Die Stimmung ist gereizt unter den beiden Tatort-Teams. Nora Dalay (Aylin Tezel) geht ein hohes persönliches Risiko ein und steht unter Druck bei den Ermittlungen mit Peter Faber (Jörg Hartmann, v.l.), Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl).

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Dortmund gegen München – Wer wird Schlechte-Laune-Hauptstadt im Jubiläums-Tatort?

rn50 Jahre Tatort

Gegensätzlicher können Tatort-Teams nicht sein. Doch für den Jubiläums-Tatort zum Fünfzigsten ermitteln Dortmund und München gemeinsam gegen die Mafia. Wer verbreitet mehr schlechte Laune?

Dortmund

, 29.11.2020, 12:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

„Wow“, dachte Jörg Hartmann, als er erfuhr, dass Dortmund neben München für den Jubiläums-Tatort zum Fünfzigsten des ARD-Krimiflaggschiffs auserwählt wurde. „Das empfand ich schon als ziemliche Ehre“, sagt der Darsteller des Dortmunder Hauptkommissars Peter Faber. Ebenso erging es seiner Kollegin Anna-Schudt (Martina Bönisch): „Es ist etwas total Besonderes. Das haben wir noch nie gemacht. Das war schon super.“

„Da hat man natürlich den Ehrgeiz, etwas Schönes daraus zu machen“, sagt Jörg Hartmann. Die sogenannte Crossover-Doppelfolge „In der Familie“ mit den beiden gemeinsam ermittelnden Tatort-Teams aus Dortmund und München ist vor allem spannend geworden.

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Der im Mafia-Milieu angesiedelte Plot, der das Thema Mafia aus der intimen Sicht einer deutsch-italienischen Familie erzählt, ist ein Polizeithriller und ein Krimi-Drama zugleich, begleitet von der schlechten Laune und dem Kräftemessen der beiden Kommissar-Teams. Die erste Episode spielt in Dortmund (Ausstrahlung am 29. November), die zweite in München (6. Dezember).

Die beiden Tatort-Teams aus Dortmund und München ermitteln für den Jubiläums-Tatort zum ersten Mal gemeinsam: (vl.) Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), Jan Pawlak (Rick Okon), Nora Dalay (Aylin Tezel), Peter Faber (Jörg Hartmann), Martina Boenisch (Anna Schudt), Ivo Batic (Miroslav Nemec).

Die beiden Tatort-Teams aus Dortmund und München ermitteln für den Jubiläums-Tatort zum ersten Mal gemeinsam: (vl.) Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), Jan Pawlak (Rick Okon), Nora Dalay (Aylin Tezel), Peter Faber (Jörg Hartmann), Martina Boenisch (Anna Schudt), Ivo Batic (Miroslav Nemec). © WDR/Frank Dicks

In Dortmund führt Luca Modica (Beniamino Brogi) mit seiner Frau Juliane (Antje Traue) eine kleine Pizzeria. Dazu wurde in Dortmund-Lütgendortmund ein griechisches Lokal umgestaltet.

Die Pizzeria ist ein Tarnunternehmen der „‘Ndrangheta“, der kalabrischen Mafia. Sofia, die 16-jährige Tochter der Modicas, (Emma Preisendanz) weiß nicht, woher das Geld stammt, von dem die Familie lebt.

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Faber macht verhängnisvollen Fehler

Luca soll dem Mafia-Schergen Pippo Mauro (Emiliano de Martino), der in München einen Mord begangen hat, Unterschlupf gewähren. Der bringt Luca auf neue Geschäftsideen. Gleichzeitig drängt Juliane Luca dazu, endlich aus den illegalen Geschäften auszusteigen.

Während die Dortmunder Ermittler Peter Faber, Martina Bönisch, Nora Dalay (Aylin Tezel) und Jan Pawlak (Rick Okon) in Amtshilfe für die Italiener das Restaurant der Modicas observieren, reisen ihre Münchener Kollegen Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) nach Dortmund, um Mauro festzunehmen. Doch die Dortmunder wollen erst mehr über die Hintergrundorganisation der Familie erfahren, bevor sie zugreifen.

Faber plant mit Nora Dalay ein riskantes Unterfangen. Juliane Luca soll als Kronzeugin gegen die Mafia gewonnen werden. Doch Faber begeht mit seinem eigenmächtigen Handeln einen verhängnisvollen Fehler. Im zweiten Teil, der in München spielt, kulminieren die Ereignisse rund um die junge Sofia, die die Geschehnisse in ihrer Familie irgendwann begreift und in Lebensgefahr gerät.

Sofia Modica (Emma Preisendanz) hat ihr altes Leben hinter sich gelassen. Der Mafia-Scherge Pippo Mauro (Emiliano De Martino) hat sie nun fest im Blick.

Sofia Modica (Emma Preisendanz) hat ihr altes Leben hinter sich gelassen. Der Mafia-Scherge Pippo Mauro (Emiliano De Martino) hat sie nun fest im Blick. © BR/WDR/X Filme Creative Pool Gmb

Auf Dauer kein guter Sechserpack

München und Dortmund also. Funktioniert das überhaupt? „Es ist super, wie wenig wir zusammenpassen, das ist natürlich der Spaß an der ganzen Sache“, meint Anna Schudt, „aber sechs ermittelnde Kommissare wären auf Dauer nicht interessant, das wird zu viel des Guten.“

Gerade, dass die Paarung nicht zusammenpasse, darin liege der Reiz, sagt auch Udo Wachtveitl, alias Kommissar Franz Leitmayr. „Ich nehme mal an, das war der Grund, warum die sich uns überhaupt ausgesucht haben. Oberflächlich betrachtet, sind Dortmund und München Antipoden.“ München gelte als reich, als hübsch, etwas oberflächlich und schickimicki – „das sind alles Attribute, die man jetzt mit Dortmund nicht verbinden würde.“

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Bei der Drehbuchbesprechung gefragt, worin er den Unterschied in Stimmung und Weitsicht der Ermittlerteams sehe, sagte Wachtveitl: „Wir haben wenigstens ab und zu mal gute Laune“, und findet später eine witzige Metapher für den Gemütszustand der Dortmunder Ermittler:

„Die lieben ihre Probleme, das wird’s sein. Da im Präsidium gibt’s schon eine Delle in der Wand, weil alle immer mit der Faust dagegen hauen. Steht inzwischen unter Denkmalschutz, glaub’ ich.“ Hartmann bestätigt: „Die Münchener kommen gegen unseren Griesgram nicht an.“

„Kasperl und Seppl“

Peter Faber nennt Batic und Leitmayer „Kasperl und Seppl“. „Diese Frotzelei darf ruhig sein“, sagt dazu Wachtveitl, „ich weiß nicht, ob das noch im Buch drin ist, aber ich habe die Dortmunder dann Mickymaus und Rübezahl genannt.“ Regisseur Dominik Graf jedenfalls habe sehr gelacht, als er diesen Textvorschlag gemacht habe.

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Die Doppelepisode lebt auch vom Kräftemessen zwischen den Kommissar-Teams. Ein dramaturgisch sinnvolles Vorgehen, sagt Wachtveitl. „Wenn wir da alle in einer Harmoniesoße schön brav einen Fall durchdeklinieren würden, bis am Ende der Täter gestellt ist, das wäre natürlich langweilig.“

Als die beiden Kriminalhauptkommissare Peter Faber (Jörg Hartmann, links) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl, rechts) Kontakt zum Mafia-Boss Domenico Palladio (Paolo Sassanelli, Mitte) aufnehmen, prallen zwei verschiedene Ermittlungsansätze aufeinander.

Als die beiden Kriminalhauptkommissare Peter Faber (Jörg Hartmann, links) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl, rechts) Kontakt zum Mafia-Boss Domenico Palladio (Paolo Sassanelli, Mitte) aufnehmen, prallen zwei verschiedene Ermittlungsansätze aufeinander. © BR/WDR/X Filme Creative Pool Gmb

Abschied von Nora Dalay

Außerdem ist der Zweiteiler der Abschied von Nora Dalay, die nach acht Jahren ihren Dienst quittiert und frustriert Polizeiausweis und Waffe abgibt, ausgelöst durch den folgenschweren Fehler Fabers, an dem sie beteiligt war. Darstellerin Aylin Tezel hat bekanntlich neue künstlerische Herausforderungen gesucht.

Für den Drehbuchautor Bernd Lange sei es kein leichtes Unterfangen gewesen, „zwei Teams mit so vielen Figuren zu bedienen, eine Story zu erzählen, die über zwei Folgen funktioniert und die beide Städte miteinander verbindet“, sagt Hartmann – und dann kam noch Corona dazu.

„Das hat uns voll reingegrätscht in den zweiten Teil, und Gott sei Dank haben wir es noch rechtzeitig beenden können. Das war ja auch lange nicht klar.“ Die Doppelfolge stand monatelang auf der Kippe.

Dreh unter Corona-Bedingungen

Als die Dreharbeiten nach vier Monaten Pause für Teil 2 wieder anliefen, war es ein anderer Dreh unter Corona-Bedingungen. „Diese Masken zum Beispiel machen keinen Spaß“, sagt Udo Wachtveitl, „natürlich trägt man sie vernünftigerweise, aber wenn es beim Proben immer ‚Maske auf‘, ‚Maske runter‘ heißt...“

Ein Dreh unter Corona-Bedingungen, auch daran zu erkennen, dass die Schauspieler in den Szenen immer wieder Abstand halten.

Ein Dreh unter Corona-Bedingungen, auch daran zu erkennen, dass die Schauspieler in den Szenen immer wieder Abstand halten. © WDR/Frank Dicks

Zudem sei in seinem Fall „eine blöde Kostümfrage“ hinzugekommen. Beim Drehstart im März in München in einer Berglandschaft habe die Kostümbildnerin ihm einen Gefallen tun wollen und ihm einen schönen dicken Rollkragenpullover verpasst. „Im März hat es mich gefreut, aber als wir dann im Sommer weiterdrehten, wurde dieser Rollkragenpullover zum Fluch.“

Doch das sei im Vergleich zu dem Problem mit der ebenfalls veränderten Vegetation nur eine Kleinigkeit gewesen. Wachtveitl: „Es war für alle ziemlich mühsam. Aber klar, es ging nicht anders.“

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Zwei Folgen von unterschiedlicher Handschrift

Beide Episoden zeigen zwar Szenen von ausschweifender Gewalt – so wird zu Beginn von Teil 2 ein unbestechlicher Baudezernent versehentlich zu Tode gefoltert – doch sonst sind beide Folgen von sehr unterschiedlicher Handschrift. Dominik Graf hat die Folge in Dortmund wie einen Polizeithriller gedreht, Pia Strietmann hat in München eine Familientragödie inszeniert. Beide Teile des Krimiepos sind hochspannend.

Die beiden Münchner Kriminalhauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec, rechts) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl, Mitte) betrachten die Leiche des Bauunternehmers Sepp Gschwendner (Christian Ammermüller), der aus Versehen zu Tode gefoltert wurde.

Leitmayr (Udo Wachtveitl, Mitte) betrachten die Leiche des Baudezernenten Sepp Gschwendner (Christian Ammermüller), der aus Versehen zu Tode gefoltert wurde. © BR/WDR/X Filme Creative Pool Gmb

Aber es gibt auch logische Schwächen, und das gleich zu Beginn. Wieso leistet Peter Faber mit seiner Dortmunder Mordkommission anfänglich ohne einen Mord Amtshilfe für die italienische Polizei und beschattet Drogendealer? „Ich habe befürchtet, dass diese Frage kommt“, sagt Jörg Hartmann, „ich kann sie nicht wirklich zufriedenstellend beantworten. Das war auch meine Frage am Anfang.“

Hartmann ist für sich zu dem Schluss gekommen, „dass das durch Fabers Haltung beglaubigt ist, dass er damit sozusagen die Toten der Zukunft verhindert, indem er den großen Coup landet gegen die organisierte Drogenkriminalität.“ In der Tat sei es nicht Aufgabe der Mordkommission, Drogendealer zu beschatten. „Man muss da, befürchte ich, ein kleines Auge zudrücken, damit die Geschichte überhaupt ins Rollen kommt.“