Anschlag auf BVB-Bus: Bomben am Hotel gebaut

Detaillierte Ermittlungsakten

Über 18.000 Seiten Ermittlungsergebnisse wurden nach dem Anschlag auf den BVB-Bus im April 2017 zusammengetragen. Das Bild, das die Anklage von dem Tatverdächtigen zeichnet, ist das eines extrem kaltblütigen Täters.

Dortmund

, 06.11.2017, 03:03 Uhr / Lesedauer: 3 min
Einen Anschlag wie den, der am 11. April 2017 in Dortmund ausgeführt wurde, hatte es bis dahin in Deutschland noch nicht gegeben.

Einen Anschlag wie den, der am 11. April 2017 in Dortmund ausgeführt wurde, hatte es bis dahin in Deutschland noch nicht gegeben. © dpa

Zwei Tage nach dem Anschlag auf den BVB-Bus am Hotel L‘Arrivée wird in einem Waldgelände in etwas mehr als 200 Meter Entfernung eine eigenartige Brandstelle gefunden – Dieselgeruch liegt dort noch in der Luft. Unter anderem elektronische Bauteile, Zeltzubehör und Batterien sind hier vor Kurzem in Brand gesteckt worden. Den Beamten, die das Gebiet absuchen, fällt dabei auf, wie stark das Gelände von Zecken bevölkert ist. Mit Zecken hatte auch der Tatverdächtige Sergej W. so seine Probleme: Am Morgen des Anschlagstags, dem 11. April 2017, verlangte der 28-jährige Mann an der Hotelrezeption eine Pinzette, er wollte damit eine Zecke entfernen, die an seiner rechten Schulter saß. Ein weiteres Tier, das sollte einen Tag später einer Masseurin auffallen, hatte in den rechten Oberschenkel des Mannes gebissen.

Über 18.000 Seiten Ermittlungsakten sind inzwischen zusammengetragen worden, der Prozess gegen Sergej W. wird vielleicht noch Ende dieses Jahres, eventuell aber auch erst im Januar 2018 starten. Die Vorwürfe haben es in sich: W. soll, so geht es aus der Anklageschrift hervor, rund 25.000 Euro geliehenes Geld auf einen starken Kursverlust der BVB-Aktie gesetzt haben. Um diesen Kursverlust zu erreichen, hat W., so sehen es die Ermittler, drei Bomben ferngezündet – Spieler sollten verletzt oder getötet werden, die Aktie sollte abstürzen und W. zu einem bis zu 500.000 Euro reicheren Mann machen.

Bereits vorher vor Ort

Ein perfider Plan, bei dessen Umsetzung der Angeklagte kaltblütig vorgegangen sein soll: W., der im Landkreis Tübingen lebte, war bereits im März 2017 zu Gast im L‘Arrivée. Zur gleichen Zeit waren dort auch für einige Stunden die Spieler des BVB zu Gast, um von dort dann mit dem Bus zu dem Champions-League-Heimspiel gegen Benfica Lissabon zu fahren. Damals, so glauben es Ermittler, kundschaftete W. die Gegebenheiten vor Ort aus.

Am 9. April kehrte W. wieder in das Hotel zurück, checkte nachmittags ein und wechselte kurz darauf auf eigenen Wunsch in ein anderes Zimmer. Das hatte einen Blick auf den Parkplatz und damit in Richtung des späteren Tatortes. In der Nacht fuhr er dann zurück in seine Heimatstadt, um sich dort am nächsten Morgen krankschreiben zu lassen – in der Firma, in der W. als Elektrotechniker arbeitete, galt zu der Zeit eine Urlaubssperre. Spätabends war er dann wieder zurück in Dortmund, all das lässt sich durch Funkzellenabfragen rekonstruieren.

Nach Mitternacht verließ W. das Hotel und kehrte erst im Morgengrauen zurück. Die Ermittler sind davon überzeugt, dass W. in der Schonung in der Nähe des Hotels zunächst seine Sprengsätze mischte – eine Wasserstoffperoxid-Brennstoff-Mischung. Um anschließend Spuren zu verwischen, zündete er das, was er nicht mehr brauchte, an. Gleichzeitig legte er falsche Spuren, in den Brandresten fanden sich später auch belgische Lebensmittel-Verpackungen, sie sollten wohl als Spur in ein islamistisches Milieu dienen. So wie die gefälschten Bekennerschreiben des Islamischen Staates, die nach dem Anschlag in der Nähe der drei Bomben gefunden wurden.

Die Bomben, jeweils gut ein Kilo schwer und grün gestrichen, damit sie nicht auffielen, soll W. in der Hecke platziert haben, nachdem er das Feuer entzündet hatte. Sogenannte Mantrailer-Hunde der Polizei verfolgten genau diesen Weg, weg vom Feuerplatz und dann direkt zur Hecke.

Geschäfte am Tattag

Am Tattag selber, als alles vorbereitet war, soll W. dann noch weitere Transaktionen getätigt haben, in denen er auf einen stark fallenden Kurs der BVB-Aktie setzte. Die Geschäfte wurden online erledigt. Die IP-Adresse, von der aus das geschah, war die des Hotels.

Gegen 19.15 Uhr detonierten die drei Sprengsätze, der Bus fuhr noch einige Meter weiter und kam dann zum Stehen. Ein Polizist und ein Fußballspieler waren verletzt, die Mannschaft stand unter Schock und doch hätte die Tat noch verheerender ausfallen können: Der in der Mitte platzierte Sprengsatz war in einem Meter Höhe angebracht, die in Epoxidharz eingegossenen Metallbolzen flogen über den Bus hinweg und bis zu 250 Meter weit. W. soll die Sprengsätze vom Badezimmerfenster seines Hotelzimmers aus gezündet haben.

So zynisch sich das auch anhört: Aus Sicht des Täters war der Anschlag ein Misserfolg, da nicht ausreichend Spieler verletzt worden waren, um den Aktienkurs des BVB abstürzen zu lassen. W. ging nach der Tat kurz aus dem Hotel, am nächsten Tag war er noch bei einem Massagetermin und wurde, wie die anderen Hotelgäste auch, noch vernommen. Einen unauffälligen Eindruck soll er dabei gemacht haben.

Zehn Tage nach der Tat wurde W. verhaftet, die auffällig hohen Summen, die er auf einen Kurseinbruch gesetzt hatte, wurden ihm letztlich zum Verhängnis. Bereits am Tag nach der Tat gab es Zeugenhinweise auf sehr ungewöhnliche Transaktionen. Und doch schien W. an dem Modell Gefallen gefunden zu haben: Im Internet recherchierte er wenige Tage nach der Tat etwa zu Seilbahnen, die als Aktiengesellschaften operieren. Die Ermittler glauben, dass W. bereits ein neues Ziel suchte, dessen Aktienkurs er durch einen Anschlag einbrechen lassen könnte.

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