Deutschlands bester Arbeitgeber? Der Aufstieg von Adesso und seine Schattenseiten

Adesso wächst und wächst: Doch der Konzern kämpft mit Schattenseiten
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Es ist ein beispielloser Aufstieg, den der IT-Dienstleister Adesso aus Dortmund in den vergangenen Jahren hingelegt hat. Das profitable Unternehmen, das 1997 vom heutigen Aufsichtsratschef und größten Einzelaktionär Volker Gruhn gegründet wurde, hat seit dem Vorkrisenjahr 2019 bis ins abgelaufene Geschäftsjahr 2023 hohe Wachstumsraten erzielt: Der Umsatz wuchs jährlich durchschnittlich um 20 Prozent.

Mit dem Umsatzwachstum hat der Konzern auch immer mehr Mitarbeiter eingestellt. Adesso hatte 2019 noch rund 4000 Mitarbeiter. 2023 waren bereits über 9500 Menschen dort angestellt und 2024 stellte der Konzern gar seinen 10.000. Angestellten ein. Auch hier liegen die Wachstumsraten bei im Jahr durchschnittlich über 18 Prozent. Selbst für die seit Jahren wachsende Technologie-Branche gilt das als Spitzenwert.

Doch mit dem Erfolg treten auch Wachstumsschmerzen zum Vorschein. Unsere Redaktion hat mit Mitarbeitern und Führungskräften des Konzerns gesprochen. Adesso gerät unter den Interessen von Großinvestoren, Mitarbeitern, Führungskräften, Vorständen und Anlegern unter Druck. Das Unternehmen kämpft um die richtige Balance – doch Kritik prasselt von allen Seiten auf das Unternehmen ein.

Adesso kämpft um Unternehmenskultur

Bei Adesso gab es lange das Format „Frag den Vorstand“. Vorstandsmitglieder oder auch Gründer Volker Gruhn beantworteten den Mitarbeitern Fragen. Das Unternehmen streamte das Format ins Intranet, während der Vorstand vor einem Publikum aus Mitarbeitern saß. 2023 stellte das Unternehmen seinen „Cultural Code“ dort vor: „In ihm halten wir die Werte fest, die für uns das Fundament im Umgang miteinander sind“, erklärt ein Adesso-Sprecher.

In vielen Firmen wurden solche Werte entwickelt. Eine angenehme Arbeitskultur ist immer wichtiger für die Mitarbeitergewinnung geworden. Bei Adesso bewerben sich monatlich Tausende Menschen. Und IT-Fachkräfte gehören zu den am meisten umworbenen Mitarbeitern weltweit. Die Unternehmenskultur ist also ein entscheidender Baustein für den Erfolg von Adesso.

Häufig resultieren solche Initiativen aber auch aus Ergebnissen von unternehmensinternen Umfragen unter der Belegschaft. Daraus leiten Unternehmen Werte ab, die sie für wichtig halten: „Respekt und Freundlichkeit sind für uns nicht verhandelbar. Die Adesso-Kultur ist anders und das soll so bleiben“, erklärte Adesso in einem Videospot etwa.

Adesso-Mitarbeiter kritisieren Führungspersonal

Doch einige Mitarbeiter und Führungskräfte sind trotz der Werteinitiativen unzufrieden. Mit den tausenden Neueinstellungen seien Mitarbeiter auf Führungsposten gerückt, die dafür nicht geeignet seien. „Die haben mich komplett zerrissen“, erzählt ein Mitarbeiter über interne Meetings, Pitches und Rollenspiele. „Obwohl ich meine Zielvereinbarung erreicht habe, wurde ich unter Druck gesetzt, meine Verkaufsstrategie zu ändern.“

Der Adesso-Hauptsitz in Dortmund.
Der Adesso-Hauptsitz in Dortmund. © Peter Wulle

Diese Rollenspiele dienen dazu, Situationen mit Kunden zu simulieren. Sie sollen Mitarbeitern helfen, sich darauf vorzubereiten. Mehrere Mitarbeiter berichten aber, dass sie in solchen Sessions von Führungskräften weder respektvoll noch freundlich behandelt worden seien. Die Schilderungen dieser Mitarbeiter: Sie passen nicht zum Cultural Code von Adesso.

Der Adesso-Sprecher erklärte, dass die Prinzipien des Cultural Code „selbstverständlich auch für Trainingssituationen“ gelten. Bei Adesso seien Rollenspiele ein zentrales Element für praxisnahe Lernmomente in einem geschützten Rahmen: „Dabei legen wir größten Wert auf eine wertschätzende, konstruktive und respektvolle Feedbackkultur.“ Das Unternehmen nehme Situationen, die in diesem Zusammenhang herausfordernd sind, sehr ernst. Mitarbeiter könnten sich an Vertrauenspersonen, die Arbeitnehmervertretung „European Forum“ und das Personalwesen wenden.

Adesso, der beste Arbeitgeber?

Doch die Erfahrungen dieser Mitarbeiter stehen auch im Kontrast zu den Auszeichnungen von Adesso als bester Arbeitgeber Deutschlands 2023. Diese erhielt Adesso von „Great Place To Work“. Das Beratungsunternehmen bietet Zertifizierungsprogramme an, mit denen Firmen dann um Mitarbeiter werben. „Great Place To Work“ führt dazu Mitarbeiterbefragungen durch. Die Ergebnisse bei Adesso fielen herausragend aus. So sagten etwa 96 Prozent der Adesso-Mitarbeiter: „Ich komme gerne zur Arbeit.“

Zeitgleich berichten immer mehr Mitarbeiter etwa bei Plattformen wie Reddit oder Kununu darüber, dass es bei Adesso eine hohe Mitarbeiter-Fluktuation gebe. Einige ehemalige Mitarbeiter, aber auch aktuelle, raten etwa davon ab, bei Adesso anzufangen oder sich gar zu bewerben.

Der Unternehmenssprecher schreibt: „Mit einer Fluktuationsrate von nur rund acht Prozent weist Adesso einen niedrigen Wert in der IT-Branche auf; der Benchmark liegt bei rund 15 Prozent.“ Auszeichnungen wie „Great Place to Work“ bestätigten, dass Adesso für Bewerber ein guter Arbeitgeber sei. Das Institut setze für die Zertifizierung als „Great Place to Work“ eine wissenschaftlich fundierte Methode ein.

Investoren: Adesso zu wenig profitabel

Während Adesso kürzlich immer stärker unter Kritik geraten ist, hat das Unternehmen beim Umsatz in den vergangenen Jahren durchschnittlich eine Wachstumsrate von 20 Prozent erzielt. Auch der Aktienkurs stieg mit den Erfolgsmeldungen in immer neue Höhen von bis zu über 200 Euro. Während aller laufenden Krisen gelingt es Adesso bis heute sein Geschäft auszubauen. Die Anleger und Investoren goutierten dies lange mit steigenden Kursen.

Volker Gruhn hat Adesso im Jahr 1997 gemeinsam mit Rainer Rudolf gegründet.
Volker Gruhn hat Adesso im Jahr 1997 gemeinsam mit Rainer Rudolf gegründet. © Archiv

Doch seit Jahresbeginn verzeichnet die Aktie einen Einbruch. Viele Anleger haben mit Adesso erstmals eine Talfahrt erlebt, als es bis in den September 2024 hinein Wertverluste von bis zu 40 Prozent seit Jahresbeginn gab. Eine Gewinnwarnung und heruntergestufte Kursziele von Investmentbanken sorgten für einen Abwärtstrend. Mittlerweile sind die Verluste auf rund 31 Prozent seit Jahresbeginn minimiert. Dazu trugen auch Erfolgsmeldungen bei, wie ein vorzeitig erreichtes Umsatzziel beim Geschäft mit generativer KI.

Doch obwohl Adesso nach wie vor seine Wachstumsziele erreicht, haben auch größere Investoren, also milliardenschwere Fonds, Anteile am Unternehmen verkauft. Das hat damit zu tun, dass Adesso weniger Geld verdient als noch vor fünf Jahren. Und tatsächlich hat das Unternehmen 2019 mit weniger Mitarbeitern und weniger Umsatz mehr Geld verdient als 2023. Damals waren es rund 25,5 Millionen Euro Gewinn vor dem Abzug von Steuern und Zinsen, während es 2023 22,3 Millionen Euro waren.

Adesso verlangsamt Personalaufbau

Die betriebliche Gewinn-Marge von Adesso lag lange bei rund fünf Prozent, hat sich dann aber auf rund zwei Prozent mehr als halbiert. Die Einstellungsoffensive von Adesso stieß nicht dann nicht mehr nur auf Kritik von Teilen der Mitarbeiter, sondern auch auf die einiger Investoren. Mitarbeiter und Führungskräfte berichten zudem, dass die geringe Profitabilität damit zu tun hat, dass es dem Unternehmen nicht so gut gelingt, seine Preise zu erhöhen.

Ein Adesso-Sprecher erklärt: „Der Großteil der institutionellen Investoren würdigt das nachhaltige organische Wachstum und versteht, dass sich Wachstumsinvestitionen auf die Marge auswirken. Wir haben klar kommuniziert, dass wir mit dem aktuellen Margenniveau nicht zufrieden sind und welche Maßnahmen für eine Rückkehr zur gewohnten Profitabilität eingeleitet wurden.“

Trotz einer hohen Nachfrage habe das im Jahr 2023 besonders starke Personalwachstum zu einer temporären Unterauslastung im IT-Dienstleistungsbereich geführt. Zwar hält Adesso am Personalwachstum fest, doch der Adesso-Sprecher sagt auch: „Neben einer Reihe weiterer Maßnahmen, haben wir vor allem die Dynamik des Personalaufbaus spürbar verlangsamt, um die Auslastung entlang der für Adesso weiterhin guten Nachfrage zu steigern.“ Im Durchschnitt habe das Unternehmen zudem seine Preise marktgerecht steigern können.

Adesso erreicht Wachstumsziele

Aber auch eine geringe Auslastung der Mitarbeiter belastet derzeit die Bilanz. Software-Entwickler und andere Mitarbeiter warten wochenlang auf Projekte. Gleichzeitig gelingt es dem Unternehmen weiterhin hohe Wachstumsraten zu erreichen. Im laufenden Geschäftsjahr 2024 ist zwar die Profitabilität gesunken, doch das Unternehmen ist im Vergleich zum 1. Halbjahr 2023 beim Umsatz erneut um über 15 Prozent gewachsen.

Von links nach rechts: Carsten Cramer, BVB-Geschäftsführer, Andreas Prenneis, Mitglied des Vorstands bei Adesso, Volker Gruhn, Gründer und Vorsitzender des Aufsichtsrats bei Adesso und Lars Ricken, damals noch Direktor des Nachwuchsleistungszentrum des BVB.
Von links nach rechts: Carsten Cramer, BVB-Geschäftsführer, Andreas Prenneis, Mitglied des Vorstands bei Adesso, Volker Gruhn, Gründer und Vorsitzender des Aufsichtsrats bei Adesso, und Lars Ricken, damals noch Direktor des Nachwuchsleistungszentrums des BVB. © Borussia Dortmund

Der Adesso-Sprecher erklärt, dass die Auslastung bereits im ersten Halbjahr Monat für Monat angestiegen sei: „Die Erholung erfolgte allerdings langsamer als zum Jahresstart erwartet. Die positive Tendenz soll nun im zweiten Halbjahr 2024 bei einer signifikant höheren Anzahl Arbeitstage fortgeführt werden.“

Trotz aller Wachstumsschmerzen hält Adesso also an seinem Wachstumskurs fest. Das Unternehmen versucht profitabler zu werden, will gleichzeitig eine positive Firmenkultur etablieren bei einer enorm wachsenden Belegschaft. Adesso kämpft also weiter um die richtige Balance. Ob das dem Dortmunder Unternehmen gelingt? Der Sprecher sagt: Adesso sei auch in Zeiten des Fachkräftemangels ein attraktiver Arbeitgeber und „sieht sich auf dem Weg, profitables Wachstum bei einer Rückkehr zum gewohnten Margenniveau zu erreichen.“

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 29. Oktober 2024.