Bettelnder Hartz-IV-Empfänger darf 200 Euro behalten

Ärger mit dem Jobcenter

Ein Hartz-IV-Empfänger, der bettelt und dem das Jobcenter daher die Leistungen kürzte – als wir über den Fall von Michael Hansen berichteten, war die Empörung groß. Jetzt gibt es eine Lösung.

Dortmund

, 04.12.2017, 18:20 Uhr / Lesedauer: 3 min
Michael Hansen lebt schon länger in Dortmund und findet: Der Rummel um seine Person hat sich gelohnt.

Michael Hansen lebt schon länger in Dortmund und findet: Der Rummel um seine Person hat sich gelohnt. © Tobias Großekemper

Zum Betteln ist Michael Hansen in den vergangenen 14 Tagen so recht nicht mehr gekommen. Wenn der 50-Jährige in dieser Zeit in der City an seinem Stammplatz vor seinem Modehaus saß, war er in der Regel nicht mehr allein. Radioreporter, Fernsehkameras, irgendwer war immer bei Hansen. Auch Menschen, die die Berichterstattung über ihn verfolgt hatten, sprachen den Hartz-IV-Empfänger an.

Hansen bettelt dort schon eine Weile, man kennt sein Gesicht. Im Januar 2017 sah ihn eine Mitarbeiterin des Jobcenters, danach fing der Ärger an. Die Spenden, die Hansen erhielt, stellten für das Jobcenter ein Einkommen in „einer Größenordnung dar, die leistungsrechtlich nicht unberücksichtigt bleiben darf“, so formulierte es später ein Sprecher des Jobcenters.

Erst 270, dann 90 Euro gekürzt

Für Hansen bedeutete diese Feststellung, dass seine Hartz-IV-Bezüge gekürzt wurden. Zunächst um 270 Euro. Nachdem eine Anwältin Widerspruch dagegen eingelegt hatte, wurden Hansen noch 90 Euro abgezogen. Seit September jeden Monat – viel Geld für jemanden, der von der Grundsicherung lebt. Nach unserer Veröffentlichung über den Fall Hansen wurde republikweit über den in Hagen geborenen Mann berichtet.

Die wohl treffendste Überschrift zu der Geschichte fand sich dann einige Tage später auf dem Blog von Stefan Sell, der Mann hat eine Professur für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz inne. „Aus den bürokratischen Eingeweiden des Hartz-IV-Systems“, titelte Sell und fragte unter anderem: „Betteln als Beruf oder Selbstständigkeit? Gibt es da auch Ausbildungsgänge?“

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Am vergangenen Freitag dann hatte Hansens Anwältin, die Frau heißt Juliane Meuter und Hansen hatte sie beim Betteln in der Innenstadt kennengelernt, einen Termin beim Dortmunder Jobcenter. Einen „guten, angenehmen Termin“, wie Meuter findet. In der Angelegenheit wurde jetzt eine Lösung gefunden, die so auch für andere HartzIV-Empfänger im Bereich des Dortmunder Jobcenters gelten soll:

Hansen darf ab jetzt die Hälfte eines Hartz-IV-Regelsatzes (also rund 204 Euro) erbetteln, ohne darüber jemandem Rechenschaft ablegen zu müssen. Falls er mehr einnimmt, wird er sich freiwillig selbstverpflichten, diese Mehreinnahmen beim Jobcenter anzugeben. Das Jobcenter will dann bei erheblichen Mehreinnahmen eine Verrechnung mit Hansens Leistungen prüfen. Das seit August einbehaltene Geld, insgesamt 360 Euro, wird Hansen erstattet.

Anwältin findet den Kompromiss „sehr gut“

Hansen sagt am Montagmorgen, er könne mit dieser Regelung hervorragend leben. „Das ist das, was wir wollten.“ Der Rummel in den vergangenen Tagen sei schon kräftig gewesen. Nach der ersten Berichterstattung an einem Samstag stand am folgenden Montagmorgen direkt RTL vor dem Haus am Nordmarkt, in dem Hansen mit Frau Christa in einer kleinen Wohnung wohnt. „Insgesamt hat sich die Sache gelohnt, wir freuen uns jetzt auf ein schönes Weihnachtsfest“, findet Hansen.

Vergleichbarer Fall in Göttingen

Auch Anwältin Juliane Meuter hält den jetzt vom Jobcenter ausgearbeiteten Weg für „sehr gut“. Ihr Gesprächspartner aus der Geschäftsführung des Jobcenters habe ihr gesagt, dass „man da in diesem Fall ein wenig unsensibel gewesen“ sei. Sie wolle jetzt noch einmal mit Hansen darüber sprechen, die Sache schriftlich fixieren und damit beenden.

Also alles gut für bettelnde Hartz-IV-Empfänger? Könnte die in Dortmund gefundene Lösung eine Blaupause für andere Kommunen sein? Denn einen einheitlichen Umgang gibt es für die Frage, wie Jobcenter mit den Einnahmen von bettelnden Kunden umgehen sollen, nicht. Ein vergleichbarer Fall in Göttingen war 2009 durch ein Machtwort des dortigen Oberbürgermeisters beendet worden.

„Lösung taugt nicht als bundesweites Vorbild“

Für den in Dortmund geborenen Armutsforscher Professor Christoph Butterwegge bietet sich die Lösung nicht als bundesweites Vorbild an. Zwar scheine der Kompromiss hier annehmbar, weil die Rechtslage gegen Herrn Hansen spricht.

Butterwegge, der im vergangenen Jahr Kandidat der Linkspartei als Bundespräsident war, hat ein grundsätzliches Problem: „Wenn die Bundesrepublik ihrem Grundgesetz entsprechend ein Sozialstaat sein will, muss sie dafür sorgen, dass die Bezieher der Grundsicherung davon auch leben können. Mit 409 Euro sowie der Bezahlung von Miet- und Heizkosten kann man kein Leben in Würde führen.“ Um zu vermeiden, dass Menschen ergänzend betteln, sollte der Regelsatz deutlich erhöht werden, sagt Butterwegge.

Sicherheit für Mitarbeiter und Kunden

In Dortmund leben rund 600.000 Menschen. Etwa 88.000 in rund 45.000 sogenannten Bedarfsgemeinschaften beziehen Hartz IV. Nach dem Wirbel um Hansen und das Jobcenter hatte es einige Bettler in der Innenstadt gegeben, die befürchteten, in Zukunft Post vom Jobcenter zu bekommen. Ihre Sorge hat sich durch die jetzt gefundene Lösung immerhin verringert.

Das Dortmunder Jobcenter teilte auf Anfrage mit, es wolle mit dieser Regelung eine einheitliche Verfahrensweise für äußerst seltene Einzelfälle schaffen. Damit, so heißt es weiter, will man „so Klarheit und Sicherheit für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Kundinnen und Kunden in unserem Hause zu schaffen“.

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" Bettler wurde Hartz IV gekürzt - Sozialfonds springt ein

Das Dortmunder Jobcenter kürzt Michael Hansen (50) seine Hartz-IV-Bezüge, weil er - wenn das Geld zum Monatsende knapp wird - vor einem Modehaus in der Dortmunder Fußgängerzone bettelt. Die Recherchen Von Tobias Grossekemper, Benedikt Reichel

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