Wiedersehen nach 15 Jahren: Dortmunderin nimmt ukrainische Familie auf

© Julien März

Wiedersehen nach 15 Jahren: Dortmunderin nimmt ukrainische Familie auf

rnVor dem Krieg geflüchtet

Die Dortmunderin Olga Winkler, selbst in der Ukraine aufgewachsen, hat eine geflüchtete ukrainische Familie bei sich aufgenommen. Es ist ein Wiedersehen nach 15 Jahren und eine bewegende Geschichte.

Derne

, 27.03.2022, 04:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Olga Winkler hat eine geflüchtete ukrainische Familie bei sich aufgenommen. Für sie sind es alte Bekannte: Zwei Schulfreundinnen samt Familie von ihr und ihrer Zwillingsschwester Lena. Ihre alten Schulfreundinnen sind ebenfalls Zwillinge. Seit über 15 Jahren hatten sie sich nicht mehr gesehen.

1994 ist Olga Winkler zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Lena und den Eltern nach Deutschland ausgewandert. Der Krieg in der Ukraine trifft auch sie. Sie hat noch Familie und Freunde in der Ukraine. Zwei alte Schulfreundinnen und ihre Familie sind nach tagelanger Flucht nun bei ihr in Altenderne untergekommen.

Dieses Foto der beiden Zwillingspaare entstand am 25. März 1992, vor 30 Jahren.

Dieses Foto der beiden Zwillingspaare entstand am 25. März 1992, vor 30 Jahren. © Julien März

Anna Shevchenko, ihre beiden Töchter Alexandra und Arina, Schwester Iryna Chekarova und die Mutter Marina haben harte Wochen hinter sich. Sie sind aus der umkämpften Millionenstadt Charkiw nahe der russischen Grenze geflüchtet. Anna erzählt von den Erlebnissen der letzten Wochen, ihre alte Freundin Olga übersetzt.

Von Explosionen aus dem Schlaf gerissen

Am Morgen des 24. Februars sei die Familie um 5 Uhr geweckt worden, laute Explosionen rissen sie aus dem Schlaf. Im ersten Moment wussten sie nicht, was los ist, an einen Angriff Russlands hatten sie vorher nicht geglaubt. Radio und Internet überbrachten ihnen an dem Morgen die Nachricht: Russische Truppen greifen die Ukraine an.

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Anna erzählt, wie Menschen voller Panik aus ihren Häusern gerannt sind, ganz ohne Ziel. Sie selbst hat zusammen mit ihrer Familie Zuflucht im Keller gesucht. „Wir hatten eine Riesenangst. Die Kinder haben geweint.“

Ganze drei Tage harrten sie im kalten und ungemütlichen Keller aus. Dann verschanzten sie sich zwei Tage in der Wohnung, alle zusammen im Flur. Heizung und Strom waren ausgefallen, und das bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Eine Rakete schlug unmittelbar vor dem Haus ein.

Drei Tage lang verschanzte sich die Familie im Keller.

Drei Tage lang verschanzte sich die Familie im Keller. © Privat

Das schlimmste sei die Geräuschkulisse gewesen, meint Anna. Die Geräusche von Militärflugzeugen, Bomben, Raketen, Artillerie und weinenden Kindern gehen ihr nicht mehr aus dem Kopf.

Die Flucht

In der letzten Nacht, die die Familie in Charkiw verbrachte, sei die Stadt besonders stark bombardiert worden, viele Gebäude wurden zerstört. Mittlerweile auch das Haus, in dem die Familie wohnte. Als am sechsten Tag die Luftangriffe des russischen Militärs begannen, fasste die Familie den Entschluss zu fliehen.

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Am Morgen des 2. März machten sie sich mit nur einer Tasche auf den Weg zum Bahnhof. Annas und Irynas Mutter Marina konnte kaum laufen, musste getragen werden. Mit dem Zug fuhr die Familie nach Polen. Nur Iryna blieb noch in Charkiw, in der Hoffnung, der Krieg würde bald vorbei sein. Wenige Tage später folgte sie ihrer Schwester. Unter Beschuss habe sie sich in den Zug gerettet.

Das Haus, in dem die Familie wohnte, ist mittlerweile den Angriffen der russischen Armee zum Opfer gefallen.

Das Haus, in dem die Familie wohnte, ist mittlerweile den Angriffen der russischen Armee zum Opfer gefallen. © Privat

Die Männer der Schwestern sind in Charkiw geblieben. Zu ihnen haben die beiden Schwestern Kontakt, telefonieren täglich mit ihnen. Von Tag zu Tag werde es dort schlimmer, berichten sie ihren Frauen. Denn humanitäre Hilfe komme nur schwer bis Charkiw durch.

Anna, ihre Töchter und Mutter kamen in Warschau an. Genau in dem Moment schrieb Olga Winkler ihr auf Facebook eine Nachricht. Sie wollte wissen, wie es der Familie geht. Da Anna und ihre Familie nicht wussten, wo sie unterkommen können, bot Olga ihnen an, zu ihr nach Dortmund zu kommen. Das taten sie auch.

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Am 7. März kam die Familie dann in Dortmund an. Fünf Tage Flucht hatten sie hinter sich. Jetzt sind sie froh, erstmal in Sicherheit zu sein. Und das auch noch bei einer Freundin der Familie.

Dankbarkeit

Besonders Mutter Marina ist den Menschen in Deutschland unglaublich dankbar für die Hilfe und Gastfreundlichkeit, die sie hier erfahren hat. Doch sie weine auch viel, die Bilder aus ihrer Heimat stimmen sie traurig. „Wir hoffen alle, dass der Krieg bald zu Ende ist. Wir wollen zurück“, meint Anna. Denn sie alle haben Sehnsucht nach ihrem Zuhause, das nun gar nicht mehr so ist, wie sie es einmal kannten. „Charkiw war vor dem Krieg eine sehr schöne Stadt“, erzählt Anna. Fast so schön wie Kiew, meint sie.

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„Für mich war es selbstverständlich, sie aufzunehmen“, meint Olga. Seit 15 Jahren hatte sie Anna und Iryna nicht mehr gesehen, die Freundschaft habe sich auf Geburtstagsglückwünsche begrenzt. „Jetzt sind wir glücklich, dass wir uns haben“, meint sie. Auch, wenn ihnen ein Wiedersehen unter anderen Umständen lieber gewesen wäre. „Ich habe sie als sehr fröhliche Menschen kennengelernt. Aber die aktuelle Situation belastet die Familie sehr“, sagt Olga.

Die beiden Zwillingspaare sind nach langer Zeit wieder vereint.

Die beiden Zwillingspaare sind nach langer Zeit wieder vereint. © Julien März

Seit knapp drei Wochen ist die Familie jetzt in Deutschland. Hier fühlen sie sich sicher. Auch wenn es nicht immer ganz einfach ist, erzählt Olga. Ihr Haus liegt nah an einer Autobahn, die Familie schläft schlecht. Die lauten Motorengeräusche würden sie an die Kulisse des Krieges erinnern.

Gemeinsam gehen sie Einkaufen und arbeiten im Garten, erzählt Olga. Einen Deutschkurs belegt die geflüchtete Familie auch schon, die sechsjährige Arina soll hier bald in den Kindergarten gehen. Wann sie wieder zurück in ihre Heimat können, ist ungewiss.