Das Holzauto bringe Spaß in die Stadt. Sowohl Kinder als auch Erwachsene seien verrückt danach.

Eine Kleinigkeit. Doch Schmuckdesignerin Andrea Schmidt und ihrer Nachbarin Claudia Hentschel von Shoes und Bags geht es nicht um Kleinigkeiten. Die beiden Einzelhändlerinnen an der oberen Kleppingstraße im Haus mit der Nummer 28 sprechen über die Zukunft dieses Standorts - und über dessen Vergangenheit.

Durch Höhen und Tiefen gegangen

Ortswechsel, Kleppingstraße 22: Sibylle Schulze-Blank nimmt hinter dem Schreibtisch im Erdgeschoss ihres Juweliergeschäfts Platz. Seit 38 Jahren fertigt und verkauft sie hier Schmuck. Mit ihrem Betrieb Juweliere Hübner & Schulze sei sie durch Höhen und Tiefen gegangen. Nach den 9/11-Terroranschlägen habe sie eine schlechte Zeit gehabt, erzählt Schulze-Blank. „Die Leute hatten damals Weltkriegsangst.“ Und machten sich keinen Kopf um Schmuck.

Sibylle Schulze-Blank mit ihrem Team von Juweliere Hübner & Schulze. © Tim Schulze

Doch es wurde auch wieder besser. „Früher sprach man hier vom Boulevard Kleppingstraße“, sagt Sibylle Schulze-Blank. Die Bezeichnung verdeutlicht, wofür die Straße südlich des Hellwegs einst gestanden hat: fürs Bummeln und Flanieren entlang schicker Geschäfte, für einen Ort des gehobenen Konsums, für kaufkräftige Kundschaft.

Leere Cocktailbecher vor der Tür

Doch mit der wachsenden Gastronomie habe die Kleppingstraße verloren, sagt Schulze-Blank. Ihr Geschäft befindet sich zwischen der Cocktailbar Sausalitos und dem Asia-Restaurant Mu-Kii. Die Belebung der Innenstadt begrüßt Schulze-Blank ausdrücklich. Doch die meisten Lokale auf der Straße würden eher ein jüngeres Party-Publikum anziehen, sagt die Goldschmiedemeisterin. Regelmäßig räume sie morgens leere Cocktailbecher vor der Ladentür weg. Dazu die Kippen, die auf dem Boden liegen, teils auf den Fenstern ausgedrückt werden, und andere Verunreinigungen.

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Schulze-Blank erzählt von großen Lkws, die die Lokale beliefern und dann die Straße blockieren. Von Problemen mit den Sitzmöbeln der Außengastronomie, die entlang der Häuserzeile keine ausreichende Durchgangsbreite für Passanten ließen. Die Lokale agierten teils „rücksichtslos gegenüber den Einzelhändlern“, kritisiert Schulze-Blank. Ihre Laufkundschaft habe immer weiter abgenommen.

Die Juwelierin weiß, dass sich die aktuelle wirtschaftliche Lage auf den Handel auswirkt. 2001 sei es die Weltkriegsangst gewesen, heute ist es die Inflation, die ihr das Geschäft erschwert. Dennoch versichert Schulze-Blank: „Wir haben eine gute Stammkundschaft und genug zu tun. Wir werden überleben." Sie hofft nur, dass sich die Situation nicht noch weiter verschlechtert.

Mehrere Geschäfte schließen

„Die Kleppingstraße ist eine Kastastrophe geworden“, hat Joachim Köllner von der Goldschmiede Köllner und Pape vor einigen Wochen gesagt. Zusammen mit Iris Pape entschied er, das Traditionsgeschäft in der Berswordthalle in einigen Monaten aufzugeben. Nicht nur aus Altersgründen, sondern auch weil ihm die Hoffnung auf Besserung im Umfeld fehlt - und obwohl, so erzählte es Köllner, das Geschäft aktuell gut läuft.

Joachim Köllner und Iris Pape wollen ihre Goldschmiede an der Kleppingstraße in einigen Monaten schließen. © Tim Schulze

Die Modekette Marc Cain hat etwa im September dicht gemacht. Das Geschäft an der Kleppingstraße 22D steht jetzt leer. Das „gewerbliche Umfeld“ sei „nicht mehr passend“, erklärte die Pressestelle des Unternehmens. Elena Holzer vom Modegeschäfts By Elena an der Kleppingstraße 21-23 hat angekündigt, Ende Januar 2023 zu schließen. Auch sie sprach über negative Veränderungen in der Umgebung.

Was also ist mit dem einstigen „Boulevard Kleppingstraße“ passiert?

Der Niedergang sei „ein schleichender Prozess“ gewesen, sagt Schmuckdesignerin Andrea Schmidt. Um sie 2006 in ein Ladenlokal an der Nummer 28 zu lotsen, habe sich DEW21 als Vermieter mächtig ins Zeug gelegt. „Wir hatten damals überall inhabergeführte Läden“, erinnert sich Claudia Hentschel von Shoes & Bags.

Schmerzlich vermisste Nachbarn

Mit der Zeit seien es jedoch immer weniger geworden. Immobilienfirmen hätten die Vermietung der DEW-Ladenlokale in die Hand genommen. „Der Standort wurde einfach nicht attraktiv gehalten“, kritisiert Hentschel. Die Folge: Immer mehr Müll, Vandalismus, Leerstände und Mieter, die nicht in das einstige Bild der Kleppingstraße passen.

Die Liste der früheren Nachbarn, die Schmidt und Hentschel schmerzlich vermissen, ist lang: Sie nennen beispielsweise das Möbelgeschäft Lambert, den Herrenausstatter Pauli, den Blumenladen Otto, das Bekleidungsgeschäft Van Laack und den Kindermodenladen Confetti. Früher habe man sich die Kunden gegenseitig herüberschicken können.

Zwar fehle inzwischen die Laufkundschaft, ihre Geschäfte liefen dank vieler Stammkunden jedoch weiterhin gut, sagen die beiden Händlerinnen übereinstimmend. „Das, was hier noch ist“, meint Andrea Schmidt über die Kleppingstraße, „hat für die Stadt einen unschätzbaren Wert, aber irgendwann braucht man auch mal Unterstützung.“ Zumal sich Corona und die Baustelle zusätzlich negativ auf den Einzelhandel an dem Standort ausgewirkt hätten.

Die Händlerinnen wünschen sich ein Miteinander, einen runden Tisch, der die Kleppingstraße wieder nach vorn bringt.

Pläne für Gastro-Meile

Das Planungsbüro „Stadt + Handel“ erarbeitet im Auftrag der Stadt Dortmund Ideen für die City der Zukunft. Die Fachleute haben neun Quartiere innerhalb des Walls identifiziert.

Die Kleppingstraße zählt zum Rosenviertel. Das Konzept sehe vor, dass diese sich zu einer Gastro-Meile weiterentwickelt, sagt Raumplanerin Jaqueline Suchanek von „Stadt + Handel“. Das müsse nicht Systemgastronomie sein. Betriebe mit alternativen und innovativen Ideen seien willkommen. Man wolle die Straße für „Genussmenschen“ erschließen, sagt Suchanek.

Raumplanerin Jaqueline Suchanek von dem Planungsbüro „Stadt + Handel“. © Oliver Volmerich

Gefragt nach dem bestehenden Einzelhandel sagt Suchanek: „Nur weil sich etwas Neues entwickelt, heißt das nicht, dass Altes wegsoll.“ Dass sich neue Händler, auch aus dem gehobeneren Segment, an der Kleppingstraße ansiedeln, will sie nicht ausschließen. Gleichzeitig sieht das Quartiers-Konzept die Zukunft der inhabergeführten Lädchen wohl eher in den Seitenstraßen des Rosenviertels vor.

Tobias Heitmann, Dortmund Cityring-Chef © Schaper

Tobias Heitmann, Dortmunds Cityring-Chef, weiß: „Die Innenstadt ist im Wandel.“ Online-Shops machten dem stationären Handel immer stärkere Konkurrenz. Es kämen weniger Menschen zum Shoppen. Heitmann geht davon aus, dass sich der Handel künftig noch stärker auf den Westenhellweg konzentrieren wird - und dass sich die Kleppingstraße mehr und mehr in Richtung Gastro-Meile entwickelt. „Die Menschen stimmen mit den Füßen ab“, so der Cityring-Vorsitzende.

Immobilienfirma will Qualität steigern

Für die Wirtschaftsförderung der Stadt Dortmund antwortet die Pressestelle der Kommune auf Fragen zur Entwicklung der Kleppingstraße. Dort sieht man offenbar keine Schwierigkeiten. Es gebe gut besuchte Gastro-Betriebe unterschiedlicher Art, heißt es in einem schriftlichen Statement.

Bei der Vermietung sei die Stadt außen vor. Und: „Die Kleppingstraße ist aufgrund der bestehenden Gastronomie und der guten Besucherfrequenz bei Maklern und Expansionsspezialisten zunehmend interessanter geworden, da sich diese Restaurants und Läden gegenseitig befruchten.“

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Mehr Problembewusstsein zeigt Joachim Schäfer aus der Geschäftsführung von Fischer & Schäfer Immobilien. Das Unternehmen, selbst im Viertel ansässig, ist seit Kurzem für die Vermietung der DEW-Gebäude an der Kleppingstraße 28 zuständig und vermarktet jetzt auch das ehemalige Marc-Cain-Ladenlokal. „Es ist schon fünf nach zwölf“, sagt Schäfer über die Entwicklung des Einzelhandels an dem Standort. Der Qualitätsverlust sei seit Längerem spürbar. Und: „Wir wollen das Ruder rumreißen.“ Das Ziel: wieder mehr Qualitäts-Mieter, mehr inhabergeführte Läden. Dafür sei es auch wichtig, die Laufwege vor den Schaufenstern freizuhalten.

Schäfer spricht von einer Interessengemeinschaft Kleppingstraße. Erste Gespräche, auch mit der Wirtschaftsförderung, habe er schon geführt. Und auch mit Mieterin Andrea Schmidt. Erstes Ergebnis: Im leerstehenden Lambert-Ladenlokal sollen junge Künstler Raum bekommen, um ihre Werke zu präsentieren. Schmidt sagt, man müsse Menschen mit frischen Ideen eine Plattform bieten, um wieder Neugierige an die Kleppingstraße zu locken. Das könnten auch lokale Start-ups sein.

Veränderungen stehen an

Für Claudia Hentschel und Andrea Schmidt sind Ansätze wie die von Joachim Schäfer ein Hoffnungsschimmer. „Es tut gut, wenn man gehört wird und mitgestalten kann. Schließlich sind wir direkt vor Ort“, sagt Schmidt. Die Frauen betonen, dass sie hochwertiger Gastronomie in der Nachbarschaft nicht abgeneigt seien. Eine Wein-Bar, wie es sie im Rosental gibt, oder ein hübsches Café - das wäre nach ihrem Geschmack.

So oder so stehen einige Veränderungen an der Kleppingstraße an. Der DEW-Service-Point wird in Kürze aus seinem Provisorium an der Nummer 28 ausziehen und an den Günther-Samtlebe-Platz zurückkehren. Das Ladenlokal geht dann in die Vermarktung. Im ehemaligen Restaurant Luqqa baut DEW21 aktuell um. Dort entsteht nach Angaben von Sprecher Ole Lünnemann eine öffentliche Restaurant-, Café- und Eventfläche, die gleichzeitig Kantine für DEW-Mitarbeiter werde. Am 21.10 soll es dort losgehen.

Und deutlich weiter unten an der Kleppingstraße, im leerstehenden Ladenlokal mit der Nummer 8, soll nach Informationen dieser Redaktion die dritte Filiale des beliebten Café Lotte eröffnen. Ein Nachbar, den auch Andrea Schmidt und Claudia Hentschel mit Kusshand genommen hätten.

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