Als Kriegsflüchtling wagt Friseurin Yana Kanieva in Dortmund den Neuanfang

© Oliver Schaper

Als Kriegsflüchtling wagt Friseurin Yana Kanieva in Dortmund den Neuanfang

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Viele Menschen, die aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind, wollen hier arbeiten. Es geht um Integration, aber auch um Ablenkung vom Krieg. Und Fachkräfte werden überall gesucht. Aber es hakt an einigen Stellen.

Dortmund (DO)

, 29.04.2022, 08:55 Uhr / Lesedauer: 4 min

„Es ist so schwierig, Personal zu bekommen – wenn dann da jemand ist, der arbeiten will, möchte ich den auch fördern.“ Deshalb möchte Giuliana Zelisko, Inhaberin des Friseursalons Hair Dortmund, der jungen Ukrainerin Yana Kanieva eine Chance geben.

Wie es dazu kam? „Yana hat mich über Instagram angeschrieben. In der Nachricht stand auf Deutsch, dass sie meinen Laden sehr ansprechend findet und mir helfen könnte, ukrainisch- und russischsprachige Kunden zu gewinnen“, sagt Giuliana Zelisko.

In der Ukraine habe Yana Kanieva einen eigenen Salon namens „Brilliance“ in Charkiw und sieben Angestellte gehabt, erzählt sie uns. Durch den Krieg sei sie gezwungen gewesen, alles zurückzulassen – den eigenen Vater, das erst kürzlich gekaufte Auto. Mit dem Zug war sie mit ihrer Mutter und ihrer Freundin zur Patentante nach Witten geflohen.

„Ich erkenne mich in ihr wieder“

„Ich möchte helfen, weil ich mich in ihr wiedererkenne: Ich bin auch erst 25 und habe vor drei Jahren meinen Salon eröffnet“, sagt Giuliana Zelisko. Die Dortmunderin beschäftigt heute zwei Azubis im ersten Lehrjahr und drei Gesellen. In ihren Salon würde die junge Ukrainerin gut hineinpassen: „Sie ist modern, clever, lustig“, sagt die Friseurmeisterin. Doch es gibt Probleme.

Den Text auf Instagram hatte Yana Kanieva mit einer Software übersetzt – Deutsch spricht die Ukrainerin kaum, dafür Englisch. „Das ist schon sehr schwierig“, sagt die Salon-Inhaberin nach zwei Probetagen mit Yana. „Aber in Deutschland könnte sie sich nicht einfach selbstständig machen, dazu fehlen ihr die Zertifikate.“ Wie die Ukrainerin berichtet, konnte sie durch die überstürzte Flucht auch keine Nachweise mit nach Deutschland bringen.

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Dabei ist Yana keine Unbekannte. Auf Instagram hat sie als Yanakaneva_color 13.000 Follower. Drei ehemalige Kundinnen von Yana hätten Giuliana Zelisko bereits angeschrieben – Frauen, die ebenfalls aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet seien und jetzt beispielweise in Köln lebten. Sie wollten ihre Haare nur Yana anvertrauen. „Aber ich kann noch keine Termine bei ihr vergeben.“

Yana hat keine staatlich anerkannte Ausbildung

Denn tatsächlich hat Yana Kanieva keine staatlich anerkannte Ausbildung. „In der Ukraine gibt es spezielle Diplome, sie kann nur Damenhaarschnitte und Färben.“ Und dort wird auch anders gearbeitet: Eine Balayage-Färbung habe bei Yana in Charkiw sechs Stunden gedauert. In Giuliana Zeliskos Salon hingegen sitzen die Kundinnen rund zweieinhalb Stunden auf dem Frisierstuhl.

Ukrainische und russische Kunden seien da anders, habe Yana erzählt, die würden es nicht mögen, wenn es schnell ginge. „Ja, wir arbeiten langsamer“, sagt die 26-Jährige uns gegenüber, „aber das wollen die Frauen so. Sie sind sehr anspruchsvoll. Wir denken lange nach und wollen Fehler vermeiden.“ Dem Tempo in Deutschland wolle sie sich aber anpassen.

In der Ukraine war sie auf Haarfärbungen spezialisiert. In Dortmund soll Yana Kanieva (r.) von Giuliana Zelisko alles rund um die Friseurausbildung lernen.

In der Ukraine war sie auf Haarfärbungen spezialisiert. In Dortmund soll Yana Kanieva (r.) von Giuliana Zelisko alles rund um die Friseurausbildung lernen. © Schaper

Giuliana Zelisko sind jedoch noch andere Punkte aufgefallen: „Sie steht zum Beispiel nicht gerade, sondern macht einen Buckel am Waschbecken, und kennt keine technischen Regeln für Gefahrenstoffe. Allein mit ihrem Fachwissen würde sie kein deutscher Friseur einstellen.“ Die Dortmunderin möchte der Kollegin aus der Ukraine gerade deshalb eine Chance geben. „Wenn jemand schon selbstständig war und dann noch einmal von vorne anfangen muss, das ist hart.“

Gigantisches Feedback von den Kunden

Zwei Tage hat Yana bislang zur Probe gearbeitet, die Stimmung im Laden sei jedes Mal sehr gut gewesen – nicht nur im Team. „Das Feedback von den Kunden war wirklich gigantisch“, sagt die 25-Jährige. „Alle haben gesagt: Die ist super, stell sie ein! Sie haben sogar den Google-Übersetzer zur Unterhaltung mit ihr benutzt.“

Die Menschen seien freundlich und der Salon wunderschön, sagt Yana Kanieva. Zweimal die Woche geht sie zum Deutschkurs und übt zuhause mit ihrer Freundin weiter. Giuliana Zelisko spricht mit ihr Englisch – „und mit Händen und Füßen“, sagt die Friseurmeisterin lachend. Die Ukrainerin sagt: „Ich mag Deutschland, ich bin froh, hierher gekommen zu sein. Gerne würde ich meinen eigenen Salon hier eröffnen, aber das wird noch dauern.“

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Strähnchen färben, Haare föhnen - kein Problem für Yana Kanieva. Sie sei sehr fleißig, gewissenhaft, ordentlich, pünktlich. Man könne sie – gemessen an deutschen Standards – durchaus mit einer jungen Friseurin vergleichen, sagt Giuliana Zelisko. „Sie will, das merkt man, sie ist sowas von bemüht.“ Die Patentante aus Deutschland, die als Übersetzerin fungiert, habe erzählt, Yana wolle nicht nur zuhause sitzen. Und dass sie jeden Abend weine.

Zukunftsorientiert baut Zelisko eine feste Kraft auf

Als schüchtern erlebt sie die Chefin. Traumatisiert, in einem fremden Land, der Sprache nicht mächtig – „da wäre ich auch befangen“, sagt Giuliana Zelisko. Aber Yana frage immer nach und bitte um Feedback. Für sie als Chefin bedeute das trotzdem viel Arbeit. „Erst mal ist es keine große Bereicherung“, sagt Giuliana Zelisko. „Ich mache das einfach, weil ich helfen möchte.“ Wer schnell Unterstützung im Betrieb suche, dem würde sie davon abraten.

„Aber wer zukunftsorientiert ist, helfen möchte und eine feste Kraft aufbauen will, dem empfehle ich es auf jeden Fall“, sagt Giuliana Zelisko. Seitens der Stadt oder der Arbeitsagentur habe sie jedenfalls keine Hilfe erfahren: „Ich habe mich beim Arbeitgeberservice gemeldet, die haben nur gesagt, Yana solle sich arbeitssuchend melden.“ Ausländerbehörde, Agentur für Arbeit, Handwerkskammer: Yana Kanieva hat noch viele Behördengänge vor sich.

Ideal fände die Dortmunder Friseur-Meisterin ein Programm, bei dem Geflüchtete gezielt gefördert würden – erst vier Wochen Deutschkurs am Stück, dann vier Wochen ins Praktikum, dazu finanzielle Unterstützung. „Die sind so aus ihrem Alltag herausgerissen worden, sie brauchen Struktur“, sagt Giuliana Zelisko.

„Ich würde gerne in die Ukraine zurückkehren“, erzählt uns Yana Kanieva. „Da ist mein Zuhause und ich vermisse es. Aber meine Stadt wird bombardiert und ich weiß nicht, ob mein Haus intakt ist. Der Krieg wird, glaube ich, nicht so schnell enden. Deshalb möchte ich in Deutschland bleiben.“

Zum Stichtag am 1. August würde Giuliana Zelisko die junge Ukrainerin in ihren Betrieb aufnehmen wollen. „Wenn ihr Ziel ist, in Deutschland zu bleiben, kann sie bei mir die Ausbildung machen.“

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