Wer dieser Tage die Passanten auf dem Ostenhellweg zu ihrer Meinung zum 2025 bevorstehenden Umzug von C&A an den Westenhellweg befragt, hört nichts Gutes. Die Meinungen reichen von „schlecht“ bis „katastrophal“. Die neutralen Wortmeldungen sind erst recht nicht schmeichelhaft für den Ostenhellweg - denn dann sagen die Menschen, dass es ihnen egal ist, weil sie sowieso nicht dort einkaufen.
Frank Osterhage mag nicht einstimmen in diesen Abgesang. Der Ostenhellweg, findet er, habe auch ohne C&A das Potenzial, weiter eine lebendige Straße zu sein. „Der Kipppunkt ist noch nicht erreicht“, sagt er.
Seit über zwanzig Jahren beschäftigt sich der 48-jährige Stadtforscher und Raumplaner am Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) am benachbarten Brüderweg mit Einzelhandels- und Zentrenentwicklung in deutschen Städten, seit 2021 ist er dort der Leiter des Themenbereichs „Lebendige Zentren“.
„Manchmal komme ich in Einkaufsstraßen anderer Städte und bin ratlos. Das ist hier nicht der Fall“, sagt er über den Ostenhellweg. Zwar habe die Einkaufsstraße einen „wilden Mix“ an Geschäften, „aber sie ist keineswegs tot“. Außerdem habe sich der Ostenhellweg schon in der Vergangenheit als „ziemlich widerstandsfähig“ erwiesen - trotz des gegen ihn laufenden Mega-Trends zum Online-Handel, trotz neuer lokaler Konkurrenz wie der Thier-Galerie.

Bei einer Sache ist sich der Stadtforscher mit den Passanten einig: Der Abschied des mit Abstand wichtigsten Geschäfts wird die Einkaufsstraße verändern. „Es wird ein Schlüsselereignis für den Ostenhellweg, an dem sich entscheiden wird, in welche Richtung es geht.“
Nur: Seiner Meinung nach kann dieser Wandel auch gut ausgehen. „Der Wegzug von C&A kann eine Chance für den Ostenhellweg sein.“ Hoffnung macht ihm das Konzept, dass der Eigentümer der Immobilie für das dann ehemalige C&A-Gebäude hat.
C&A-Haus als „Prototyp“ für Dortmund
Die Hamburger Firma „Values Real Estate“ plant einen Mix aus Einzelhandel, Gastronomie, Nahversorgung, Büros und eventuell Wohnen. „Ich hoffe gewissermaßen auf einen Prototypen für ein gemischt genutztes ehemaliges Handelsgebäude für Dortmund“, sagt Osterhage.
Der Abschied von einem Primat des Einzelhandels und die Hinwendung zu einer vielfältigen Nutzung könnten durchaus eine Art Blaupause für die gesamte Dortmunder City sein. „Früher hat es Innenstädten gereicht, zentral und gut erreichbar zu sein. Aber in Zeiten der Digitalisierung müssen sie zu Orten mit besonderer Aufenthaltsqualität werden“, findet der Forscher. Dazu gehöre generell eine größere Vielfalt der Angebote, die sich gegenseitig ergänzen.
Ostenhellweg hat Nachholbedarf
In vielen Städten habe man das bereits erkannt - auch in Dortmund. Das geplante Citymanagement der Stadt Dortmund und das vom Stadtentwicklungsbüro „Stadt + Handel“ in ihrem Auftrag erstellte Konzept der neun unterschiedlichen Quartiere innerhalb des Walls gehe genau in diese Richtung: „Das Konzept kann ich so unterschreiben. Es muss nun mit Leben gefüllt werden.“
Dazu gehört für Osterhage unter anderem, dass die unterschiedlichen Quartiere attraktiv miteinander verbunden werden. Im Fall des Ostenhellwegs gibt es da jedoch noch Nachholbedarf.

Als Beispiel zeigt der Stadtforscher bei einem Rundgang die kleine Straße „Auf dem Brand“ am Ende des Ostenhellwegs. Durch sie geht es vorbei an trostlosen Garagen und Graffiti-Wänden zu einem von Osterhages Lieblingsorten in der City, dem Ostwallpark, wo der Forscher gerne Mittagspause macht.
Hier gibt es das Stadtgrün, das in Umfragen zur Attraktivität von Innenstädten immer auf den vorderen Plätzen landet und das dem Ostenhellweg fehlt, nur wenige Schritte entfernt - und doch gefühlt Welten entfernt.

Und welches Angebot ist überhaupt wünschenswert auf der Einkaufsstraße? Den Traum des Cityhändler-Sprechers Tobias Heitmann, der auf dem Ostenhellweg gerne viele inhabergeführte Geschäfte und hippe Cafés hätte, hält Osterhage für unrealistisch. „Einzelne inhabergeführte Geschäfte wären gewissermaßen das Salz in der Suppe. Wir werden aber auf absehbare Zeit keinen Ostenhellweg mehr kriegen, bei dem ein inhabergeführtes Geschäft neben dem anderen ist.“
Stattdessen haben für ihn preisgünstige Anbieter wie „Tedi“ und „kik“, das gerade die Räume des geschlossenen Traditions-Spielzeugladens Lütgenau kernsaniert, oder auch die Ein-Euro-Läden an der Einkaufsstraße durchaus ihre Daseinsberechtigung: „Bei einigen Geschäften mag man vielleicht die Nase ein wenig rümpfen, aber dafür gibt es ganz offensichtlich eine Nachfrage, die bedient wird.“
Hausbesitzer in der Pflicht
Auch wenn sich die Leerstände am Ostenhellweg im Rahmen halten, wie der Stadtforscher findet: Einige besonders langwierige Lücken in den Schaufenstern sind ihm ein Dorn im Auge. „Einzelne Leerstände scheinen sich zu verfestigen, das ist nicht gut für den Ostenhellweg und die Innenstadt.“ Hier sieht Osterhage die Hauseigentümer „in der Pflicht, etwas an ihren finanziellen Vorstellungen zu machen und andere, kreative Ideen auszuprobieren.“
Helfen könnten dabei Fördertöpfe wie die des NRW-Landesprogramms „Zukunftsfähige Innenstädte und Ortszentren“, bei dem zum Beispiel die Anmietung von Leerständen durch die Kommunen unterstützt wird, die dann wiederum die Ladenlokale für zwei Jahre zu günstigeren Konditionen weitervermieten.
Die Stadt Dortmund soll ab 2024 bei diesem Unterpunkt des Landesprogramms mitmachen. Vielleicht auch eine gute Nachricht für den Ostenhellweg.
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